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Ein experimentierfreudiges Kind steckt sein Frettchen in die Mikrowelle und betätigt den Schalter. Doch das ist kein besonders übler Fall von Quälerei, denn der Tod des kleinen Tierchens dient der Wissenschaft. So sieht das der kleine Junge und verdrängt etwaiges Mitleid, das aufkommen könnte. Was er sich gestattet, ist eine Art stolzes Bedauern und Dankbarkeit.
So beginnt eine Reise in das Innere eines Mörders, der sich nicht als ein solcher sieht. Der Autor Tassilo Leitherer führt den Leser durch gewundene Gänge immer tiefer in die Welt eines Besessenen ein, die er sich selbst geschaffen hat und in der er fast ausschließlich lebt. Der Graben zwischen dem, was uns einigermaßen normalen Menschen (oder sollte man eher "funktionellen" sagen ) als Böse erscheint und dem, was ein auf Abwegen wandelnder Geist als richtig erachtet, ist unsagbar breit und unüberwindlich.
Niemand kann diese Kluft überwinden, auch nicht der zum Mann herangewachsene Junge, der so gerne den Tod überwinden möchte, um einen geliebten Menschen zurückzuholen. Mit dem Sterben wurde er sehr früh konfrontiert, und nicht gerade auf die sanfteste Weise. Was er erlebt hat, ist traumatisch und fast unaussprechbar – und dieses Erlebnis hat den Grundstein für das gelegt, was die Profession eines gequälten Kindes wurde: die Chirurgie.
Was am Anfang der Geschichte noch überschaubar scheint, wird zusehends zum Kabinett der bösen Spiegel, das immer wieder in die Irre führt.
Wie auch bei anderen traumatisierten Kindern hat der Chirurg Teile seiner Persönlichkeit abgespalten und lebt mit ihnen wie in einer Zweckgemeinschaft. Da sind der mitleidige Roberto und der böse, eiskalte Truman. Sie existieren nur durch ihn, den Wissenschaftler, der seine vor vielen Jahren getötete Mutter wieder zum Leben erwecken will. Das scheint einfach, aber je tiefer wir in das Haus des Mannes eindringen, desto mehr Fragen haben wir.
Wer tötete die Mutter? War es tatsächlich dieser sadistische Freier, und was geschah real an diesem Tag? – Gab es tatsächlich diese eine Frau, die ihr Leben mit der besessenen Dreifaltigkeit teilen musste, um weiterleben zu dürfen? Oder ist sie eine traumatische Abspaltung des Chirurgen, der ordnende Faktor seines Wesens, oder ein Aspekt des Todes? Seite für Seite öffnet sich ein mörderischer Schlund in dieser Geschichte, die mehr als einen Teufel hat. Oder sogar mehr als ein verkrüppeltes und leidendes Kind.
Es gibt verschlossene Türen in diesem Haus, die selbst der Chirurg nicht betritt. Denn sogar für ihn gibt es Wahrheiten, die er besser nicht erfährt und denen er sich doch nicht entziehen kann. Der leise Gang durch einen blutigen Operationssaal mit all seinen dunklen Winkeln gleicht einer Reise durch das Gehirn eines zu Tode gequälten Menschen, der Teile seines Selbst auslagern muss, um es nicht zu verlieren. Oder um es von sich fernzuhalten – das kommt manchmal auf das Gleiche heraus.
Leitherer wechselt die Kapitel gekonnt zwischen "Damals" und "Heute" – aber wie immer sich der Leser auch in den Gedanken und Vorstellungen des Chirurgen verliert, am Ende wird er aufgeschreckt durch ein unglaubliches Finale. Und bekommt letztendlich nicht alle Antworten auf die Fragen nach dem Tod und dem ewigen Leben.
"EwigSein", das aktuelle Buch von Tassilo Leitherer, bekommt von uns eine klare Leseempfehlung. Sein Roman ist nicht nur spannend, sondern psychologisch ebenso dichtgewebt wie gewagt. Und möglicherweise authentisch. Denn wer von uns kennt schon alle Gänge, die in unsere Tiefen führen?
Als Taschenbuch oder gebundenes Buch umfasst "EwigSein" jeweils 256 Seiten. Der Roman von Tassilo Leitherer, der via tredition Ende April 2019 veröffentlicht wurde, ist auch als E-Book erhältlich und kann in die Genres Psychothriller, Horror und Philosophie eingereiht werden.
© "Wer von uns kennt alle Gänge, die in unsere Tiefen führen?": Eine Rezension von Winfried Brumma (Pressenet), 2019. Dem Autor Tassilo Leitherer danken wir herzlich für das Rezensionsexemplar, 06/2019.
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Das Thema "Multiple Persönlichkeitsstörung" ist in Literatur und Film spätestens seit Robert Blochs Meilenstein "Psycho" (1959) und Alfred Hitchcocks gleichnamigem Film (1960) bestens bekannt. Moderne Leinwand-Psychothriller wie "Split" (2016) und sein Nachfolger "Glass" (2019) lassen den Alptraum grauenvoller nicht werden. Nicht zu vergessen das autobiografische Buch "Aufschrei" (1988) von Truddi Chase, die als Kind missbraucht wurde und mehr als 90 Persönlichkeiten in sich trug. Wer diese Bücher gelesen oder die Filme gesehen hat, der denkt an Abgründe:
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