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Das berühmte Kartendeck der Marie Anne Lenormand erfreut sich großer Beliebtheit. Diese mystischen Wahrsagekarten werden Mademoiselle Lenormand (1772-1843) zugeschrieben, die eine große Wahrsagerin ihrer Zeit war und deren Leben wechselhaft genug war, um Stoff für einen ganzen Roman zu liefern.
Allerdings hat sie dieses als "Lenormandkarten" bekannte Deck nicht entworfen und auch nicht verwendet. Welche Karten die Seherin des frühen 19. Jahrhunderts bevorzugt benutzte, ist nicht bekannt, es könnte aber der seinerzeit bekannte Etteilla-Kartensatz von Jean-François Alliette (1738-1791) gewesen sein, der aus 54 Karten bestand. Erst nach dem Tode der Wahrsagerin wurde ein Satz mit 36 Karten herausgegeben.
Die Lenormandkarten sind optisch sehr ansprechend gemacht. Ebenso wie beim Tarot kann man unter verschiedenen Ausführungen wählen. Jede einzelne Karte zeigt ein Bild, das im Wesentlichen sofort zugeordnet werden kann. Bei manchen Decks ist auch ein Reim aufgedruckt, der die Bedeutung erklärt, bei anderen sieht man noch eine gewöhnliche Spielkarte als Applikation. Da diese Karten sehr oft zum Wahrsagen verwendet werden, kann ein Bezug hergestellt werden.
Anders als beim Tarot gibt es bei den Lenormandkarten keinen direkten spirituellen Bezug. Beim Kartenlegen dienen sie einzig und allein dem "Wahrsagen". Das beinhaltet natürlich Aussagen über die Vergangenheit, die Gegenwart und so auch über die Zukunft. Diese ergibt sich aus der Summe der vorigen beiden Zeiten und ist als Trendverlauf durchaus zu erkennen. Das in vielen Fällen mehr "dahintersteckt", kann nicht wirklich abgeleugnet werden, denn wieso sollte das, was kommt, nicht ebenso klar gesehen werden, wie das was war, und das was gerade ist – wenn auch nur für einen kurzen Moment?
Wie man das auch sehen mag: dieses spezielle und sehr beliebte Kartendeck kann erstaunliche Dinge "sehen" lassen. Zwar ist die Symbolik einfach, aber das korrekte Deuten muss geübt werden. Es spielt eine große Rolle, an welcher Stelle welche Karte liegt – und welchen Bezug sie zu den umgebenden Bildern hat.
Im Gegensatz zum Tarot wird beim Lenormanddeck immer mit einem Signifikator gearbeitet, das heißt, eine Personenkarte bestimmt. Zu diesem Zweck gibt es je eine männliche und eine weibliche Personenkarte. Diese zeigen traditionell nobel gewandete Herrschaften, wie sie einem vielleicht bei einer kleinen Feierlichkeit um das Jahr 1900 herum begegnet wären. Diese Karten, "Hauptperson" genannt, sind der Mittelpunkt jeder Auslegung. Es wird also direkt auf den Fragenden Bezug genommen.
Wer die Lenormandkarten befragt, möchte direkte Antworten haben und hat in der Regel Fragen, die das alltägliche Leben betreffen. Man will es eben "genau" wissen und erhält auch Antworten. Die Bedeutungen der Karten sind dem praktischen Leben angepasst. So gibt es auch Karten, die direkt auf die Zeit Bezug nehmen – also kann die Frage "Wann werde ich jemanden kennenlernen?" hier einigermaßen genau beantwortet werden. Anders als beim Tarot gibt es regelrechte Glücks- und Unglückskarten. Allerdings kann die Bedeutung der Karten auch hier variabel sein, je nach Platz. Ein bestehendes Ungemach kann durch eine Folgekarte negiert werden.
Die Symbolik des Lenormandsatzes muss man auch vor dem Zeithintergrund des 19. Jahrhunderts sehen. Die Karte mit der Schlange zum Beispiel galt grundsätzlich als Warnung vor Falschheit. Heute wird das nicht immer so ausgelegt, denn erstens wird diese Spezies nicht mehr als Grund für den biblischen Sündenfall angesehen und weist zweitens auch auf andere Inhalte hin. Die Fragestellung legt vieles an Aussagen fest: wird nach einem Intriganten gefragt oder nach einer Intrige im Allgemeinen, ist die alte Bedeutung natürlich stimmig. Das gilt auch für Rivalen in Liebe oder Beruf.
Liegt die Schlange allerdings direkt auf der Personenkarte, heißt das entweder, dass der Fragende nicht ehrlich ist (nach der traditionellen Deutung) oder auch – erweitert nach heutiger Symbolik – dass der Person die Erdkraft fehlt. Die Urmutter und die Schöpfung werden in der Antike mit einer Schlange in direkte Verbindung gebracht.
Die Karte mit dem Hund weist auf Treue hin, auch auf Ergebenheit. Das Bild mit den Mäuschen zeigt auf, dass etwas an der Frageperson "nagt", und die hübschen Vögelchen weisen vor allem auf Angst hin ... womöglich weil einem in diesem Zustand das Herz in der Brust flattert. Das kommt zwar auch bei der Liebe vor, aber für diesen Fall gibt es eine besondere Karte mit einem roten Herzen.
Die Lenormand-Karten sind ein sehr praktisches Werkzeug, um Situationen zu "deuten" und richtig zu "sehen". Es geht hier nicht um Dinge wie Lebenswege oder gar Einweihungen – es geht um die greifbare Realität. In diesen Bildern steckt nicht die Weisheit der Alten oder über Jahrtausende angehäuftes Wissen, aber man findet einen Gutteil pralles Leben in allen Variationen.
Dass man mit einem Satz bunter Bildchen tatsächlich "wahrsagen" kann, ist zwar erstaunlich, aber eine erklärbare Tatsache. Unser Unterbewusstsein – lassen wir ihm für die Dauer einer Kartenlegestunde ein wenig mehr freie Hand – reagiert auf die Kombinationen der Bilder. Das ist genau die Sprache, die es versteht und die es umsetzen kann. Wir wissen ungleich mehr über unsere direkte Umwelt, als es uns bewusst ist.
Die Körpersprache unserer Mitmenschen sagt uns mehr, als wir bewusst sehen – aber diese Botschaften rutschen, ungelesen von unserem eingeschalteten Verstand, direkt hinunter in die Ablage des Unterbewussten. Jedenfalls ist das im täglichen Leben meist so. Wir wissen also schon etwas darüber, dass der Kollege es nicht allzu ehrlich meint – aber erst, wenn wir das Schlangenbild zusammen mit dem Bild für Arbeit und Beruf sehen, rufen wir diese Information wieder ab.
Das klingt einigermaßen simpel, ist es aber nicht. Es sind unglaublich viele und komplizierte Prozesse nötig, um diese Information freizugeben – aber das geschieht so schnell, dass wir die Erkenntnisse direkt auf die Karte projizieren. Die Vorausschau funktioniert ähnlich – sämtliche Informationen, auch die durch die Bilder abgerufenen, werden summiert – und der wahrscheinliche Zukunftsverlauf ist das Ergebnis.
Das Aufblitzen eines Bildes aus der Zukunft hat allerdings schon manchen erstaunt und vielleicht auch erschreckt – aber je mehr man sich mit einem Medium dieser Art beschäftigt, desto klarer kann der Blick werden. Wer lernt, die inneren Bilder wahrzunehmen, wird vielleicht hier und da einen Blick in Gegebenheiten werfen können, die stattfinden werden oder zumindest können.
Der Umgang mit den Lenormandkarten kann sehr interessant sein – ob man dies nun sehr ernst angeht oder nur per "Zufallskarte" seinen Spaß dabei hat. Aber wie bei allen Dingen gilt: es gibt auch hier ein Zu viel – nämlich dann, wenn kein Tag vergeht, ohne dass die Karten ausgebreitet werden, um ja auf alles vorbereitet zu sein, was einem begegnen könnte. Schließlich will das Leben ja gelebt werden und nicht per Tageskarte "abgebildet".
© Textbeitrag "Kartenlegen mit den Lenormand-Karten" und Abbildung: Winfried Brumma (Pressenet), 2014.
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