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Es heißt, die Sonne scheint auf Gerechte wie auf Ungerechte, und dass die schöne Erde die duldsamste Mutter ist, die man sich denken kann. Doch stimmt das nicht immer, wie in der Legende vom Watzmann erzählt wird.
Vor langer, langer Zeit gab es einen Herren – manche sagen sogar, dass er ein König gewesen sein soll – in der Gegend, die man heute die Berchtesgadener Alpen nennt. Jedenfalls war er ein hochgestellter Herr, und er liebte die Jagd ebenso, wie er die Menschen verachtete. Das Land galt dem Herrn nichts und das Leben darin sah er als Jagdbeute. Wie Hagel fielen seine Reiter und er in die Wälder ein, in die Felder und Herden. Mit ihm ritten sein Weib, das ihm in nichts nachstand, weder im Jagdgeschick noch an Grausamkeit, und seine sieben Kinder. Die kannten nichts anderes als das, was sie für ihr Geburtsrecht hielten – das Töten und die Grausamkeit um des Vergnügens willen.
So war der Herr dieses Landes auch sein Fluch, denn er dachte an nichts anderes als an seine Leidenschaft und ergab sich ihr Tag für Tag, so dass die Menschen kaum noch in der Lage waren, sich zu ernähren und in ständiger Furcht lebten. Den wilden Watzmann nannte man ihn erschauernd, und wo er mit seiner Jagd durchgeritten war, fluchten ihm die Bauern ihrer zertrampelten Äcker wegen und die Hirten schrien ihre Klagen zum Himmel. Denn wenn gerade kein Hirsch oder Eber zu speeren war oder nichts mit einem Pfeil zu erreichen, metzelte man unter den Schafen und Ziegen der Bergleute und hielt dies für einen großartigen Spaß.
Wenn es ein verzweifelter Schäfer wagte, dies zu beklagen, während die Schinder unter den Tieren wüteten, kam es nicht selten vor, dass man seinen Leichnam inmitten seiner toten Tiere fand. Was immer atmete, war für den Watzmann und seinesgleichen nichts als etwas, das man ungestraft morden konnte. Die Erde war fast ebenso feucht von Blut wie von Regen, und das Land wurde karg und verwilderte zusehends, weil viele Menschen tot waren oder geflohen und es kaum noch Wild gab. Das störte die Wahnsinnigen nicht, noch immer trieb es sie um und durch die Wälder, immer auf der Suche nach Blut.
Und so kam die Jagdgesellschaft des Watzmanns eines Tages in ein einsam und versteckt liegendes Tal, in das nur ein schmaler Pfad führte. Diesem folgend stießen sie auf eine kleine Schäferhütte, vor der eine Frau mit einem Kind auf dem Schoß saß. Als sie die Reiter erblickte, fuhr sie erbleichend auf und wollte zur Türe laufen, doch da erhob sich der Hütehund, der neben der Bank gelegen hatte, und zeigte seine Zähne.
Das kluge Tier erkannte ebenso wie seine Herrin die Gefahr und wollte sie und das Kind schützen. Doch da fuhr die Meute des Watzmanns auf den Hund los, der zwar tapfer kämpfte, aber rasch zu Boden gerissen und zerfleischt wurde. Die Frau indessen konnte die Hüttentüre nicht erreichen, weil die rasenden Hunde den Weg versperrten, sie umklammerte ihr Kind und schrie erbärmlich vor Angst.
Die Jagdhunde aber ließen nun ab von ihrem zerrissenen Opfer und umkreisten nun die Mutter. Kreidebleich sah die Frau zu den Reitern hoch, die amüsiert die Szene betrachteten. In den Augen der Verzweifelten schimmerte Hoffnung, als die Schäferin der Königin gewahr wurde, wohl hoffte sie auf das Mitleid der Frau. Doch das Weib des Watzmanns lächelte kalt, ihre Augen glitzerten böse, als sie den Hunden einen Befehl zurief. Die Meute nun drang stetig und unheimlich ruhig auf die Mutter mit dem Kind ein. Die Frau ging Schritt für Schritt rückwärts, ihr Kleines an sich pressend und mit angstvollen Augen um sich blickend, als müsste von irgendwoher Rettung kommen. Dann prallte sie hart mit dem Rücken an die Hüttenwand und schrie gellend auf.
Gelächter ertönte und die Jäger riefen ihr Spottworte zu, allen voran die Kinder des Königspaares. Die geifernden Hunde zitterten vor Mordgier, doch noch hielt sie der Willen ihrer Herren zurück, sie hatten ihre Lefzen weit über die Fänge gezogen und sahen eher Dämonen gleich als Tieren. Mit vor Anspannung gebogenen Rücken trippelten sie steifbeinig um die unglückliche Frau her, mühsam ihren Blutdurst bezwingend. Doch als wäre er des Spieles müde, winkte der Watzmann lässig mit der Hand und sagte ein Wort, worauf der größte der Hunde nach vorne sprang und seine Zähne in den Arm des Kindes schlug.
Mit durchdringenden Schreien suchte die Frau nun das Kind hochzureißen und so aus der Reichweite des Tieres zu bringen, doch der Hund hatte die Kiefer nun fest um das Bein des Kindes geschlossen und riss daran, so fest er konnte. Dieses Bild nun amüsierte die Kinder des Königs, die hell auflachten und Beifall riefen, als der Leitrüde das losgerissene Beinchen schüttelte und gegen die anderen Hunde fletschte, die ihm die Beute abjagen wollten. Ströme von Blut flossen über das Gewand der Schäfersfrau, doch hielt sie noch immer ihr Kind umklammert. Und immer wieder schrie sie, hoch und durchdringend und mit blicklosen Augen – da schnippte die Königin und die Hunde fielen nun gänzlich über die Frau her.
Und wie vom Himmel gefallen war auf einmal der Schäfer zwischen den Hunden, er war wohl den Pfad hinter der Hütte heraufgekommen und stürzte sich mit nichts anderem als seinem derben Stock auf die Bestien, um sie von seinem Weibe abzuhalten. Diese neue Wendung entzückte die Zuschauer, und sie feuerten die Hunde an und klatschten sich auf die Schenkel vor Vergnügen über diesen neuen Spaß. Doch der währte nicht allzu lange, denn rasch hatte sich ein Hund in die Kehle des Mannes verbissen und riss ihn zur Erde. Dann waren die drei Menschen auf einmal von tobenden, zerrenden und knurrenden Hunden bedeckt, die ihre Zähne bald in die Opfer, bald in die Konkurrenten schlugen.
Obwohl die Frau längst ihr Leben ausgehaucht hatte, war es, als ob ihre Schreie noch immer klängen wie ein unheimliches Echo. Da versiegte das Lachen der Jäger und sie blickten einander unsicher an. Als ob eine Wetterwand nahen würde, war das Tal plötzlich in dunkle Schatten getaucht und ein kalter Wind kam auf. Mit knappem Befehl gab der Watzmann den Befehl zum Weiterreiten und wollte sein Pferd wenden, doch sein Weib starrte bleich auf die Hunde, die plötzlich mit eingezogenen Ruten von den Leichen abließen und den Pfad hinunterliefen. Sie rief, aber keiner der Tiere hörte auf sie, und bald waren sie nicht mehr zu sehen.
Währenddessen sickerte noch immer Blut in die Erde, die plötzlich aufbrach und sich wie eine Welle erhob. Pferde wieherten und Menschen riefen schreckerfüllt einander zu, Wind sauste durch die Kronen der Bäume und Dunkelheit fiel über das Tal. Schreie waren zu hören, aber wie von weit her und nur kurz. Kälte breitete sich aus, dann ein gewaltiges Dröhnen und Beben, das lange anhielt ... und als sich die Schwärze verzog, war alles verändert. Denn der Watzmann und seine Frau wie ebenso die sieben Kinder waren zu Fels geworden und erhoben sich regungslos und für immer gebannt über das Land, wo sie noch heute stehen als Mahnmal.
Die Grausamkeit des Königs war so groß, dass sich die Erde selbst erhob gegen ihn und seine herzlose Sippe, um seinem Treiben ein Ende zu setzen. Auf vielerlei Weise wird diese Geschichte erzählt – doch die Mahnung bleibt immer die Gleiche.
© Textbeitrag zur Legende vom versteinerten Watzmann: Winfried Brumma (Pressenet), 2009. Bildnachweis: Watzmann Panorama, CC0 (Public Domain Lizenz).
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