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Sie kauert in der Ecke und versucht verzweifelt, ihr Gesicht zu schützen. Weglaufen kann sie nicht, denn da sind die Kinder – außerdem würde er sie finden und dann wäre ihr Leben keinen Pfifferling mehr wert – das hat er ihr oft genug gesagt und sie glaubt ihm das. Wenn er austickt, schlägt er zu, einen Grund schiebt er schon lange nicht mehr vor. Die Kinder haben ebenso viel Angst wie sie, und sie kann ihnen nicht helfen.
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Das Mädchen sitzt im Morgengrauen in einer speziell errichteten Hütte, sie weiß, dass man sie bald holen wird, um sie zur Frau zu machen. Sie weiß, dass das sein muss, denn ohne die Prozedur würde kein Mann sie heiraten wollen. Ihre Mutter und ihre Schwestern haben das schon durchgemacht – die Mutter spricht nicht darüber. Das Mädchen erinnert sich, dass die Schwestern lange krank waren danach. Es tut weh, und dass viele Frauen danach nie wieder richtig gesund werden, weiß sie auch. Aber wo sollte sie hin, sie hat keine Wahl.
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Jeder in der indischen Stadt kennt den Arzt und weiß, dass er gegen gute Bezahlung ohne weiteres gegen das Gesetz verstößt. Deshalb wurde die junge Frau heute hergebracht, es geht um eine Abtreibung. Ihr Baby ist ein Mädchen, das hat der Test ergeben und ihr Mann wünscht einen Abbruch der Schwangerschaft, denn weibliche Kinder sind eine unnötig teure Angelegenheit, weil allein die Mitgift eine Familie ruinieren kann.
Gefragt wurde die werdende Mutter nicht, ob ihr das gefällt und was mit ihr geschehen wird. Aber sie beugt sich der Tradition und eben auch dem Wort ihres Gatten. Es könnte sonst sein, dass sie einen Unfall haben würde – so wie ihre Freundin, die im Krankenhaus starb, weil sie sich fürchterlich verbrannt hatte, als sie den Kerosinofen anzünden wollte. So hatte es jedenfalls der Ehemann ausgesagt, der nun eine neue Frau hat, eine, die eine gute Mitgift in die Ehe bringt und deren Eltern immer noch mehr zahlen, damit ihre Tochter es gut hat.
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Die junge Frau versucht verzweifelt, nicht zu weinen, als sie mit ihrem Kunden das winzige Zimmer betritt. Sie zieht sich nicht völlig aus, das ist nicht nötig, und es wäre ihr auch nicht recht, denn sie hat Schwierigkeiten, ihre Arme zu heben. Der Mann, der sie angeworben hat, weiß, wie er wehtun kann, ohne dass man es sieht. Blaue Flecken im Gesicht schaden dem Geschäft. Was der Kunde sagt, versteht sie nur teilweise, sie hofft, dass es bald vorüber ist. Gute Verdienstmöglichkeiten waren ihr versprochen worden von dem Mann, der sie kontaktiert hatte in ihrem Dorf.
Sie glaubte bis zuletzt, dass sie in einem Lokal bedienen würde, und als sie endlich verstand, worum es wirklich geht, war es zu spät. Sie hatte ihre Eltern unterstützen wollen, außerdem hatte sie gehofft, etwas für eine gute Heirat weglegen zu können. Aber von dem Geld sieht sie kaum etwas, der Zuhälter hat ihren Pass und außerdem ... wer wollte sie denn noch heiraten. Die anderen Mädchen sind schon länger dabei, fast alle wurden so hergelockt wie sie, und mit der Zeit sind sie hart geworden. So wollte sie nicht werden, niemals. Während ihr Kunde nimmt, wofür er bezahlt hat, sieht sie starr an die Zimmerdecke und wünschte, sie wäre tot.
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Das Mädchen schläft nicht, sie denkt an ihre Hochzeit, die in drei Tagen stattfinden wird und vor der sie Angst hat. Sie ist etwa dreizehn Jahre alt und ihr zukünftiger Mann über vierzig. In diesen schlechten Zeiten ist es selten, dass jemand den Brautpreis zahlt, ohne zu feilschen und ihr Vater hat schnell zugestimmt. Wenn sie fort ist, wird es einen Esser weniger geben und sie wird keine Lücke hinterlassen, denn ihre jüngeren Schwestern übernehmen nun ihre Pflichten. Sie hat sich einmal im selben Raum aufhalten müssen wie ihr Bräutigam, und dessen Blick verfolgt sie bis in den Schlaf. Sie hat Angst, aber ihre Mutter hat nur gesagt: "So ist es nun einmal."
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Das Mädchen will ihrem Vater nicht im Garten helfen. Die Mutter ist böse und sagt, dass eine zehnjährige ruhig einmal mit anpacken kann. Also muss das Kind helfen, im Schuppen Ordnung zu machen. Und sie wird mit ihm allein dort sein, wie so oft in letzter Zeit. Mutter ist meist böse, weil Papa seine kleine Prinzessin so verwöhnt. Wenn sie wüsste, was passieren wird im Schuppen, würde sie das Mädchen bestimmt in ein Heim geben wollen. Das sagt der Vater immer wieder, und dass niemand davon wissen darf. Sie ist selbst schuld daran, sagt er, und wenn sie nicht aufhört zu heulen, sagt er es allen. Am liebsten wäre sie tot.
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Überall auf der Welt geschieht Menschen Böses oder sie werden getötet, nur weil sie weiblich sind. Wie lange noch?
Informieren Sie sich: Bundesverband Frauen gegen Gewalt e.V.
© "Gegen Gewalt an Frauen. Sechs Einzelschicksale": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2010. Bildnachweis: Menschliche Hand, CC0 (Public Domain Lizenz).
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