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Deutschland hält bei weitem nicht die Spitze der Länder, was die Streikfreudigkeit betrifft. Eher das Ende der Tabelle, könnte man sagen. Wenn sich die Arbeitsverweigerungen dann allerdings häufen, wundert man sich doch ein wenig, bevor man sich ärgert. Das letztere kommt dann vor, wenn die Benutzung der Bahn unumgänglich für das Erreichen des Arbeitsplatzes ist, bzw. die Unterbringung der Kinder in einer Kita, bevor man anfängt zu arbeiten.
Das Recht zu streiken sollte auch unangefochten sein, keine Frage. Gewerkschaften stehen hinter den Arbeitnehmern und organisieren die Arbeitsniederlegungen. Die Zeiten, in denen Streikbrecher mit gesenktem Kopf durch die Reihen der Kollegen schlichen, um zu arbeiten, sind vorbei. Sie galten als Verräter und wurden auch so behandelt. Das bedeutet Bespucken, Schlagen und vor allem den Ausschluss aus der Gemeinschaft.
Nicht alle Familienväter oder Mütter hatten den Mut, die Arbeit niederzulegen, wenn sie hungrige Münder zu füttern hatten. Manche standen einen Streik nicht durch – konnten ihn nicht durchstehen. In diesen harten Zeiten konnte tatsächlich von einem "Arbeitskampf" gesprochen werden. Streikführer lebten gefährlich, und Streikbrecher ebenfalls.
Den Arbeitskämpfen vergangener Zeiten verdanken wir heute so einiges, was uns als selbstverständlich gilt. Zwar werden die Bedingungen wieder härter und nähern sich in manchen Fällen wieder dem Arbeitsklima der "schlechten alten Zeit", aber diese Härten betreffen vor allem die Arbeitnehmer, die keine Lobby haben. Leihfirmen haben regen Zulauf – nicht, weil die Arbeitnehmer solche Verträge besonders schätzen würden, sondern weil ihnen oft keine Wahl mehr bleibt.
Die Bedingungen für die so genannten Leiharbeiter sind grundsätzlich härter, als sie es für Arbeitnehmer mit betrieblichen Verträgen sind. Es muss die gleiche Arbeit gemacht werden – allerdings für weniger Lohn. Das ist in keiner Weise schönzureden. Gibt es im Betrieb auch festangestellte Arbeitnehmer, kommt das "Klassendenken" hinzu. Der Leiharbeiter wird als weniger wertvoll betrachtet und seine Leistung somit erst recht.
Wo man früher in den Fabriken ausländische Arbeiter grundsätzlich duzte und oft auch der Einfachheit halber ausnahmslos "Ali" oder "Maria" nannte, muss sich heute ein Zeitarbeiter oft "zweite Wahl" nennen lassen. Das hat natürlich keinerlei Berechtigung, aber es bedient das Klassendenken und den ewig gleichen Wunsch der Menschen, sich auf Kosten anderer zu erhöhen. Dazu kommt natürlich die Kompensation der eigenen Angst, denn allzu sicher ist der Job für Arbeiter schon längst nicht mehr.
Das gilt in zunehmendem Maße auch für gut ausgebildete Arbeitnehmer. So mancher Bürojob läuft über Leiharbeit – ebenfalls Jobs in der Pflege. Hier gibt es keine Gewerkschaft – keine Lobby, die eintritt für Rechte, die schon lange niemand mehr einfordert. Man kann nicht für ein Recht streiken, das es akzeptierterweise nicht mehr gibt. Wer den Vertrag unterzeichnet, akzeptiert die Bedingungen. Das tut nur, wer es muss.
Das Recht auf faire Entlohnung wird bewusst abgegeben – aber das Recht auf Würde kann nicht einfach vertraglich negiert werden.
Der dysfunktionale Arbeitsmarkt schafft ein riesiges Reservoir für Zeitarbeitsfirmen. Verweigerung ist somit keine Option, um Veränderung zu erzwingen. Jedenfalls nicht auf den ersten Blick.
Ein Generalstreik der Zeitarbeiter wäre allerdings für die Wirtschaft nicht folgenlos. Ganz und gar nicht. Hier wäre ein Zusammenschluss notwendig. Eine Gewerkschaft gibt es ja nicht. Und es wäre auch nicht gut, gäbe es sie. Denn in diesem Falle wäre die "Zweiklassen-Arbeitnehmerschaft" etabliert. Und so weit darf es nicht kommen.
Wir können hoffen, dass die Leiharbeit irgendwann als unrühmliches Zwischenspiel angesehen werden wird und wir in Zukunft so darüber denken, wie wir es über die Arbeitsbedingungen in früheren Zeiten tun.
Streik ist ein Recht. Und sollte es für alle sein.
© Textbeitrag "Streikrecht ist gutes Recht": Winfried Brumma (Pressenet), 2015. Bildnachweis (CC0, Public Domain Lizenz): mitte: Armut Armut (Illustration) sowie unten: Skulptur Arbeiter (Skulptur).
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