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Vegane Ernährung ist in den Fokus der Medien gerückt. Was vor Jahren noch eine kleine Gruppe von Menschen war, die im Allgemeinen als Spinner betrachtet wurden, hat sich zu einer Bewegung entwickelt. Im Gegensatz zur vegetarischen Ernährung, die meist auch Milchprodukte beinhaltet, lehnen Veganer jede tierische Substanz in ihrer Nahrung ab.
Vegetarier hatten früher schon Mühe, ihren Entschluss zu erklären und sahen sich Unverständnis und nicht selten auch Ablehnung ausgesetzt. "Grünzeugfresser" hatten nicht eben den besten Ruf und galten als sozial inkompatibel in Sachen Spaß und Lockerheit. Das ist, schaltet man die Logik ein, ziemlicher Unsinn ... schließlich braucht man kein Steak gegessen zu haben, um zu tanzen oder sich einige Bierchen zu gönnen – schließlich ist der Hopfensaft ja völlig vegetarisch. Außerdem schadet der Verzicht auf Fleisch dem Humor und der Stimmung in keiner Weise.
Hatten die Vegetarier nun schon mit Anfeindungen zu rechnen, ist es den Veganern gelungen, sich als neues Feindbild zu etablieren, was ein gleichbleibend blasender Shitstorm im Internet beweist. Da postet ein Tierfreund Bilder von einem glücklichen Ferkel und kann damit rechnen, dass irgendwer ein herausforderndes "lecker" oder "yummy" unten drunter setzt. Es gibt Veggie-Hassseiten im Internet und mühsam gedrechselte Artikel, in denen die Gefahr des veganen Lebens, was die Gesundheit betrifft, herausgestrichen wird. Wer diese Studien tatsächlich sponsert, kann sich jeder vorstellen, der eine Ahnung von unserem Wirtschaftssystem hat.
Will man ergründen, wieso Veggies aller Sparten die Häme der Andersdenkenden herausfordern, muss man sich erst einmal fragen, wieso der Fleischverzehr praktisch die heilige Kuh der Mehrheit darstellt – man möge dieses Wortspiel verzeihen. Erstens einmal wird der Fleischverzehr als eine Art göttliches Recht und gewissermaßen als Pflicht betrachtet. "Ein hart arbeitender Mann braucht ein Stück Fleisch", hieß es früher in den Wohnküchen – dieser Satz hat sich irgendwo in der Hirnrinde festgesetzt, über viele Generationen. Dass körperliche und geistige Leistungsfähigkeit nichts mit dem Genuss von toten Tieren zu tun hat, das beweisen vegan lebende Spitzensportler.
Aber mit dem Selbstwertgefühl scheint das Steak oder Gulasch tatsächlich in Zusammenhang zu stehen. Fleisch galt lange Zeit – wahrscheinlich über ganze Epochen – als Vorrecht der Bessergestellten oder Reichen. Das kam daher, dass es in der Geschichte unserer Kulturen Menschen gab, die niemals oder nur sehr, sehr selten Fleisch auf ihrem Teller hatten. Das war durchaus die Mehrzahl – Wilderer vielleicht ausgenommen, dabei war das Wildern nicht ungefährlich und wurde als Kapitalverbrechen angesehen und zu manchen Zeiten rasch und endgültig geahndet.
Noch immer scheint ein Schnitzel eine Art Statussymbol zu sein, obwohl sich das heute – dank der Discounter – wohl jeder leisten kann. Vielleicht nicht täglich ... aber mit Sicherheit nicht nur am Sonntag, so wie das früher war. Da gab es den Sonntagsbraten – der war Pflicht, damit bewies man, dass man dazugehörte. Zweimal die Woche Eintopf war da kein zu hoher Preis.
Eine weitere, vielleicht etwas gewöhnungsbedürftige, aber durchaus mögliche Begründung gehört auch in die Sparte "Ich bin, was ich esse". Es ist entwicklungsgeschichtlich nicht allzu lange her, dass man glaubte, die Eigenschaften dessen, was man verzehrte, zu übernehmen. Die Stärke des Tieres vielleicht. Wir wissen, dass auch nichtkannibalische Völker die Gehirne der gefallenen Gegner oder gar Stammesangehörigen aßen, um diese völlig zu besiegen bzw. sie in sich aufgehen zu lassen, also ihre Kräfte quasi in sich aufzunehmen. Wem diese These einen Lacher wert ist, der sollte sich vor Augen halten, dass wir alle noch in sehr vielen archaischen Mustern befangen sind. Zigtausende von Jahren lassen sich eben nicht so leicht abschütteln.
Wer die Lust am Rindersteak bei Menschen schon gesehen hat – manche gehen richtig in den Ring damit, bildlich gesprochen, und zelebrieren das Essen von Fleisch – weiß, dass der Gedanke gar nicht so abwegig sein kann. Wer sich etwas Starkes einverleibt, muss noch stärker sein oder wird es dadurch. Oder glaubt zumindest, dass er sich daran messen kann. Einer, der "nur Grünzeug" isst, muss eine völlige Lusche sein. Was sich am Beispiel eines Elefanten durchaus widerlegen lässt.
Angeführt wird oft der Geschmack: "Fleisch schmeckt eben gut!" Das ist nicht sehr glaubhaft. Was nämlich wirklich schmeckt, sind Gewürze und Soßen, und die Art der Zubereitung spielt eine entscheidende Rolle. Essen Sie mal ein Schnitzel völlig unbehandelt oder vielleicht auch roh ... der Wohlgeschmack hält sich da sehr in Grenzen.
Man könnte auf den Gedanken kommen, dass ein leidenschaftlicher Fleischesser, der sich unangegriffen in nicht sehr netter Weise über Veganer und Vegetarier äußert, denselben Mechanismen folgt wie ein Raucher. Der nämlich weiß sehr gut, was er tut: er schädigt sich selber in stärkster Weise und auch seine Mitmenschen damit. Aber die abenteuerlichen Begründungen für den Spaß am Ruinieren der Gesundheit sind meist jenseits aller Logik. Ein starker Raucher betrachtet einen Nichtraucher als Bedrohung und wird oft von sich aus eine Diskussion starten. Er möchte in gewisser Weise Absolution – und hätte nichts dagegen, den Suchtfreien zu bekehren. Billigt man also dem Spruch "Man hasst im Anderen das, was man sich selber nicht verzeiht" einen Wahrheitsgehalt zu, erklärt sich die Häme gegen Veganer dadurch zu einem großen Teil.
Demgegenüber stehen die Gründe für eine vegane Lebensweise. Da wäre erst einmal das Wissen um die Umstände:
Niemand muss heute völlig unberührt von Wissen bleiben – zumindest nicht in unseren Zivilisationen, die über unglaublich effiziente Medien verfügen. Filme oder Bilder über Schlachthäuser, Massentierhaltung und die damit verbundenen Quälereien stehen jedem zur Verfügung. Die Grausamkeiten den Tieren gegenüber sind nicht nur diejenigen, die aus Gleichgültigkeit resultieren – bewusste Quälerei ist auch in den Massenbetrieben präsent. Es gibt auf verschiedenen Plattformen Filme, die das dokumentieren.
Ein Gerücht über die Schwangerschaft eines C-Prominenten rast mit kosmischer Geschwindigkeit durch die Blätter – kaum anzunehmen, dass irgendjemand noch nichts von den Qualen gehört hat, die so ein Kalbsschnitzel als Hintergrund hat. Wer so etwas je gesehen hat und trotzdem sein Ragout genießt, kann gar nicht anders als Hass gegen Veggies entwickeln. Es ist eine Sache des Selbstschutzes. Wer will sich selbst schon so sehen: grausam und gleichgültig.
Es gibt Vegetarier und Veganer, die durchaus nicht des Tierschutzes wegen diese Lebensweise gewählt haben, sondern um ihrer Gesundheit willen. Wer glaubt, dass er das aufnimmt, was das Tier ausmachte, wenn er es isst, muss eben auch das mitessen, was wirklich dazugehört: Medikamente wie Antibiotika oder Anti-Schmerzmittel, sowie durch Adrenalin vergiftetes Fleisch. Angst ist körperlich messbar, sie ist nicht nur im Geist, sondern auch im Körper eines Lebewesens. Das isst man ebenso mit wie billiges Viehfutter aus Fischmehl und ähnlichen Dingen. Durch die Fütterung werden Tiere zum Kannibalismus gezwungen ... auch und vor allem Pflanzenfresser. Völlig artfremde Nahrung schädigt jedes Lebewesen. Was wir also auf dem Teller haben, ist niemals ein Stück von einem gesunden Tier. Ein Apfel oder eine Banane werden wegen einer leichten Verfärbung schon weggeworfen, aber bei einem Schnitzel haben wir scheinbar völlig andere Messlatten.
Frisches Fleisch kommt ebenso niemals auf den Teller. Was wir da haben, ist möglicherweise frisch aus dem Gefrierschrank. Aber nicht schlachtfrisch. Wirklich schlachtfrisches Muskelgewebe wird niemand essen wollen. Wer schon damit zu tun hatte, weiß das.
Es gibt interessante Tabellen, die aufzeigen, wie viel frisches Wasser und wie viel angebaute Feldfrüchte nötig sind, um eine in der Relation lächerliche Nahrungsmenge an Fleisch zu produzieren. Und wie viel Gülle dafür in das Grundwasser gelangt. Ökologisch ist das Fleischessen nicht – und auch nicht umweltkompatibel. Es gibt Fachleute, die die Meinung vertreten, dass es kein Hungerproblem gäbe, wenn die Massentierhaltung nicht praktiziert würde.
Wer sich tiefer in die Materie wagt, wird entsetzt feststellen, dass nicht nur das Essen von Tieren am Ende einer Kette von Grausamkeiten steht. Da wäre zum Beispiel die Wolle. Das nette Bild von freundlichen Schafscherern, die fröhlich singend die hernach erleichterten Schäflein wieder auf die grüne Weide flitzen lassen, gehört in den Bereich der Märchen. Diese Knochenarbeit macht vielleicht gleichgültig – die Tiere sind oft blutig und haben üble Wunden. Wehrt sich ein Tier zu sehr, wird mit Tritten nachgeholfen. Bei der Masse an zu scherenden Tieren ist klar, dass es keine Idylle geben kann. Es muss keine Wolle sein – wir haben Alternativen. So mancher Vegetarier, der da glaubte, dass Leder als Abfallprodukt ganz in Ordnung sei, hat umgedacht. Es gibt viele Tiere, die nur der Ledergewinnung dienen, außerdem leiden Nutztiere ihr kurzes Leben lang unsäglich – bei der Tötung noch einmal extra. Das ist nicht akzeptabel. Viel Billigleder, das in den Discountläden als Börse oder Schuh angeboten wird, umschloss einmal einen besten Freund des Menschen. Wer einen Hund an der Leine hat und für ihn sorgt, kann deshalb kaum mit gutem Gewissen einen Gürtel aus Hundeleder tragen. Oder doch?
Die heilige Milchkuh verblasst als Symbol für gutgehaltene Kinder. Die kleine Portion Milch dient langsam aus, denn mittlerweile gibt es Erkenntnisse, die das Trinken von Milch zumindest fragwürdig erscheinen lassen. Eine Kuh wird immer nur Milch geben, wenn sie ein Kalb hat. Also wird sie gedeckt und gebiert. Das Kalb nimmt man ihr sofort weg, stopft es in eine Box, in der es sich nicht bewegen kann und mästet es, bis es als Kalbsschnitzel seine Bestimmung findet. Damit der Milchfluss nicht versiegt, werden Hormone gegeben. Was da über die Cerealien fließt, besteht zu einem Gutteil aus Medikamenten, Hormonen, Eiter und Blut. Wir Menschen sind Säugetiere – was ja oft genug betont wird. Aber welches Säugetier konsumiert zeitlebens Muttermilch – sogar von anderen Spezies? Diejenigen, die Fleischverzehr als "natürlich" ansehen, sollten sich das einmal vor Augen führen.
Die hochgepriesenen Bestandteile der Milch können sehr leicht aus anderen Nahrungsmitteln bezogen werden. Dazu ist es nicht notwendig, seiner Gesundheit mit diesem Cocktail aus schädlichen Ingredienzien zu schaden.
Die vegane Ernährung erfährt trotz aller Gegenargumente eine immer größere Akzeptanz. Viele junge Menschen sind es mittlerweile, die diesem Strom folgen. Wer das mit einer Modeerscheinung begründet, sollte zugestehen, dass sehr viele solcher Moden es zur kollektiven Sicht der Dinge geschafft haben. Die Römer konnten sich vor Lachen kaum halten der Hosen wegen, die von den aus ihrer Sicht barbarischen Stämmen getragen wurden. Man hielt diese Beinkleider für unmännlich und weibisch. Heute sieht man eher selten eine Toga in den Büros, und Hosen gelten für männlich.
Vielleicht wird das Statussymbol "Fleischessen" einmal als unglaubliche Barbarei angesehen werden – so wie heute die Todesstrafe, die in früheren Zeiten als äußerst moderates Mittel zur Eindämmung der Kriminalität galt. Ein angenehmer Begleiteffekt dieser Entwicklung wäre das Fehlen gewisser Bilder, auf denen zu Skeletten abgemagerte Menschen zu sehen sind – außer natürlich in Geschichtsbüchern. Wenn man das Bild von niedlichen Kälbchen und Schweinchen nicht vor Augen hat und rein aus ökologischen und gesundheitlichen Gründen die Argumente beider Seiten prüft, wird entweder ein Aha-Effekt hier eintreten – oder der gutgeölte Verdrängungsmechanismus da.
Es liegt noch an jedem Einzelnen – aber nicht mehr sehr lange: Die sinkende Wasserqualität könnte sehr bald zu einer Wasserknappheit führen, die auch in Europa spürbar werden würde. Da hilft auch kein Wein statt Sprudel zum Rollbraten – denn der besteht nun auch zum größten Teil aus eben diesem unverzichtbaren Stoff Wasser.
© Textbeitrag "Veganer, Vegetarier und die glücklichen Ferkel": Winfried Brumma (Pressenet), 2014. Bildnachweis: Spanferkel, CC0 (Public Domain Lizenz).
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