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Efraim Karsh, Leiter des Mediterranean Studies Programme am King's College der University of London, beschreibt in seinem Buch "Imperialismus im Namen Allahs" die Geschichte des Islam – beginnend mit dem Propheten selbst über die arabischen Großreiche und das Osmanische Reich bis zu Al Quaida – als eine Geschichte des Traums von der islamischen Weltherrschaft, der Gemeinschaft der Gläubige von Gott versprochen, der bis heute nicht ausgeträumt sei. Osama bin Laden gesteht er die historische Bedeutung zu, den "jihad" durch Einsatz von "Märtyrern" auf den heimischen Boden des erklärten Hauptfeindes Amerika getragen zu haben. Heutige Anschläge stehen in dessen Nachfolge.
Auf Seite 351 seines Buches schließt Karsh seine Ausführungen mit diesem Abschnitt ab:
"In der historischen Vorstellung vieler Muslime und Araber ist bin Laden kein Geringerer als die neue Inkarnation Saladins (Anmerkung: Saladin, 1138-1193 eroberte u. a. Damaskus, Mittelsyrien, Aleppo und Jerusalem, gilt heute noch als Held des Islam.) Der Krieg des Hauses des Islam um die Weltherrschaft ist ein traditionelles, ja sogar ehrwürdiges Bestreben, das keineswegs vorüber ist. Erst wenn sich die politischen Eliten des Nahen und Mittleren Ostens sowie der muslimischen Welt mit der Realität des staatlichen Nationalismus abfinden, wenn sie panarabischen und panislamistischen Träumen abschwören und den Islam zu einer privaten Glaubenssache statt zu einem Werkzeug politischer Ambitionen machen, werden die Menschen in diesen Regionen endlich einer besseren Zukunft entgegenblicken können, die frei ist von allen Möchtegernsaladinen."
Natürlich habe ich mich schon beim ersten Lesen an dem Begriff "Nationalismus" gestoßen. Aus der Frühzeit der BRD gedenkt mir das geflügelte Wort vom "fluchwürdigen Nationalismus". Allerdings weiß ich nicht mehr, wer das so formuliert hat. In einen Begriff kann man viel hineinstopfen. Das zeigt sich beim Recherchieren. Allerdings wird Nationalismus überwiegend negativ gesehen.
Eine Nation besteht aus vielen Einzelpersonen. Aber ich denke, man kann auch eine Nation als Person betrachten. Auch eine Einzelperson ist zumindest selten ganz frei von inneren Gegensätzlichkeiten.
Selbstwertgefühl kann eine Persönlichkeit stützen und tragen. Das sah schon die mosaische Überlieferung so, die der Mann aus Nazareth in "Markus 12" zitiert und sagt, dass man seinen Nächsten lieben solle wie sich selbst. Also wird die Selbstliebe bejaht, ja sogar empfohlen, aber der Nächste ist mit eingeschlossen. Selbstliebe darf darum weder im Miteinander von Menschen noch von Nationen so weit gehen, dass es zur Selbstüberhebung kommt, und die Überzeugung vom eigenen Wert dazu führt, dass man sich berechtigt fühlt, den Nächsten zu schädigen, um selbst Nutzen daraus zu ziehen. In diesem Rahmen scheinen mir positive Gefühle für die eigene Nation durchaus annehmbar.
Unsere Empfehlung: Der Autor Friedrich Treber bietet mit seinen Erzählungen, Essays und Gedichten viele Augenblicke zum Innehalten. Die Leserinnen und Leser werden zum Nachdenken über die Welt angeregt und erfahren (vielleicht) auch die ein oder andere eigene Wahrheit. "Und das Wort ward Stein" (Mitte 2022 erschienen) gibt es als gebundene Ausgabe (177 Seiten) und auch als E-Book.
Karsh selbst sieht Nationalismus so: "Handelt es sich bei einer Nation um eine Gruppe von Menschen, die Eigenschaften wie eine gemeinsame Herkunft, Sprache, Kultur, Tradition und Geschichte teilen, so bedeutet Nationalismus das Streben einer solchen Gruppe nach Selbstbestimmung innerhalb eines bestimmten Territoriums, das sie als ihre Heimat betrachten." (Karsh, S.17)
Der Autor kritisiert die Bestrebungen, im Nahen und Mittleren Osten, arabische oder islamische Großreiche zu schaffen. Schon die Araber hätten sich in der Geschichte nie als Einheit empfunden. Die Unterworfenen der islamischen Eroberungen hätten zwar die arabische Sprache übernommen und etwa in dritter Generation auch den islamischen Glauben, sich zwar dem fernen Kalifen oder Sultan untertan gefühlt, aber ansonsten regionale Loyalitäten gegenüber dem Clan, dem Stamm, der ethnischen Minderheit oder religiösen Sekte gepflegt. So stand und steht den Bestrebungen ambitionierten Führern, größere Reiche zu schaffen, ein gewachsener Lokalpatriotismus gegenüber.
"Die Folge war eine gewaltige Dissonanz zwischen der Realität eines staatlichen Nationalismus und dem Traum von einem Imperium, der in der Vorstellung von einer geeinten 'arabischen Nation' oder der weltweiten islamischen Umma verpackt wird. Diese Dissonanz bestimmt den Nahen und Mittleren Osten bis ins 21. Jahrhundert hinein." (Karsh, S. 19)
Krieger brauchen keine Heimat, wenn Krieg ihr einziges Handwerk ist. Und das war während der Eroberungszeiten durchaus so gewünscht und verlieh den Landnahmen Dynamik.
"Der Unterhalt meiner Gemeinde beruht auf den Hufen ihrer Rosse und den Spitzen ihrer Lanzen, solange sie nicht den Acker bestellen; wenn sie aber anfangen, das zu tun, so werden sie wie die übrigen Menschen", äußerte schon der Prophet Muhammad.
Sein Nachfolger, der Kalif Umar, verbot den islamischen Invasionstruppen, das eroberte Land zu besiedeln. So kamen die Hände nicht an den Pflug und blieben beim Schwert. Andererseits, wo der Pflug mal für den einzelnen Bedeutung gewonnen hat, wird der sich wohl den Griff zum Schwert überlegen.
Als die militante Gruppe "Organisation des Heiligen Krieges" am 6. Oktober 1981 den ägyptischen Präsidenten Sadat ermordete und eine südägyptische Stadt besetzte, hofften ihre Anführer, damit eine landesweite Revolte auszulösen. Doch es gab keinen hinreichenden Zulauf. Den Grund dafür sehe ich kurz gefasst darin, dass in dem damaligen Ägypten für viele Menschen das Streben nach persönlichem Glück möglich war. Wer sein Glück durch eigenes Handeln erreichbar sieht, warum sollte der sich in einem Krieg opfern?
Gewaltsame Versuche, Reiche zu erschaffen, bringen nicht nur das Töten von Menschen mit sich, sondern rauben auch Heimat und Besitz, sowie Hoffnung auf die Zukunft und können zu Gewaltbereitschaft der Betroffenen führen.
Wo Menschen in Gemeinschaften leben, innerhalb derer sie sich sicher fühlen und das Menschenrecht des Strebens nach persönlichem Glück ausüben können, da wird wenig Neigung zu terroristischem Märtyrertum zu finden sein.
Allerdings sollte man die Kraft der Lehre, die einen Osama bin Laden vom wohlhabenden Lebemann zum opferbereiten Krieger bekehrte, und die bisher immer wieder neue Märtyrer hervorbrachte, auch nicht unterschätzen.
Klar steht aber auch: Jede Destabilisierung von Staaten des Nahen und Mittleren Ostens oder auch Afrikas leistet dem Terrorismus Vorschub!
Lesen Sie von Friedrich Treber auch die Buchbesprechung "Im Islam sind Religion und Politik nicht zu trennen".
© "Kann Terrorismus durch Nationalismus eingeschränkt werden?": Essay von Friedrich Treber. Bildnachweis: Kaaba in Mekka, CC0 (Public Domain Lizenz).
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