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Zu Beginn: Antike Grundlagen
Die Wendentoranlage wurde 1818 bis 1820 nach Plänen von Peter Joseph Krahe gebaut. Die Häuser sind im klassizistischen Stil nach Plänen von klassischen Landhäusern, so genannten Villen in Italien, erbaut worden. Auf die einzelnen Punkte soll nun weiter eingegangen werden.
Am Anfang floss die Oker
Ohne eine Furt hätten sich wohl nie Menschen an der Stelle des heutigen Braunschweig angesiedelt, denn sie ermöglichte den Händlern ihren Weg über die Oker hinweg fortzusetzen. Außerdem war ab hier die Oker schiffbar, dass heißt, ab hier konnten Waren vom Binnenland nach Bremen und weiter zur Nordsee transportiert werden. Ein idealer Ort für Geschäfte.
Braunschweig
Aus mehreren kleinen Ansiedlungen wuchs bis in das 13. Jahrhundert hinein eine Stadt mit fünf Weichbildern, die einen föderalistischen Bund bildeten. Erst Heinrich der Löwe beschließt, aus dieser Ansiedlung eine herrschaftliche Pfalz zu machen. Er lässt eine Burg und einen Dom bauen, errichtet Adelshöfe.
Der Braunschweiger Burglöwe
Diese Machtdemonstration verlangte natürlich nach äußerem Schutz. Dafür ließ sich nun wieder die Oker gut nutzen. Gräben werden angelegt. In Folge dehnt sich die Stadt bis zu den Flussufern aus.
Zeitsprung
Im Jahre 1692 beginnt eine Modernisierung der mittelalterlichen Befestigungsanlagen. Barocke Wallanlagen werden errichtet. Bis ins 18. Jahrhundert hinein werden diese erweitert. Mächtige Wehranlagen entstehen, die zu einer rigorosen optischen Trennung von Stadt und Land führt. So entsteht z. B. zwischen Petritor und Wendentor die Bammelsburg. An der Stelle des heutigen Gaußbergs stand einst das spitzwinkelige Rudolfsbollwerk. Zeitweise befand sich hier sogar eine Windmühle.
Napoleon und die Zeit danach
Nach den Befreiungskriegen von der Herrschaft Napoleons ist die geschichtliche Situation eine völlig andere. Die Notwendigkeit massiver Bollwerke war nicht mehr gegeben. Außerdem hatte sich die Funktionalität einiger Bauwerke als fehlerhaft erwiesen; einige Stellen des Umflutgrabens waren dem Versumpfen nahe.
Innerer und äußerer Wandel
Auch die innenpolitische Situation hatte sich verändert. Zwar wird das Braunschweiger Land, wie allgemein üblich, noch absolutistisch regiert, aber das Gedankengut der Französischen Revolution hielt auch hier Einzug und wurde bei Hofe nicht negiert. Dieser Wandel nimmt auch Einfluss auf die Bauweise.
So werden die Wallanlagen geschliffen und in Parkanlagen umgewandelt. Allerdings verwendet der Architekt, Peter Joseph Krahe, noch nicht den mit dem neuen Gedankengut aufgekommenen "englischen Landschaftsstil", sondern auf Anordnung den herkömmlichen barocken Gartenstil.
Doch es gehörte auch in die Zeit, Baustile vergangener Epochen wiederzuentdecken. Dabei sollte die innere Funktion des Gebäudes dem äußeren Stil entsprechen. Polizeigebäude wurden also z. B. im klassizistischen Stil gebaut. Andererseits baute man teils gewaltige Denkmäler zur Erinnerung an den Sieg über Napoleon.
Zurück zu den Wallanlagen
Man muss sich vorstellen, dass sich die Bewohner, als die Wallanlagen noch ausschließlich zu den Befestigungsanlagen gehörten, wie in einer gesicherten, fast dörflichen Bastion befanden, die sie nur durch die Tore verlassen konnten. Dadurch kann man begreifen, welche Bedeutung den Toren der Stadt zu jeder Zeit zukam, warum mit viel Sorgfalt besondere Brücken, Laternen, Plätze für den Torbereich entworfen wurden. Doch dazu später mehr.
Durch die geschliffenen Wallanlagen bot sich den Bewohnern der Stadt eine neue Perspektive. Durch die Parkanlagen schlendernd konnte man gemütlich von oben in die Ferne außerhalb der Stadtgrenzen sehen. Ja, man konnte sich schon fast als Teil der Natur fühlen. Dazu einige Bilder.
Vielleicht kann man jetzt die Höhe solch eines Walles und dessen Wirkung in Zusammenhang eines Flusses besser begreifen.
Zuletzt noch ein Beispiel für eine Brückenlösung
Es lohnt sich bei einer Okertour auf eine weitere Entdeckungstour zu gehen.
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Peter Joseph Krahe
Peter Joseph Krahe entwarf die Pläne zur Umgestaltung der Wallanlagen. Es entstanden neue Brücken, Plätze, Torhäuser, die Löwenwallanlage mit dem Obelisken, Wohnhäuser, Promenaden, Parks. Natürlich auch die Wendentorhäuser. Geboren wurde Krahe am 08.04.1758 in Mannheim. 1775 beginnt er das Studium an der Kunstakademie in Düsseldorf. 1780 wird er Professor für Malerei und Perspektivkunst. 1781 bricht er dann nach Italien auf, wo er bis 1786 bleibt. Während des Aufenthalts wendet er sich aus unbekannten Gründen der Architektur zu. Nach 1783 malt Krahe nie mehr ein Bild, aber seine dann folgenden Bauskizzen strahlen eine besondere Schönheit aus.
Nach der Zeit in Italien 1787–1789 findet er Arbeit in Koblenz und Düsseldorf. 1790 heiratet er Marianne von Nell und geht nach Trier, wo er mehrere Jahre als Architekt tätig ist. Leider stirbt seine Frau zwei Jahre später. 1798 heiratet er ein zweites Mal. 1803 kommt er nach Braunschweig und wird zum braunschweigischen Kammer- und Klosterrat und Leiter des herzoglichen Bauwesens ernannt.
1814 wird er dann Herzoglich Braunschweigischer Oberbaudirektor. Nach langen Jahren erfolgreicher Tätigkeit stirbt Peter Joseph Krahe am 07.10.1840 in Braunschweig.
Krahes persönlicher Stil
Entscheidend für Krahes Werdegang war sein Aufenthalt in Italien, was zu jener Zeit nicht unüblich war. Viele Literaten, Maler, Architekten, usw. brachen zu einer so genannten Bildungsreise auf. Krahe studierte und skizzierte antike römische Architekturen, aber auch Renaissance-Bauten. Er interessierte sich besonders für Palladio, den großen Baumeister der Renaissance. Er las seine Werke, vermaß seine Bauwerke, änderte sie auch ab, da er Geschmack an ionischen Elementen fand. Erhalten geblieben ist so eine Zeichnung von der Villa Cornaro bei Piombino.
Palladio hingegen lernte sehr viel bei Vitruv, einem Baumeister aus der Antike. Auf beide Männer wird noch näher einzugehen sein.
Durch Krahes Studien antiker Bauwerke, seiner Hinwendung zur Architektur, seiner Kenntnis des Palladio und indirekt des Vitruv wurde er ein Fachmann des Klassizismus. Aber in seine Arbeit flossen auch Elemente der modernen Strömungen und Moden mit ein, so dass sich ein eigener persönlicher Stil entwickelte. Einige Beispiele sollen das veranschaulichen:
Palladio, der große Baumeister der Renaissance
Palladio wird 1508 in Padua geboren, verlässt aber schon 1525 seine Vaterstadt und geht nach Vicenza. Dort verbringt er seine Lehrjahre in der Maurer- und Steinmetzzunft.
Als er mit Bauarbeiten an der Villa des Grafen Trissino in Cricoli beschäftigt ist, erregt er dessen Aufmerksamkeit. Nach Beendigung der Bauarbeiten wird er ständiger Mitarbeiter und Freund des Hofes. Wie viele der damaligen Fürsten in Italien war Graf Trissini humanistisch gebildet und stolz darauf, wie viele andere auch, dieses Wissen erweiterten Kreisen seines Hofes zu weiterzuvermitteln. Palladio hatte Glück gehabt, Trissinos Interesse geweckt zu haben, denn so konnte er an der humanistischen Bildung am Hof teilhaben. Diese Ausbildung war von entscheidender Bedeutung für Palladios berufliche Entwicklung.
1541 reiste Palladio in Begleitung Trissinos nach Rom, um die Antike zu studieren, denn wenn man im Klassizismus ganz Italien als Reiseziel im Visier hatte, galt dies in der Renaissance und besonders für Humanisten in erster Linie nur für Rom. Palladio vermisst und katalogisiert dort antike Überreste.
In den folgenden Jahren weitet er sein Wissen aus und bereist viele Provinzen Italiens und auch die Provence. Er wird so zum großen Kenner der antiker Bauwerke. Früchte dieser Arbeit sind wichtige schriftstellerische Arbeiten, die in den nächsten Jahren folgen. Zuerst erscheint 1554 ein Mirabilienführer zu den antiken Baudenkmälern Roms. 1556 erscheint eine Vitruv-Ausgabe, an deren Entstehung er stark beteiligt war.
Um 1570 endlich erscheint sein so bedeutendes Werk: die "Vier Bücher zur Architektur".
Palladios Werke
Bis zu seinem Tode 1580 in Venedig entstehen viele Bauwerke von ihm. Die meisten davon in Venetien.
Einblick in die Architektur der Antike bekam Palladio durch die Kenntnis der Werke des Vitruv.
Ein antiker Lehrer
Marcus Vitruvius Pollio war ein Architekt, der zur Zeit Kaiser Augustus, also gegen Ende 1. Jhd. vor Christus, gelebt hat. Man schreibt ihm höchstens ein Gebäude zu, das er allein gebaut haben soll. Auch ist kaum etwas über sein Leben oder seine Bautätigkeit bekannt. dennoch ist er für alle nachfolgenden Jahrhunderte ein wichtiger Mann, denn er hat das einzige aus der Antike erhaltene Buch über die Baukunst geschrieben. Es heißt "Die zehn Bücher über Architektur". Durch diesen Lauf der Geschichte wurde Vitruv zum Vater der abendländischen Architektur.
Zurück zu den Torhäusern in Braunschweig
Nach dem Einblick in die Vorbilder Krahes soll nun auf die Torhäuser eingegangen werden. In Krahes Nachlass befinden sich, wie schon erwähnt, Zeichnungen sowohl von den Torhäusern als auch von einer römischen Toranlage. Natürlich ist dieses herrschaftliche Torhaus nicht mit den braunschweigischen Torhäuschen zu vergleichen, aber das betrifft in erster Linie nur die Pracht. Schaut man genauer hin, findet man die Idee des römischen Tores besonders deutlich am Steintor und am Fallersleber Tor wieder. Am meisten abweichend ist die Wendentoranlage und das Augusttor.
Das Augusttor
Das zuerst erbaute Augusttor wich insofern ab, weil zwei bereits vorhandene kubische Häuser umgebaut werden mussten. Deshalb lag ihm der Tempel von Paestum als Vorbild zu Grunde. Heute sind nur noch die Säulen von der Wache im Bürgerpark vorhanden.
Das Petri- und Wilhelmtor
Zwischen dem Bau des Augusttores und der anderen Tore liegen rund zehn Jahre. Während das Augusttor "nur" umgebaut werden musste, lagen bei den anderen Anlagen ein Konzept, ein Programm mit einer bestimmten Absicht vor. Darum folgen diese Bauten relativ schnell aufeinander. Krahe bekam den Zuschlag vor dem Gegenentwurf von Fickert. 1815–1816 beginnt er mit dem Bau des Petritores. 1817 folgt dann das Wilhelmitor mit den Parkanlagen am Giselawall. Beide Anlagen sind zerstört.
Die Wenden-Toranlage
1818–1820 folgte die Wenden-Toranlage, deren Bauleitung Krahes Schüler Ottmer hatte. Die straßenbauliche Situation, die hier bereits vorgegeben war, erforderte es, die bisherige Vorgehensweisen zu ändern. Die Häuser wurden gedreht, so dass die Längsseite dem Platz und nicht der Straße zugewendet war.
Das Fallersleber- und Steintor
Fallersleber- und Steintor entstehen 1819 und 1820. Beide sind noch original erhalten und erinnern noch am deutlichsten an das römische Tor, die Auszierungen jedoch sind grundverschieden.
Das Hohe Tor
Als letztes entstand 1823 das Hohe Tor, das bei Durchbruch des Madamenwegs abgerissen wurde.
© Textbeitrag und Fotomaterial zu "Antike Grundlagen und Architektur der Wendentorhäuser in Braunschweig": Autorin Syelle Beutnagel, 2015.
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