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Die Schlagzeile eines kalten Dezembertages berichtet von Kannibalismus in der Pfalz und sorgt für Gänsehaut. Beruhigend ist allerdings, dass es sich um einen archäologischen Fund aus der Jungsteinzeit handelt.
Entdeckt wurde ein Massengrab, in dem menschliche Knochen gefunden wurden, die Anzeichen von Verstümmelungen zeigen und die Forscher zu dem Schluss brachten, es könne sich um Kannibalismus gehandelt haben. Andere Stimmen sprechen von Begräbnisritualen der seltsameren Art und möchten sich nicht unbedingt auf Menschenfresserei festlegen.
Die Funde sind ca. 7.000 Jahre alt, was eine genaue Einschätzung der Geschehnisse nicht eben erleichtert. Für die Menschen der Vorzeit mag der Tod einen anderen Stellenwert gehabt haben als für uns heute – ihre Rituale würden uns wohl mit Entsetzen erfüllen oder wären zumindest unverständlich für uns.
In der Frühzeit des Menschen war der Tod eine tägliche Präsenz, nicht anders als heute. Wie damit umgegangen wurde, war von Zeitalter zu Zeitalter verschieden, doch zeigt die Archäologie einige rote Fäden, die sich durch die Jahrtausende ziehen. Überall wo Menschen lebten, entwickelten sich Begräbnisriten, von den in Hockstellung und mit rotem Ocker bemalten Toten der Vorzeit über die Mumien in Afrika, Südamerika und Asien, bis zu den Feuerbestattungen der Griechen.
Grabbeigaben fehlen eigentlich nirgends – wo am Anfang die Waffen und Gefäße, vielleicht einige primitive Schmuckstücke oder andere Gebrauchsgegenstände mitgegeben wurden, stapelten sich viele Generationen später unglaubliche Schätze. Hochgestellte Personen trachteten, sich für das Jenseits mit allem Luxus auszustatten, den sie auch im Diesseits genossen. Viele Kulturen töteten die Dienerschaft und sogar die Pferde und sonstige Haustiere, um sie mit dem Toten zusammen in das jenseitige Reich zu schicken, so als reiste der Verstorbene nur in ein anderes Land. Allerdings ohne die Möglichkeit zur Rückkehr.
In Griechenland versorgte man den Leichnam sogar mit Fahrgeld, einer Münze, die man dem Verblichenen unter die Zunge legte – schließlich musste die Fähre über den Styx bezahlt werden. Das war der Fluss, der das Land der Toten vom Land der Lebenden trennte. Diese Denkweise, das Mitgeben von Dingen, hat sich in vielen Formen sehr lange erhalten. So werden in asiatischen Ländern heute noch papierne Modelle von Luxusgütern bei speziellen Händlern gekauft und rituell verbrannt. Durch die Läuterung des Feuers werden sie dem Toten zum Gebrauch mitgegeben und er muss somit keinen Mangel leiden.
In Kulturen, wo der Ahnenkult etabliert ist, gibt es Hausaltäre für die Verstorbenen, denen mit großer Ehrerbietung an bestimmten Tagen kleine Opfer wie Weihrauch oder ähnliches dargebracht werden. Dort herrscht die Vorstellung, dass die Verstorbenen in gewisser Weise mit den Lebenden zusammenleben, wenn auch auf verschiedenen spirituellen Ebenen – man ist um Einbeziehung bemüht. Eine interessante Vorstellung für Europäer, die meist keine Probleme damit haben, sogar lebende Familienmitglieder zu ignorieren.
Fremdartig, aber ökologisch durchaus sinnvoll, ist die Tradition der Luft- oder Himmelsbestattung. Die Toten werden an bestimmte Orte gebracht und den Geiern oder anderen Vögeln überlassen. Das geschieht mit großer Ehrerbietung und Respekt – und wenn nach gewisser Zeit die blanken Knochen übrig sind, werden diese feierlich an besonderen Orten bestattet. Diese Art des Umgangs mit den Toten setzt ein hochentwickeltes spirituelles Wissen und Einklang mit der Natur voraus, denn der Kreislauf des Lebens funktioniert genau so und nicht anders.
Unsere heutigen Riten haben sich einiges bewahrt, was das Mitgeben betrifft. Die Blumen, Kränze und Gebinde sind eine Art Symbol für die Wertschätzung, derer sich der Verstorbene erfreute – diese türmen sich geradezu bei der Grabstelle. Die Pflege der Gräber ist vielen ein Bedürfnis, gerade bei älteren Menschen, die viele Stunden damit verbringen, Gräber zu schmücken und zu bepflanzen. Es ist, als wollte man die letzte Wohnstätte ebenso ordentlich gestalten wie die vorherige – und auf dem ruhigen Friedhof Zwiesprache halten mit den Toten. Wer jahrelang für einen Menschen gesorgt hat, kann sich das auch nach dessen Tod nicht abgewöhnen, es ist eine durchweg liebenswerte Art des Gedenkens.
Hierzulande setzt sich die Feuerbestattung immer mehr durch, andere Formen sind meist genehmigungspflichtig. Unzählige Bestimmungen, manche sinnvoll und manche auch nicht nachvollziehbar, reglementieren so manchen letzten Willen oder romantische Vorstellung und sogar die Grabgestaltung. Der unglaubliche Charme, den ein alter Friedhof hat, mit seinen Steinengeln und Marmortafeln, auf denen ganze Bibelverse stehen, fehlt auf den modernen Anlagen völlig. Wie in einem gut angelegten Wohngebiet, das vor allem dem Zweck zu dienen hat, sind die Parzellen ausgerichtet. Und die schlichten, meist weißen Kreuze der Soldatenfriedhöfe stehen in Reih und Glied, als warteten sie auf ein Kommando.
Trotz allem sind sie auch ein Begegnungsort geworden, die modernen Nekropolen. Menschen lernen sich kennen an den Gräbern und knüpfen neue Beziehungen, beenden alte Feindschaften oder beginnen neue, sprechen in der Ruhe des Ortes miteinander. Inmitten der Verstorbenen geht das Leben weiter, die Gießkanne wird schnell noch einmal gefüllt – dann geht es zur Bushaltestelle bis zum nächsten Mal.
Ein Friedhof ist ein besonderer Ort, den viele Menschen schätzen gelernt haben. Meist ist von Autolärm und sonstigen alltäglichen Geräuschen nichts zu hören, außer den leisen Gesprächen der Menschen hört man eigentlich nur die Vogelstimmen.
Wie Menschen mit dem Tod anderer Menschen umgehen, ist eine Frage des Verständnisses und des Glaubens – Rituale sind nur äußere Form.
© "Friedhöflichkeiten: Kannibalismus in der Pfalz": Textbeitrag und Abbildung von Winfried Brumma (Pressenet), 2010.
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