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"Komm schon, das ist alles nicht neu. Das hat es im Lauf der Geschichte immer gegeben – und wird's immer geben, auf die eine oder andere Weise. Hör auf mit diesen negativen Themen! Herrgott, ich bin hier, um mich zu entspannen."
Der etwas rotgesichtige Mann stellte sein Glas ab und hob die rechte Hand, um die Bedienung auf sich aufmerksam zu machen. Für ihn war das Thema erledigt. Der Angesprochene schüttelte vehement den Kopf und sagte mit weinerlicher Stimme: "Die Welt steuert auf einen Krieg zu, du wirst sehen. Dauert nicht mehr lange."
Die Worte kamen etwas verschliffen heraus, sie klangen verwaschen. Der Rotgesichtige verdrehte die Augen und seufzte übertrieben auf, während er sein frisches Glas von der Kellnerin in Empfang nahm. Dann schaute er missmutig auf seinen Trinkgenossen, der trübsinnig in das Glas starrte, das er mit beiden Händen umklammert hielt.
"Wir leben im Jahr 2010, verstehst du. Keiner ist so dämlich, den roten Knopf zu drücken und sonstwas anzuleiern. Das ist letztendlich nichts anderes als dicke Hose markieren. Die Politiker haben das alles im Griff. Die haben kein Interesse daran, sich selber in die Luft zu jagen, die großen Herren. Dazu leben die zu gerne."
Den Satz schloss der Mann mit dem roten Gesicht mit einem lauten Lachen, dann schaute er zustimmungsheischend um sich. Sein Blick kreuzte sich mit dem eines Mannes, der nicht weit vom Tisch der beiden entfernt mit drei anderen in einer Nische saß. Der Blickkontakt beunruhigte den Mann etwas – es war, als ob sich der Fremde in gespannter Aufmerksamkeit vorbeugte, so als ob er das Gespräch mit Interesse verfolgen würde. Das tat er aber in irgendwie unangemessen ruhiger Weise.
Trotzig hob der Mann sein Glas in die Richtung der vier Gestalten und nahm einen tiefen Schluck. Dabei musterte er verstohlen die sonderbaren Gäste. Sie wirkten unheimlich auf ihn, trugen lange Mäntel in schwarz und schwere Stiefel. Die Haare hatten alle bis auf die Schultern hängen – unordentlich eigentlich. Sie hätten wie Rocker gewirkt, die nicht wahrhaben wollen, dass ihre Zeit vorbei ist, wenn sie nicht so still dagesessen hätten – so beobachtend.
"Und was ist mit AIDS? Haben die das auch im Griff?" Sein Tischgenosse riss den Mann abrupt aus seinen Betrachtungen. "Sag schon, was ist damit", nörgelte die verwaschene Stimme. Bevor der Mann sich zu seinem Trinkgenossen wandte, sah er aus dem Augenwinkel so etwas wie ein Lächeln auf dem bleichen Gesicht des Langhaarigen erscheinen. Er versuchte das Unbehagen abzuschütteln und rettete sein Bierglas, das gefährlich ins Schwanken geraten war, als sein Gegenüber seinen Arm schüttelte.
"Da hast du wohl keine Antwort drauf, was? Das ist eine Seuche, sag ich dir. Schlimmer als die Pest im Mittelalter. Und der Hunger, wer hat denn den im Griff?" Der Rotgesichtige starrte in das vorwurfsvoll verzogene Gesicht des Jammerlappens, wie er ihn bei sich titulierte. Zumindest am heutigen Abend. Der Kerl suhlte sich ja geradezu in Katastrophen. Der war sonst eigentlich nicht so fürchterlich stimmungstötend.
Nach einem Schluck aus seinem Glas holte er tief Luft und erklärte seine Sicht der Dinge. Dass früher oder später ein Impfstoff gefunden werden würde. Dass es vermutlich schon einen gäbe, der nur noch zurückgehalten würde, um genau zum richtigen Zeitpunkt auf den Markt geworfen zu werden. Er flocht noch einige Seitenhiebe auf die Pharmakonzerne ein, die sich an den Krankheiten der Steuerzahler diamantene Nasen verdienten. Und während er sich so richtig für sein Thema erwärmte, wurde das Gefühl des Beobachtetseins immer intensiver.
Er hatte das Gefühl, als ob die vier Rockerverschnitte in der Nische die Köpfe zusammensteckten und seine Äußerungen diskutierten – und das gefiel ihm gar nicht, das gefiel ihm kein bisschen. Als er sich nach der Kellnerin umsah, um noch eine Runde zu ordern, ergriff sein mittlerweile wieder etwas klarer erscheinender Freund das Wort: "Und wenn die Schwarzen in Afrika nicht an AIDS sterben, dann sterben sie eben an Hunger. Die halbe Menschheit hungert doch, ist dir das eigentlich mal so richtig bewusst geworden? Kann man nicht wenigstens den Hunger besiegen? Wie lange meinst du, dauert das noch, bis wir hier auch nichts mehr zu beißen haben, hä?"
So plapperte er weiter, sich immer wiederholend – aber der Mann hörte nicht mehr hin. Er fragte sich, wieso der Wirt die vier abgerissenen Kerle in den langen Ledermänteln duldete. Solche Leute waren eigentlich nicht das Publikum der gemütlichen rustikalen Wirtschaft hier. Blass wie die Typen waren, hätte man meinen können, dass sie unter Drogen standen. Aber sie verhielten sich ruhig, nur dass er mittlerweile das Gefühl hatte, dass die Augen der unheimlichen vier ihm Löcher in den Rücken brannten.
Ihm wurde so langsam heiß hier drinnen, und das Geschwätz über den Weltuntergang, das wie in Wellen an seine Ohren brandete, machte ihn langsam wütend. "Nun krieg dich wieder ein, Mensch!" knurrte er plötzlich. "Man könnte glauben, du willst unbedingt den Jüngsten Tag heraufbeschwören, so wie du daherredest. Man muss nicht alles und jedes aufbauschen bis zum Weltuntergang. Bis dahin dauert es noch ein paar Jahrtausende, mein Freund."
Der andere schwadronierte unbeeindruckt weiter von atomaren Schlägen und Vulkanausbrüchen, als in der gegenüberliegenden Nische etwas in Bewegung kam. Die vier waren aufgestanden und wollten scheinbar gehen. Er wollte nicht hinsehen – er wollte nur, dass sie endlich das Lokal verließen. Doch als sie an seinem Tisch vorbeikamen, verhielten sie kurz ihren Schritt. Und zu seinem Entsetzen fühlte der Mann für einen Lidschlag eine schwere Hand auf seiner Schulter. Kurz darauf spürte er den Luftzug, der durch die geöffnete Tür hereindrang.
Mit aufgerissenen Augen starrte er seinen Bekannten an, der weiterredete, als habe er nichts bemerkt. Dann riss es ihn vom Stuhl hoch und er rannte zur Tür und ins Freie. Und in dem vormitternächtlichen Nebel sah er die vier zu den schweren Motorrädern gehen, die an der Straße standen. Der letzte der Gestalten sah sich um und nickte ihm lächelnd zu, machte dann ein sonderbares Zeichen in die Luft.
Da brannten die Augen des angstgeschüttelten Mannes – und es war, als könnte er im Dunkeln sehen. Und dann wehten Umhänge wie lange Schatten, und die Motorräder waren Pferde, die sich aufbäumten und unerträglich laut wieherten – so laut, dass er sich mit auf die Ohren gepressten Händen auf die Knie sinken ließ – im Bewusstsein, dass dies die letzten Geräusche waren, die die Menschheit hören würde vor dem Ende.
* The Fab Four: hier die vier apokalyptischen Reiter (Hunger, Krieg, Pest und Tod) – erwähnt im 6. Kapitel der Offenbarung des Johannes – die Boten der nahenden Apokalypse.
© "The Fab Four – die Apokalypse" – eine Erzählung von Winfried Brumma (Pressenet), 2010.
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