|
Der Asphalt ist heiß im Stadtsommer, zu heiß für Hundepfoten. Da man aber irgendwie dahin kommen will, wo der Waldschatten anfängt, muss man eben nach Plan vorgehen. Also die Straßenseite so oft wechseln wie nötig, um sich und den vierbeinigen Begleitern etwas Schatten zukommen lassen zu können. Routine an heißen Sommerabenden.
Man kennt eigentlich jeden Baum hier im Viertel und hat die spezielle Route im Kopf. Gleich kann man aufatmen, denn die Straße mit den vielen Bäumen ist gleich erreicht. Dort wird zwar die Straße neu angelegt, aber das ist auch gar nicht so schlecht, weil der Autoverkehr umgeleitet wurde. Fast schon wie der Feldweg, der in den Wald mündet.
Aber schon als die Ecke in Sicht kommt, hinter der die Allee liegt, weiß man, dass etwas nicht stimmt. Das Sonnenlicht gleißt, es ist viel zu hell. Und dann steht man am Anfang der Straße mit dem schönen grünlichen Halbschatten und erkennt sie kaum wieder.
Die Bäume sind weg. Um die zwölf Linden und Kastanien müssen es gewesen sein auf einer Seite, und auf der anderen mindestens fünf. Alle sind weg. Am Rand des für den neuen Belag vorpräparieren Schotterwegs ist nichts als eine Art Bank aus Erde, in der die Stümpfe noch zu sehen sind. Und sie sehen gesund aus.
Man starrt auf diese traurigen Überbleibsel und kneift die Augen zusammen, um nicht geblendet zu werden von der Sonne. Diese Allee hatte nie bessere Immobilien oder gar Villen beschattet, sondern Wohnblocks für Leute mit eher geringem Einkommen. Die nicht gerade schönen Häuserblocks stehen nun wie nackt im Licht – und ihre Trostlosigkeit ist jetzt wie mit dem Zeigestock präsentiert. Jeder Eingang ist von zwei kleinen Rasenstücken eingerahmt, die jetzt aber schon gelblich wirken und vertrocknet aussehen. Man fragt sich, ob die Bewohner sich jetzt freuen, dass sie viel mehr Sonne in ihre Fenster bekommen. Oder ob sie sich so schutzlos fühlen, wie ihre Wohnungen jetzt von außen aussehen.
Bäume wachsen langsam. Sie brauchen sehr lange, bis sie richtige Schattenspender sind. Sie produzieren doch Sauerstoff, vereinfacht ausgedrückt. Sie wachsen nicht einfach wie Gras, das sich in wenigen Tagen erneuert. Beim Weitergehen ist die Stimmung gedrückt. Es ist, als habe man etwas sehr Wertvolles verloren. Und das ist auch so. Dieser Spruch der da heißt "wenn Bäume statt Sauerstoff freies WLAN produzieren würden, würden alle Bäume pflanzen wie verrückt" hat seine Berechtigung.
Diese Bäume hier hatten nicht nur die Straße in ein weiches, grüngoldenes Licht getaucht. Sie haben allen etwas Lebenswichtiges gegeben. Jetzt wird diese Straße bald sehr ordentlich aussehen, da kann man sicher sein. Der ausgetretene, abgetretene Gehweg wird neu gepflastert werden und die Autos werden mit dem neuen Straßenbelag wie Schiffchen auf einem ruhigen See gleiten. Wunderbar.
Doch die Menschen werden hier wohl kaum mehr schlendern, so wie sie es meist getan hatten. Die Kinderwägen werden schnell geschoben wie überall in der Stadt, denn wenn es regnet, halten die dichten Laubblätter nichts mehr ab. Im Stadtsommer wird die Sonne den neuen Belag aufheizen, kleine Kinder und Hunde werden sich nicht sehr wohlfühlen. Das schlechte Gefühl in der Magengrube bleibt lange, denn mit den Bäumen ist mehr verschwunden als Schatten für die Fußgänger.
Und es bleibt die Frage, ob die Wohnungen auch verschwinden werden. Schon wurde eine neue und schicke Wohnanlage gebaut, gleich vor der Kurve zur Allee. Dort sind die Wohnungen teuer. Auch dort sind Bäume verschwunden, aber nicht mehr als zwei oder drei. Es fiel unangenehm auf, sicher. Aber hier hat man das Gefühl, als seien die wahren Bewohner der Straße gewaltsam entfernt worden. Dabei haben sie lange, sehr lange dort gewohnt.
Wenn Bäume sehr, sehr teuer wären – dann hätten sie vielleicht eine Chance gehabt. Aber die Straße wird vielleicht bald eine Spur mehr haben. Dann können mehr Autos in die beiden nächstgelegenen kleinen Vororte gelangen. Das ist wahrscheinlich wichtiger als Sauerstoff und grüngoldenes Licht.
© "Stadtsommer: Die trostlose Allee ohne Bäume": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 06/2018. Bildnachweis: Bäume in der Stadt, CC0 (Public Domain Lizenz).
Weitere Beiträge Magie der Bäume und Pflanzen: Aufruf zur Bienenfütterung: Pflanzen Sie Bienenweiden! | Warum man keine Schnittblumen kaufen sollte | Lauch | Nussbaum | Brombeere
Archive:
Jahrgänge:
2022 |
2021 |
2020 |
2019 |
2018 |
2017 |
2016 |
2015 |
2014 |
2013 |
2012 |
2011 |
2010 |
2009
Themen:
Rezensionen |
Krimi Thriller |
Ratgeber |
Sagen Legenden |
Fantasy Mythologie
Noch mehr Bücher lesen (Werbung):
Fantasy & Science Fiction
| Krimis & Thriller
| Ratgeber
| Reise & Abenteuer
Sie schreiben anspruchsvolle Romane und Erzählungen? Wir suchen neue Autorinnen und Autoren. Melden Sie sich!
Wenn Sie die Informationen auf diesen Seiten interessant fanden, freuen wir uns über einen Förderbeitrag. Empfehlen Sie uns auch gerne in Ihren Netzwerken. Herzlichen Dank!
Sitemap Impressum Datenschutz RSS Feed