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Der Teddybär wußte nicht, wie viele Jahre er schon in dem dunklen Lagerraum darauf wartete, dass ihn endlich jemand einem Kind in die Arme legen würde. Teddybären wissen, dass sie für Kinder zum Liebdrücken da sind, das ist so.
Längst war er kein schöner neuer Teddy mehr. Einmal hatte es in dem Lager gebrannt. Brüllende und stampfende Feuerwehrmänner hatten Wasser in den Raum gesprüht. Auch er war naß geworden. Staub und Ruß hatten sich dann in seinem Fell festgesetzt. Eine hungrige Maus hatte an seinem linken Fuß geknabbert.
Oft waren Einbrecher in das Lager gekommen, aber die suchten keine Teddybären. Manchmal waren auch Kinder eingedrungen. Aber das waren keine Kinder gewesen, die Spielsachen mochten, sondern solche mit bösen hungrigen Augen, die böse geworden waren, weil niemand lieb zu ihnen war.
Nun war es wieder Weihnachten. Der Teddybär hörte es an der Musik aus dem Geschäft nebenan. Wenn Teddybären Weihnachtslieder hören, egal aus welchem Land oder in welcher Sprache, dann wissen sie, dass es Weihnachtslieder sind.
Diese Weihnachten wirst du wieder kein Kind finden, dachte der Teddybär traurig, aber er gab trotzdem die Hoffnung nicht auf.
An einem Morgen wurde die Tür geöffnet. Diesmal waren es keine Einbrecher, sondern zwei Männer, die sich laut unterhielten. "Lauter Mist und Dreck, alles für den Schutt", sagte der mit der Bärenstimme und dem Teddy wurde Angst.
"Was noch gut sein, sollen auf Seite legen, Frau haben so gesagt", piepste die andere Stimme. "Schon gut, Güngör, brummte der Bärenmann, "fangen wir also an, dafür werden wir bezahlt." Der Teddy hörte sie wühlen und immer näher kommen. Schließlich legte sich eine Hand auf ihn. Sie war groß genug, um ohne Mühe seinen Bauch zu umfassen und ihn hochzuheben.
"Sieh mal. Güngör", hörte der Teddy wieder die Bärenstimme, "der da ist zwar nicht mehr neu, aber damit könntest du einem armen Kind in der Türkei noch eine Freude machen." "Schade, haben nix mehr Platz ich", gab die Piepsstimme zurück.
Wieder nichts, dachte der Teddy.
Da redete der Mann mit der Piepsstimme weiter: "Aber du können doch brauchen für deine Kinder."
Unsere Empfehlung: Der Autor Friedrich Treber bietet mit seinen Erzählungen, Essays und Gedichten viele Augenblicke zum Innehalten. Die Leserinnen und Leser werden zum Nachdenken über die Welt angeregt und erfahren (vielleicht) auch die ein oder andere eigene Wahrheit. "Und das Wort ward Stein" (Mitte 2022 erschienen) gibt es als gebundene Ausgabe (177 Seiten) und auch als E-Book.
Die Bärenstimme knurrte jetzt ein wenig beim Sprechen: "Meine Kinder, die sehe ich zu Weihnachten nicht mal. Und wo die sind, bekommen sie so viele schöne Sachen, dass ich mit so was wie dem hier schon gar nicht landen kann." Damit holte er aus, um den Teddy in die hinterste Ecke zu schleudern, aber dann ließ er ihn doch ganz sanft auf den nächsten Stapel gleiten.
Ein richtiger Bär, dachte der Teddy, brummig und kratzig, aber dabei möchte er doch niemand wehtun.
Am nächsten Tag arbeitete der Bärenmann allein. Er murrte und brummte bei der Arbeit, weil ihm sein Rücken wehtat, und weil er in seiner freien Zeit noch für Geld Drecksarbeit tun musste. Dem Teddy war nicht ganz wohl, als der Mann anfing, den Stapel abzuräumen, auf dem er lag. Aber auf einmal legten sich die Bärenhände ganz sanft um ihn, und dann fühlte er sich liebgedrückt, so wie Teddys das gerne mögen. Die Bärenstimme brummte im zärtlichsten Bärenton, den es gibt, in sein Ohr: "Armer Teddy, hast kein Kind gefunden. Was mach ich nur mit dir, ich weiß auch keins für dich. Aber du gehst mir erst mit der letzten Fuhre hier raus." Damit trug der Mann den Teddy in den nächsten Raum und setzte ihn dort hoch auf einen Schrank.
Der Teddy war traurig über das, was ihm der Mann gesagt hatte, aber im Stillen hoffte er immer noch. Solange er nicht unter Schutt begraben war, konnte ihn immer noch ein Kind finden. Und dieser Mann, dessen grimmiges Bärengesicht so abgewetzt aussah wie das eines Zoobären, der ein Leben lang sein Gesicht zwischen Gitterstäbe gesteckt hatte, verstand ihn. Und das war schön so.
Als der Mann anfing, auch in dem Raum, in dem der Teddy auf dem Schrank saß, den Schutt wegzuräumen, wurde es dem armen Teddy doch wieder Angst. Wie der Raum leerer wurde, so wurde auch seine Zeit weniger.
Da hörte er aus dem anderen Raum die Stimmen von Kindern und von einer Frau. Vor Aufregung zitterte die Holzwolle in seinem Bauch.
Jetzt hörte auch der Mann die Stimmen, ließ die leeren Schachteln fallen und ging hinüber. Gleich darauf hörte ihn der Teddy fürchterlich brummen und knurren. Der ganze Kram gehöre ihm nicht, und niemand könne seine Kinder hier reinschicken, damit sie lange Finger machten. Er könne nicht die Sachen anderer Leute verschenken. Die Frau und die Kinder sollten sofort den Raum verlassen.
Er ist doch ein richtiger Bär, dachte der Teddy, brummt und knurrt, als wollte er gleich jemand auffressen, und sagt dazwischen immer wieder bitte.
Jetzt bat die Frau, ob sie nicht doch irgend etwas für ihre Kinder haben könnte. "Kinder?" brummelte der Bärenmann, "ach ja, warten Sie, aber vor der Tür, bitte!"
Die Holzwolle im Bauch des Teddy wollte anfangen zu hüpfen, als ihn die großen Hände vom Schrank herunternahmen. Noch einmal erschrak er, als die Bärenstimme neben seinem Ohr losdonnerte: "Vor der Tür warten, habe ich gesagt!" und die große Hand einen flinken Jungen beim Genick packte, dass er fallenließ, was er gerade in seine Tasche stopfen wollte. Dann aber fühlte er sich einem kleinen Mädchen mit langen schwarzen Haaren, das sich ängstlich an die Mutter schmiegte, in den Arm gedrückt.
Er hatte sein Kind!
Der Bärenmann schimpfte weiter auf die Frau ein, weil sie nicht gehen wollte. Endlich gab sie nach und sagte etwas in einer osteuropäischen Sprache. Der Teddy, der natürlich wie alle Teddys alle Sprachen verstand, weil Teddybären für alle Kinder dieser Welt da sind, hatte in seiner Seligkeit nicht so recht hingehört. So bekam er nur das Wort "brad" mit, und das heißt Bruder. Der Mann musste es auch verstanden haben, denn er wurde sofort ruhig.
Einige Stunden später war der Teddy am schönsten Platz, den es für Schmusetiere gibt. Die Mutter hatte das Mädchen mit viel Mühe überredet, seinen neuen Freund aus dem Arm zu geben. Sorgfältig hatte sie sein Fell mit einer weichen Bürste und Seifenschaum gereinigt. Dann durfte ihn das Mädchen mit einem am Ofen angewärmten Tuch abtrocknen wie ein Baby. Nun war das Kind in seinem Bettchen eingeschlafen, und der Teddy lag in seinem Arm.
Er dachte an den seltsamen Mann, der sich trotz allem, was ihm zugestoßen sein mochte, ein Kinderherz für Teddybären bewahrt hatte. Wie mochte es ihm jetzt ergehen?
Er ist ein Bär, dachte der Teddy. Bären stellen sich oft ungeschickt an, murren und jammern viel, aber wenn es so richtig eng wird, dann wissen sie sich wohl zu helfen.
So getröstet ließ er sich tief in seine Teddyträume einsinken, in denen die Welt so ist, wie sie sein sollte, und jeder Teddy sein Kind findet.
© "Teddybärs wichtigste Weihnacht": Erzählung von Friedrich Treber; Foto des Bären: Pressenet. Mehr Literatur von Friedrich Treber finden Sie auf diesen Seiten: Rettender Bruch sowie Literatur-Auswahl von Friedrich Treber. Hören Sie Musik und Literatur von Friedrich Treber auf Spotify.
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