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Liebgewordene Vorstellungen sind etwas, von dem man sich nicht gerne trennt. Man trennt sich auch nicht gern von liebgewordenen Selbstüberschätzungen – genauer gesagt von Lebenslügen. Das betrifft viele Menschen, es kann aber auch Gruppen betreffen, oder sogar ganze Völker.
Da wäre zum Beispiel Deutschland, das Land der Dichter und Denker. Geistesgrößen, wie das immer wieder zitierte Multitalent Goethe, hervorragende Komponisten und natürlich auch Naturwissenschaftler und Philosophen ... dies war das Deutschlandbild, das die Welt lange Zeit so vor sich sah.
In der Antike war der Ruf auch nicht eben schlecht – wo man von den Stämmen sprach, die unter dem Sammelnamen "Germanen" benannt war, sprach man mit einigem Respekt von ihrer Kampfeswut, die wie bei den meisten anderen der Not entsprang und weniger kühnem Eroberertum. Römische Schreiber lobten gar die Tugendhaftigkeit der barbarischen Völker, was nicht schwer war angesichts der etwas gegenteilig orientierten Gesellschaft der Römer, die auf derlei Eigenschaften nicht viel gaben zu jener Zeit. Das hatten sie vorher getan, als sie noch expandiert hatten.
Die so genannte Barbarei wich der so genannten Zivilisation, und man tat sich in der Welt ganz gut hervor. Und eben zur Zeit der oben genannten Dichter und Denker war "Deutschland" ein anderes Wort für Bildung und Kultur. Es gab einen scharfen Knick in den dreißiger bis fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, aber noch immer konnten die Deutschen mit Sauberkeit, Gründlichkeit, Fleiß und ähnlichen Tugenden punkten. Es gab Zeiten, so in den letzten vierzig Jahren dieses Zeitabschnitts, in denen Deutschland DIE Adresse für ausländische Studenten war.
Man riss sich geradezu darum, sein Studium hier zu absolvieren. Nun, das ist lange vorbei, denn wo wir jede Menge Wissen und Bildung hatten, haben wir heute die Pisa-Studie. Schon längst haben uns andere Nationen, was das Bildungssystem betrifft, den Rang abgelaufen. Kaum, dass wir uns noch verdient in der Mitte der Liste halten können. Es ist erstaunlich, was Umfragen und Untersuchungen zu Tage fördern, denn Abiturienten und Studenten zucken hilflos die Achseln bei Fragen, die ein guter Hauptschüler früherer Jahrgänge beiläufig beantwortet hätte.
Misstrauische Beobachter vermuten, dass die Studie durchaus keine Überraschung war, denn vorher wurde eine extrem kostspielige und leider auch sehr schlecht gemachte Verschleierungsaktion in die Wege geleitet, die sich Rechtschreibreform nannte. Diese sollte dazu dienen, dass die meisten Schreibfehler, die immer mehr Schülern unterliefen, keine mehr waren. Wer früher "Schifffahrt" mit drei "f" geschrieben hatte, war kurzzeitig der Klassendepp. Manche Lehrer schrieben es an die Tafel, um so für Kurzweil zu sorgen. Daher rührt wohl auch der Schauder, der sich einstellt, wenn man das Wort auf diese Weise geschrieben sieht.
Natürlich scheint es logisch, dass die Änderung des Wortes "Stengel" zu "Stängel" die Ableitung von "Stange" erleichtert. Eine eingebaute Eselsbrücke also ... nur leiten rechtschreibschwache Schüler meist gar nichts ab. Sie haben Probleme damit. Wer diese Schwäche hat, wird sie nicht von heute auf morgen verlieren, auch dann nicht, wenn Schifffahrt mit vier "f" geschrieben wird. Was die Interpunktion betrifft, sind die Regeln eher einem Partisanenkrieg gewichen, und der Tunfisch lässt im Gegensatz zur vorherigen Schreibweise sehr sonderbare Ableitungen zu.
Die Devise hieß wahrscheinlich: Wenn das Falsche zum Richtigen wird, fällt die zunehmende Dummheit nicht weiter auf. In der Übergangsphase zwischen den beiden Regelungen trauten sich die Lehrer sowieso kaum etwas zu benoten, alles war irgendwie strittig und für die Schüler war es toll. Nur, außer der Rechtschreibung wartet die Sprache perfiderweise auch mit so etwas wie Grammatik auf. Und da liegt es womöglich noch mehr im Argen. Denn sogar in den Medien wird zuweilen ein Deutsch gesprochen oder geschrieben, das man mit viel gutem Willen als kreativ betrachten kann.
Untersuchungen alarmieren zudem mit der Tatsache, dass auch in weiterführenden Schulen die wenigsten Schüler in der Lage sind, flüssig zu lesen, oder ernsthafte Probleme damit haben, den Sinn des Gelesenen zu verstehen.
Der Generation "Taschenrechner" mangelt es an Konzentrationsfähigkeit und Vorstellungsvermögen. Was die Ursachen dafür sind, ist strittig – Theorien gibt es viele. Aber woran diese erschreckenden Defizite auch immer liegen (wahrscheinlich spielen sehr viele Faktoren eine Rolle): Man muss das Möglichste tun, um da abzuhelfen. Nur ist es leider so, dass das Möglichste vielleicht noch mehr zusammengestrichen wird, als es vorher schon der Fall war.
Der CDU-Politiker Roland Koch will gegen die Überschuldung ankämpfen und den maroden Haushalt stabilisieren. Dafür braucht man natürlich Mittel, und die müssen ja irgendwo her kommen. Und Herr Koch hat auch eine Idee dazu: Er schlägt vor, die Etats der Schulen und Kitas zu kürzen. Das bedeutet, dass die Qualität des Unterrichts herabgesetzt wird, denn ein moderates Mittel zur Einsparung war schon immer das Streichen von Planstellen für Lehrer.
Immer häufiger fallen Schulstunden aus, weil es zuwenig Lehrer gibt. Angemessene Arbeitsmaterialien oder sonstige Anschaffungen, die notwendig wären, sind bei vielen Schulen schon längst reine Wunschvorstellungen geworden – das gilt auch für die Tagesstätten und Kindergärten. Man stelle sich vor, dass die Kinder noch weniger gefördert werden als bisher, dass noch weniger Lehrer wegen ihrem Burnout-Syndrom immer mehr wegsehen, und dass noch mehr Kitas geschlossen werden.
Sollen diejenigen, die noch so etwas wie eine wirkliche Bildung genossen haben, sich mit den Schülern der neuesten Generation per Handzeichen verständigen? Sollen die künftigen Fachkräfte des Landes nur mit ganz viel gutem Willen seitens der Prüfer durch die Prüfungen kommen? Wird es sie überhaupt noch geben, oder müssen wir bald alle Akademiker aus dem Ausland importieren? Sollen die Maßstäbe noch mehr heruntergesetzt werden?
Roland Koch hat scheinbar kein Problem damit, dass das Bildungssystem Deutschlands früher oder später dazu führt, dass Deutschland zum Nachhilfeland Europas wird. Es fragt sich, woher die hellen Köpfe herkommen sollen, die so furchtbar notwendig für die Zukunft sind. Die nämlich wird die Ära der Forscher und Wissenschaftler sein. Anders wird diese Welt nicht überleben.
Es kann natürlich auch sein, dass Herr Koch auf die Bessergestellten hofft, die ihre Kinder auf teure Schulen schicken können, die nicht allzu sehr auf öffentliche Mittel angewiesen sind. Aber selbst wenn wir es da durchweg mit äußerst begabten Kindern zu tun hätten – es würde nicht reichen. Es sind nicht mehr allzu viele Eltern in der Lage – ohne Rücksicht auf die Kosten – gute Schulen für ihre Kinder auszusuchen, Tendenz fallend.
Es ist nicht nur so, dass diese Transplantationspolitik – "hier was wegnehmen und da was zugeben" – meist nicht wirklich Erfolg hat. Es geht einfach darum, dass gut ausgebildete Menschen unsere einzige Chance sind. Sonst könnte eine Zeit kommen, in der unsere Kinder billige Konsumartikel herstellen müssen, die in den reicheren Ländern verkauft werden.
Was notwendige Einsparungen betrifft, nun da braucht man kein Studium absolviert zu haben, um einige Vorschläge machen zu können.
© "Deutschland, das Nachhilfeland Europas": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2010. Bildnachweis: Hausaufgaben, CC0 (Public Domain Lizenz).
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