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Wie war das eigentlich noch damals? Nun ja, richtig große Rauschgoldengel waren das ja nicht, die wir als Kind in der Vorweihnachtszeit gebastelt hatten. Wir nahmen Goldfolie dafür, die konnte man in großen Bögen oder Rollen kaufen. Eine Seite war farbig, die andere goldfarben. Dieses besonders tiefe und glänzende Blau, Rot oder Grün hatte unbedingt etwas mit Weihnachten zu tun und erhöhte die Vorfreude ungemein.
In den Bastelläden gab es Styroporkugeln in vielen Größen und außerdem dieses Engelshaar, das aus Glasfasern bestand und tierisch auf der Haut juckte, wenn man einige Zeit damit gebastelt hatte. Es sah dafür wunderschön aus, aber Wollfäden waren eine ordentliche Alternative und wirkten auch nett. Hatte man alles beisammen, konnte es dann losgehen ... vorausgesetzt, man hatte eine schöne große Tube Alleskleber.
So manche Zeichenstunde geriet in der Vorweihnachtszeit zu einer Bastelorgie in Sachen Dekoration. Sterne in allen Ausführungen, von Stroh bis Stanniol, wurden hingebungsvoll gefertigt und die ganz Kühnen versuchten sich sogar an einem Adventskalender.
Aber der Spitzenreiter waren nun einmal diese Engel, die im Wesentlichen aus einer Goldfolientüte bestanden. Man schnitt sich einfach einen Kreis mit beliebigem Durchmesser. Der ergab zwei Tüten, die in der Höhe vom Durchmesser abhängig waren. Diese Tüten nun wurden so geklebt, dass sie sich nicht mehr aufrollen konnten, und erst einmal hingestellt. Dann brauchte man noch je zwei kleinere Exemplare für die Arme ... oder besser gesagt: für diese typischen Ärmel der Engel. Die konnte man – wenn man klug war, vor dem Ankleben an das Engelsgewand – zurechtbiegen. Schließlich sollte ja noch etwas hinzugefügt werden später, ein Notenblatt vielleicht oder eine Flöte.
Aus Watte wurden kleine weiße oder rosa Kugeln gedreht, die ein wenig in die Länge gezogen wurden und die Händchen darstellten. In die Spitze der großen Tüte kam ein kleines Loch, in das man ein Streichholz oder den Zahnstocher steckte, der den Kopf trug. Der war vorher mit Haaren versehen worden, also mit dem tollen Engelshaar oder Wolle. Und spätestens dabei klebten die Finger ganz fürchterlich aneinander, aber das tat dem Spaß keinen Abbruch.
Mit Kleber zu hantieren war sogar der größte Anreiz dabei ... das ist etwas, das nur Kinder so richtig genießen können. Mütter haben traditionell Probleme damit – das wundert kaum, denn sie haben ebenso traditionell die Aufgabe, den kontaminierten Bereich wieder für andere Dinge tauglich zu machen. Die Bastelwerkstatt ist meist eine "fliegende" – eine, die schnell eingerichtet ist und nicht ganz so schnell wieder ausgeräumt. Rund um den Wohnzimmer- oder Esstisch weisen noch lange Zeit festgeklebte Stanniolpartikel auf die Geschehnisse hin.
Wenn also der Kopf mit Haaren und Gesicht versehen war – eine Herausforderung übrigens – konnte er an seinen Platz gesetzt werden. Gut zeichnen musste man dafür nicht können, eigentlich reichten zwei blaue oder schwarze Punkte für die Augen, und zwei ganz winzige Tupfer mit dem Stift oder Pinsel für die Nasenlöcher. Der Mund war sehr einfach, entweder ein Oval, das für einen gerade mit Singen beschäftigten Engel stand, oder ein Bogen für freundliches Lächeln. Rosa Bäckchen kamen manchmal noch hinzu, mehr brauchten die himmlischen Boten nicht. Ganz zum Schluss kam das Allerwichtigste hinzu: die Flügel. Da konnte der Stil gewaltig variieren, von winzig kleinen Daunen, die kaum zu sehen waren, bis hin zu gewaltigen Schwingen.
Es war entweder Geschmackssache oder eine reine Materialfrage, denn nach vielen verworfenen Entwürfen war der Bestand an Folie meist recht geschrumpft. Die Klebstofftube war auch längst nicht mehr so prall zu diesem Zeitpunkt. Der Großteil dieser Substanz befand sich allerdings nicht an den Bastelarbeiten, sondern an anderen Stellen, wo man sie eigentlich nicht vermutet hätte: an Fingern, Scheren, Tischdecken, in den Haaren und zuweilen sogar an den Haustieren.
Waren die geflügelten Persönlichkeiten dann fast fertig, gab es eine kleine Schwierigkeit. Engel haben Heiligenscheine, wie jeder weiß, und da sich das so gehört, muss man einen für sie machen. Das war nicht ganz so einfach, manchmal ersetzte man ein solches Teil einfach durch einen schlichten goldenen Reif, den man aus der Folie fertigte und auf die Woll- oder Faserhaare klebte, oder schnitt eine runde Scheibe, die man hinter dem Kopf festklebte. Das sah richtig heilig aus und machte großen Effekt.
Das Tollste daran war, dass die Engel dann an Heiligabend einen Ehrenplatz in der Wohnstube hatten, auf dem Gabentisch als Dekoration oder sogar am Weihnachtsbaum. Da befanden sich manchmal sogar noch welche aus den vorigen Jahren, aber wie auch immer – trotz aller Geschenke wanderten immer wieder stolze Blicke zu den Engeln im Eigenbau ... sie machten Weihnachten so richtig perfekt. Genau wie die selbst gemachten Baumketten oder Sterne – aber das sind wieder andere Geschichten.
© "In der Engelswerkstatt: Mit Styropor und Alleskleber": Text und Illustration: Winfried Brumma (Pressenet), 2010.
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