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(20.02.2010) Man hatte die Zeiten fast vergessen, in denen eines der größten Tagesblätter (nach Auflage – nicht nach Gehalt) der Nation täglich durch übelste Polemik auffiel. Heinrich Böll schrieb im Vorwort seines Buches "Die verlorene Ehre der Katharina Blum", dass Ähnlichkeiten mit real existierenden Zeitungen nicht zu vermeiden gewesen wären – natürlich war das Lieblingsblatt der meisten Deutschen damit gemeint.
Günter Wallraff fand die Zeitung sogar einer seiner Wallraffiaden wert – er schleuste sich als biederer Journalist in die Redaktion und ... erfuhr Fürchterliches am eigenen Leibe. Er deckte da so manches auf, das die Zeitung sicher gerne als Schlagzeile gebracht hätte – wäre sie nur nicht selber betroffen gewesen. Meldungen wurden schlichtweg erfunden, war da zu lesen ... und tatsächliche Geschehnisse so dargestellt, wie die Redakteure dachten, dass man sie lesen wollte – selbst wenn die Tatsachen in das glatte Gegenteil verkehrt wurden.
Sex and Crime waren damals die Aufhänger, an denen die Berichterstattung hing. Das tägliche leichtgeschürzte Mädchen auf der ersten Seite war obligatorisch, ebenso wie die Appetithäppchen in Sachen Mord und Vergewaltigung. Richtiger Journalismus fand allerdings kaum statt. Man entblödete sich zum Beispiel nicht, als großen Artikel ein kleines Pflaster der schwedischen Königin aufzublähen. Irgendjemand hatte es am Fuß der Dame entdeckt, und fand es so interessant, dass es, mit einem roten Kreis versehen, tatsächlich vorne auf der Startseite prangte.
Als in einer Stadt im Südwesten der Republik eine Hilfskraft und Putzfrau eines kleinen Lokals, das auch Sexfilmchen zeigte, bei einem Kassenraub ums Leben kam, wurde die Frau posthum als "Pornokönigin" dargestellt. Diese und ähnliche Meisterleistungen in Sachen Information machten das Blatt eigentlich zu einem dünnen Ausleger der Regenbogenpresse – eigentlich lange bevor diese erfunden war.
Die Berichterstattung des Springer-Blattes war meist Meinungsmache der allerübelsten Art – wenn sie auch nicht ganz so verfing, wie man das gerne gesehen hätte. So lasen die Leute zwar die Gazette zum Frühstück, aber das Meinungsblatt war auch der Gegenstand vieler Witze. Man nahm es eher als eine Art gedruckte Seifenoper. An manchen Schulen wurde die Bildzeitung gar Gegenstand des Unterrichts in Sozialkunde. Und weil die Sache so gut lief, gab es dann auch Sport-Bild, Auto-Bild – und als schlimmster Ableger: Bild der Frau.
Nun will das Springer-Blatt die polemische Tradition wieder aufleben lassen, indem es wie vor Jahren mit (ziemlich ausgelutschten) Tricks aus der Vertreterkiste Stimmung macht. Anders kann man die Frage "Bin ich dumm, wenn ich arbeite?" wohl nicht verstehen. Die Stimmung im Volk ist einigermaßen explosiv, und wie zu damaligen Zeiten wird hier versucht, den Zorn auf eine bestimmte Gruppe zu lenken. Die Tatsache, dass viele arbeitende Menschen mit ihrem Einkommen kaum über dem Sozialsatz liegen, wird erbarmungslos als Mittel missbraucht, um die Ärmsten per Fake News in Misskredit zu bringen.
Pfiffig formuliert sieht das dann so aus, dass nur ein Idiot arbeitet, wenn er doch auf Kosten des Staates faulenzen kann. Schließlich kriegen solche, die auf der faulen Haut liegen, ja fast genau so viel Geld und können sich einen schönen Lenz machen. So schürt man Hass und Unmut, der sich allerdings nicht gegen den Verursacher, sondern gegen die Hartz-IV-Empfänger richtet. Was genau die Bildzeitung eigentlich erreichen wollte, außer von der Unfähigkeit der Regierung ablenken, ist nicht ganz klar.
Kaum sind die Zeiten fast vorbei, in denen jugendliche Frustraten "Schwule und Türken klatschen" gingen, werden perspektivlose Ersatzhandlungsjunkies regelrecht dazu aufgefordert, Hatz auf Arbeitslose zu machen. Wenn der erste Hartz-IV-Empfänger von einer Bande Chaoten mit Benzin übergossen und angezündet wird, kann man davon ausgehen, dass die Rechnung aufgegangen ist. Die Bildzeitung wird wunderschöne Leitartikel haben und niemand wird zur Revolution aufrufen. Weil alle wieder Angst haben werden, die natürlich auch wieder hervorragendes, in das Unendliche streckbare Material für Revolverblätter abgibt. Somit erübrigen sich eigentlich weitere Fragen.
Die alten Spielchen muten ein wenig lächerlich an, aber bei aller Liebe zur Nostalgie, es wäre wünschenswert, wenn sich die Bildzeitung auf Damenmoden, leicht bekleidete Models und Skandälchen beschränken würde und die Berichterstattung in Sachen Politik anderen überließe ... aber man kann nicht alles haben.
© "Mach dir ein Bild von der Welt": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2010. Bildnachweis: Fake News, CC0 (Public Domain Lizenz).
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