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"Kein Künstler hat ethische Neigungen", sagte Oscar Wilde, und: "Ethische Neigungen sind eine unverzeihliche Manieriertheit des Stils." Der Schriftsteller ging von der absoluten Zweckfreiheit der Kunst aus, die überdies nicht die Welt, sondern nur den Zuschauer spiegle.
Der gesamte Spruch des Schriftstellers steht sozusagen auf dem Vorsatzblatt der Abteilung "Oil on canvas", auf der (ehemaligen) Webseite von BORIS, des Künstlers, und lässt erahnen, dass die folgenden Bilder betrachtet, erfühlt, bewundert, gehasst, aber nicht erklärt werden wollen. Wer bis hierher gekommen ist, trotz der Warnung auf der ersten Seite, die Menschen mit labilem seelischem Gleichgewicht anspricht und ihnen rät, nicht weiterzuklicken, muss sich darüber im Klaren sein, das ihm etwas gezeigt werden wird.
Die Dinge sind so, wie sie sich sichtbar machen für Künstler oder auch Visionäre ... die Bilder, die dabei entstehen, sind nicht ersetzbar durch andere – sie sind genau das, was sie sind – die Wahrheit des Betrachters. Dabei kann Ethik keine Rolle spielen – die Art, wie etwas gesehen wird, kennt diese Überlegung nicht.
In BORIS' Rubrik "NEW paintings" findet der Betrachter einen blauen Schmetterling auf flammend orangefarbenem Grund, durchaus nicht in der Mitte platziert, sondern mit einem vom rechten Rand verschluckten Teil eines Flügels. Die Farbkomposition ist herrlich, aber wie lange wird sich das Insekt auf der Hitze des Hintergrundes halten ...?
BORIS' drei Variationen eines Skarabäus – einfach auf schwarzem Grund, dann einmal umgeben von floralen arabesken Ranken in Gold – dann wieder fast derselbe Käfer, von Ornamenten umsäumt, die aussehen wie Splitter aus Tiffanyglas. Sie nehmen den gleichen Raum ein, sie sehen gleich aus bis auf die Fühler, die sich unterscheiden. Was auf den ersten Blick wie eine Kleinigkeit wirken mag, ist in Wirklichkeit elementar.
Eine Tür heißt "Beyond believe" – wer sie aufstößt, sieht in die eindringlich aufgerissenen Augen eines Christus, der sein Gewand auseinanderhält, um eine tiefe Wunde in der Brust zu zeigen – was ihn traf, hat sein Herz getroffen – nicht die Seite. Zwölf schreiende Gestalten umgeben ihn wie Apostel, leere Augenhöhlen, weit aufgerissene Münder, kahle Schädel, Agonie, Angst und Schmerz in bläulichen Tönen. Sind es Opfer – Erschlagene ... einer hat eine Kakerlake auf dem Schädel, die einer Wunde entsprungen ist. Wie Tote, die durch ihre Verzweiflung erstarrt sind, drängen sie sich an den Erlöser, der den Blick des Betrachters fängt und hält. "Erlöse uns von allem, wenn du nur kannst ..." Kunst ist zweckfrei, aber nicht botschaftsfrei – nur lautet der Text für jeden Beobachter anders, ebenso wie der Glaube für jeden ein anderes Gesicht trägt.
Am Kreuz hängt SIE, "Die Gekreuzigte" – ein weiblicher Körper mit üppigen Formen, der keine Wunde trägt außer denen, die von den Nägeln stammen und dessen Gesicht mit geschlossenen Augen unter der Dornenkrone leidet. Der Körper schwillt geradezu aus dem Bild heraus – es ist, als passe das Gesicht nicht wirklich – es ist nicht so eindeutig weiblich wie alles andere. Wer ist hier gekreuzigt und geopfert, oder vielleicht wäre die Frage: Was hängt am Kreuz und wofür? Die Gekreuzigte, was war ihr Anliegen ... oder opferte sie sich für ein Anliegen der anderen? Oder war Gott eine Frau? Ist es eine Anspielung auf das Matriarchat?
"Spirituality" ist der Titel einer Rubrik, und wer eintritt, sieht einen "schreienden Schmetterling" – "the scream of the butterfly", wie in Jim Morrisons "when the music is over" – oder die Gestalt, die er annehmen würde, damit wir ihn sehen könnten – den Schrei. Himmelblau mit der etwas dunkler ausgeführten sachten Ahnung von Flügeln, in deren Mitte eine zarte weiße Gestalt schreit. Der Betrachter sieht den Rücken, so kann er nur ahnen, was für ein Schrei sich zeigt – ein Freudenschrei, der in die entgegengesetzte Richtung verhallt ...
"Die Seele" ist etwas "innendrin" in irgendetwas – das Bild mit diesem Namen zeigt auf gelb ein fragiles rundes Gebilde, das aus schwarzen Verästelungen besteht. Das gelbe Rund sitzt wie ein heller Raum vor ganz dunklem Hintergrund und umfängt wie eine schützende Blase das kleine Ding, das sich in der Leere des Raumes zu bewegen scheint – und das so schutzbedürftig aussieht.
"Fertility": Fruchtbarkeiten warten, eine sitzende Frau gebiert aus ihrem Schoß eine Schlange, mit vor Anstrengung hochgerecktem Kinn lässt sie das Reptil ins Leben gleiten. Kam die Schlange daher, aus der Frau? War der Gedanke an die Rebellion aus ihr gekommen? Ist jede Geburt ein infrage zu stellender Schöpfungsakt, der die bestehende Ordnung neu formuliert? Die Bilder kennen einander, "Die Gekreuzigte" scheint eine logische Fortsetzung.
Der "Gott des Rausches" schiebt die inneren Schamlippen einer riesigen Vulva auseinander, als handele es sich um die Vorhänge eines Vergnügungsetablissements. Sein Gesicht ist ganz Einladung – lachend, marktschreierisch. Rotrotrot ist die Farbe und rot ist der Rausch und ist die Lust. Dionysos in seiner ursprünglichsten Erscheinungsform zeigt sich ...
Eine formatfüllende "Brust", grün und purpur ist sie Mittelpunkt, ist sie das Bild. Dann "Animus" und "Anima" in ihrer reduzierten Form als Geschlechtsteil – das Weibliche und das Männliche. Dann die Serie der Bilder, geprägt vom Geben und Empfangen – der riesige Penis auf dem Weg zu seinem Gegenstück, der Körper wird unwichtig – das weit geöffnete weibliche Geschlechtsteil wird zum Tor, zum Punkt des Ankommens, zum Nehmen und Empfangen und dadurch zur schöpferischen Ganzheit.
Der Betrachter kommt zu einem Bild mit dem Namen Uterus, nach dem roten Farben- und Sinnenrausch wirkt es seltsam ernüchternd und hart – ist es eine Konsequenz – der Stachel, den die Götter in jedem Geschenk verbergen? Auf schwarzbläulichem Hintergrund ein weißer, perfekt abgebildeter Uterus mit Ovarien – einen Moment lang sieht es aus wie die vorhistorische Abbildung eines tierköpfigen Gottes.
Ein Bilderbogen der kleinen Betrachtungen in einem Raum der "Potpourri" heißt – Pflanzen, Orchideen, Muscheln – Weibliches, das sich präsentiert einfach als Sein, sowie (etwas versteckt) "Der Mönch": mit weltlichem Lächeln – und einem Dollarzeichen als Anhänger.
Und in "South of France" und "Shadowland" findet man Bilder in glühenden Farben – mediterrane Ansichten, die von Sonne durchglüht sind – sie sind wie ein anderes Land, in das man heraustritt aus dem Abgründigen, dem Tiefen, das sich in Bildern wie "Apokalypse" ("We train young men to drop fire on people. But their commanders won't allow them to write 'FUCK' on their airplanes because it's obscene" – Marlon Brando in Apokalypse) zeigt, das die Auflösung zelebriert.
Wenn Kunst keinen Zweck hat, keinen haben darf, weil sie sich degradierte zum Gewöhnlichen, so kann sie doch verstörend sein. Das muss sie vielleicht sein – denn das ist das Wesentliche ihrer Sprache – einer Sprache jenseits rationaler Gedankengeflechte.
Den Kontakt zum Künstler stellen wir gerne her. Zur BORIS YouTube Art Gallery.
© BORIS: Kunst 'Jenseits des Glaubens' – eine Kunstrezension von Winfried Brumma (Pressenet), mit Zitaten und Abbildungen von BORIS, 2010.
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