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Es war einmal ein Bäck, der lebte im fünfzehnten Jahrhundert. Wie man sich das fünfzehnte Jahrhundert vorstellt, so war es. Kleinsattlerei, Dreck und Unwissenschaft, dafür barbarische Sitten und Gebräuche, so sagen wir heute. Aber der Mensch hat sich immer mit seinen Verhältnissen abgefunden. Deshalb hatte sich auch der Bäck abgefunden, er hatte sich in der Residenzstadt eines der beiden württembergischen Grafen eingerichtet.
Der Bäck betrieb seine Wirtschaft direkt gegenüber dem Grafenschloss. Anfangs hatte er recht misstrauisch die wohlhabenden Nachbarn angeschaut. Denn man wusste nie, was einem von dort zukam. Aber der Bäck war ein Schwabe, er bedachte die gute Geschäftslage und all die vielen Dämchen und Knäblein, die vom Tisch des Herrn nicht satt werden.
Nichts ist ganz ohne Risiko, sagte sich der Bäck. Außerdem ... schön dick tun die ja, die Grafen von und zu. Aber es ist nicht viel dahinter. Württemberg ist arm genug und dem Grafen gehört nur die Hälfte. So backte der Bäck und der Graf regierte. Sie hatten nicht viel miteinander zu tun. Schaute der Graf aus seinem Arbeitszimmer, konnte er in die Backstube sehen. Linste der Bäcker aus seinem heißen Quartier, saß der Schatten des Grafen am Fenster.
Nun begab es sich, dass der Graf ein Schriftstück versaute. Er begann zu fluchen, verfluchte den Tag, das Leben und den Schreiber, der das getan hatte. Danach biss er gedankenvoll in ein Brötchen. Es war das reinste Labsal! Der Graf schickte einen anerkennenden Blick zu seinem Nachbarn.
Etwas später wurde ein Lieferant für die königliche Tafel gesucht. Von da an ging es steil bergauf mit der Karriere des Bäckers. Er belieferte den Grafen anlässlich seiner Heirat mit einer italienischen Prinzessin und durfte sich Hoflieferant nennen. Nebenher wurde er auch mit der Belieferung des Findelhauses betraut, das der Graf nicht anerkannte, aber trotzdem eigene Kinder beherbergte. Denn die Zeiten waren lustig und Chemie noch unbekannt.
Bei der italienischen Prinzessin wollte es mit den Kindern nicht klappen. Das Schicksal des Landes hing an einem Thronfolger, der nicht geboren werden wollte. Eine verfluchte Zwangslage für den Fürsten. Die Theologen und andere gescheite Leute rieten dem Grafen, ins Heilige Land zu ziehen. An weihevoller Stätte sollte er um seinen Kindersegen bitten. Ein Graf ist ein Graf. Bequemlichkeiten aller Art gehören zum Lebensstil eines Grafen. Der Bäck musste mit.
Der Graf begab sich zu seinem Nachbarn, sah sich dessen Wirtschaft an, ließ sich von vorne und hinten bedienen und sagte dann zum Bäck: "Nimm deinen Ofen und komm mit ins Morgenland." Da war es egal, was der Bäck im Moment auf seinem Lebensplan hatte. Graf ist Graf, Untertan ist Untertan und Befehl ist Befehl.
"Heidenei", dachte sich der Bäck. Wo das Morgenland war, wusste er nicht. Weiter als bis ans Ende des Ermstals waren seine Gedanken nie gekommen. Andererseits – wenn es gut ginge, konnte man auch in diesem Morgenland Wecken und Brot verkaufen. Exportfreudig waren die Schwaben immer.
Nur das mit dem Ofen musste er dem Grafen ausreden. Es war eine durchaus schreckliche Vorstellung, mit einem provisorischen Ofen auf dem Buckel durch dieses glühend heiße Morgenland zu stapfen. Ofen sei Ofen, sagte er darum dem Grafen. Für seine Wecken genüge jeder Ofen, auch ein ausländischer.
Der Graf war zwar etwas misstrauisch, aber er sagte doch: "Mach eine Wanne Teig und komm mit." Denn den ausländischen Teig hätte er sich um nichts in der Welt aufschwatzen lassen. Wenig später zogen Bäck, Teig und mehrere plattengepanzerte Ritter unter klingendem Spiel zum Tal hinaus.
Schon in Schaffhausen fühlte sich der Bäck daheim. Und der Rheinfall faszinierte ihn. Schade, dass das Gelobte Land nicht in Schaffhausen lag. Sie mussten weiter nach Genua, und auf ein Schiff. Unser Bäck hatte schreckliche Angst, aber als Zivilperson durfte er das zeigen.
Die plattengepanzerten Ritter hatten ebenfalls Angst vor Wind und Wellen. Aber als Militärs starrten sie unbeweglich in die blaue Weite. Die Schiffsmannschaft bestand aus Seelenverkäufern. Bei dem Grafen und den Seinen hielten sie das nicht für ratsam. Die Gepanzerten und ihr bärtiger Graf mit dem ungeheuren Schwert sprachen dagegen. Da auch kein Sturm kam, gelangten sie ins Heilige Land. Das war damals nicht jedem Pilger beschieden.
Der Graf begab sich in die Grabkapelle Jesu und betete dort um einen Thronfolger und darum, dass es ihm gelingen möge, die beiden württembergischen Grafschaften in einer Hand zu vereinigen. In seiner natürlich.
Der Bäck war profaner beschäftigt, er backte für die Mohren und die Sarazenen und für die plattengepanzerten schwitzenden Ritter und machte ein gutes Geschäft dabei. Nach etlichen Monaten meinte der Obermufti von Jerusalem, der Graf habe genug gebetet und der Bäcker genug verkauft und man möge an die Heimfahrt denken. Allerdings musste der Graf vorher noch zu den einschlägig bekannten schwarzen Damen, um auszuprobieren, ob das mit dem Thronfolger klappen würde. Dem Bäcker nahm er sein Ehrenwort ab, nichts von dem Versucherle im Morgenland zu erzählen. Die Prinzessin durfte das nicht wissen. Der Bäck versprach es hoch und heilig.
Diese Geschichte könnte nun enden, mit Friede, Freude, Wecken und der Moral: "Seid untertan der Obrigkeit", wie Martin Luther die Bauern ein paar Jahre später mahnte. Aber so endete sie nicht: Sie zogen wieder ins Ermstal ein unter Trara und Singsang. Die Kapelle spielte: "Preisend mit viel schönen Reden" und "Auf'm Wasa grasat Hasa." Wer mit dem Grafen die beiden Jahre unterwegs gewesen war, galt als Person besonderer Art.
Das ermöglichte dem Bäcker, seiner Bäckerei eine Imbissstube anzufügen, in der sich der Stadtklatsch sammelte und in Wolken durch den Raum zog. Der Bäck erzählte zuerst vom Morgenland und dann von sich selbst. Aber seine Mären aus der Backstube waren langweilig. Schwarze Mohren, braune Sarazenen und die Töchter des Orients, das war interessant. Und – natürlich das, was denn der Graf getan hatte. Zuerst war der Bäck sehr vorsichtig. Aber dann kam er doch damit heraus, wie es gewesen sei – und auch das mit den Damen und der Hitze und ...
Nun hatte die Residenz des Grafen nur achthundert Einwohner. Dem Grafen kam rasch zu Ohren, dass sein Nachbar geplaudert hatte und sein Ruf untergraben war. Das konnte er sich nicht leisten, denn die Vereinigung der Grafschaften stand bevor. Sein Bruder war ohne einen Erben zu hinterlassen dahingegangen, bedrängt vom Grafen: Er müsse nur hier unterschreiben, und der Bruder dachte, es sei ihm egal was danach kam, da er im Sterben liege.
Nun hatte sich der König selbst angekündigt, der Graf sollte zum Herzog ernannt werden. Um keine Zeit zu verlieren, ließ der Graf die Grundmauern für eine gebräuchliche Zwingburg legen. Er ging davon aus, dass kleine Herren keine Neider haben. Große Herren haben aber große Neider, und die müssen ins Gefängnis.
Dem Grafen passte es nicht, als er hörte, sein erster Gefangener müsse der Bäck sein. Ändern konnte er es nicht. Mit Waffenklirren und Lederknarr holte man den Bäck aus dem Bett und brachte ihn auf die Zwingburg ins Verlies. Da konnte er sich besinnen.
Der Bäck ärgerte sich grün und blau. Ärgerlich starrte er auf die Dächer seiner Heimatstadt und machte sich Vorwürfe. "Hätt i doch bloß mei Gosch ghalte", dachte er. "Ond wenn dr Kenig kommt – wer kriagt no da Auftrag?" Ja, das dachte sich der Graf auch. Wer sollte backen zu den Feierlichkeiten?
Beiden war es gar nicht recht. Das Weib des Bäckers, eine mehlbestäubte grimmige Alte, ließ sich nicht von Rittern und Lanzen aufhalten, marschierte ins Arbeitskabinett des Grafen und bat um Mitleid für ihren Mann. "Der helt älleweil Maulaffa feil", sagte sie trotzig. "Aber an Schtaatsfeind isch er net. Eher a Rindvieh."
"Enn drei Däg kommt dr Kenig", sagte der Graf. "Sagetse ehm, er muass ebbes erfenda, wod Sonn dreimal durchscheint, sonst hänge mern am Keenigstag zum Behnelade naus."
Man holte den Bäcker aus seinem Verlies, und dann begannen die drei schrecklichsten Tage seines Daseins. Ihm fiel nur etwas ein, durch das die Sonne zweimal schien. Nie klappte das so wie es sollte, und der Scharfrichter überprüfte schon den Behnelade, ob er auch fest sei. Der Kanzler des Grafen guckte mit höhnischem Grinsen herein und sein Weib stand grimmig und mehlig, die Arme über der Brust verschränkt, in der Ecke.
Am Morgen des dritten Tages war es dem Bäcker ach und weh. Er überlegte, warum er sein junges Leben opfern sollte, kurz vor dem größten Geschäft seines Daseins. Da fiel ein Sonnenstrahl auf seine mehlige Alte und er sah, wie sie die Arme über der Brust verschränkt hatte. "Was isch jetzt dees", hat er laut Überlieferung gesagt.
Denn tatsächlich, die Verschlingung seiner Frau über ihrer eigenen Brust, durch die konnte die Sonne dreimal scheinen, wenn er etwas daran arbeitete. So wurde die Laugenbrezel erfunden. Der Behnelade kam nicht zu seinem Recht, der König kam, der Graf wurde Herzog. Die Kapelle spielte "Auf'm Wasa graset Hasa" und "Preisend mit viel schönen Reden".
Der Chronist stellt fest, dass dieses Halbmärchen wie ein solches endet. Nur: "Wenn sie nicht gestorben sind, u.s.w." lassen wir weg.
© Textbeitrag "Brezelbäck im Morgenland" von Berthold Zimmerer; mit freundlicher Genehmigung von Heidrun Böhm. Bildnachweis: Riesenbreze, CC0 (Public Domain Lizenz).
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