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Das Wort Häuptling lässt uns zunächst an die so genannten Ureinwohner Amerikas – die Indianer – oder an Geschichten aus dem "Wilden Westen" denken. Dass das deutsche Wort Häuptling ursprünglich – etwa Mitte des 14. Jahrhunderts – aus dem Ostfriesischen stammt, und erst viel später nach Übersee "exportiert" wurde, ist weniger bekannt.
Stolz waren die Friesen, und mächtig waren ihre Häuptlinge. Seit jeher regierten die freien Friesen ihr Land selbst. Die großen Clans übten ihre Gerichtsbarkeit selber aus und waren keinem hörig, sie hatten sich zum Wohle aller in Gemeinschaften zusammengeschlossen, die das zivile Leben so gerecht wie möglich regelten.
Das Mittelalter war keine Zeit, in der die Idee der Gleichheit besonders populär war. Die Feudalherrschaft gründete auf Unterdrückung und Ausbeutung, aber für Friesland galten andere Gesetze. Es heißt, dass Karl der Dicke den Friesen nach deren Sieg über die Normannen die "Friesische Freiheit" verliehen habe, obgleich ältere Berichte von Karl dem Großen berichten, der das friesische Volk für den Beistand gegen die Römer belohnt haben soll. Heute tendieren die Historiker eher zur ersten Variante.
Hier lebten die Stämme für die damaligen Verhältnisse geradezu demokratisch. Karl der Große hatte die Friesen vom Waffendienst auf fremdem Boden befreit, damit sie sich in voller Stärke der immer wieder angreifenden Wikinger erwehren konnten. Trotzdem blieb es natürlich nicht aus, dass sich eine auf Besitz gründende Oberschicht entwickelte, deren hervorragendstes Attribut das Steinhaus war. In der Blütezeit der "Freien friesischen Länder", also etwa um das Jahr 1300, gehörten 27 Provinzen zum Machtbereich.
Die reichen Familien schlossen sich wiederum zusammen, gründeten große Häuser und bauten Befestigungen, hielten sich sogar kleine Heere, die aus Söldnern bestanden. Die öffentlichen Ämter, oder andere Stellen mit Einfluss, befanden sich bald ausschließlich in der Hand großer und reicher Familien, was naturgemäß einen Wandel bedeutete. Es etablierte sich eine Art Gefolgschaftssystem, das zwar dem jeweiligen Häuptling verpflichtete, aber die persönliche Freiheit nicht antastete.
Die stolzen und reichen friesischen Häuptlinge fochten einen langen und erbitterten Kampf mit der Hanse aus und bedienten sich – wie im Übrigen auch die Gegner zu gewissen Zeiten – der Dienste der berühmten Vitalienbrüder. Deren legendärer Anführer Klaus Störtebeker war mit seinen Mitführern ein regelmäßiger Gast in den Burgen der Friesenhäuptlinge.
Das gilt auch für die berühmteste Feste der Friesen, die Beningaburg bei Dornum. Den Namen erhielt sie von dem berühmten Geschlecht der Beninga, war vorher aber Osterburg genannt worden und gehörte zu den drei Festen bei Dornum: Norderburg, Westerburg und Osterburg. Um 1545 zog mit Folkmar I. Beninga der erste Träger dieses Namens als Ehemann von Nona ein, einer Nachfahrin des Erbauers Attena. Die drei Burgen gehörten ursprünglich zu einem Besitz und waren auch vom selben Herrn erbaut worden.
Um die Norderburg rankt sich die Legende von Foelke – oder Folkedis Kampana – die im Volksmund "Quade Foelke" genannt wird. Das Wort "Quade" heißt soviel wie "böse". Die Legende wirft ihr vor, für mehr als einen Tod verantwortlich zu sein. Mit dem Friesenhäuptling Ocko II. Tom Brok verheiratet, soll sie in schlimmster Art intrigiert haben.
Ihre Tochter Ocka wurde die Gemahlin des Lütet Attena, Sohn des Erbauers der Norderburg. Dieser nun hielt seine Frau des Ehebruchs für verdächtig und – wie es in einer anderen Version heißt – der Kollaboration mit den Piraten. Wie auch immer, zu jenen Zeiten war es durchaus legitim, die Ehefrau mit dem Tode zu bestrafen, verfehlte diese ihre Pflichten. Aufsässigkeit war in jedem Fall strafwürdig, und Ehebruch wurde nicht selten mit dem Tod geahndet.
In der Sage heißt es, Lütet Attena hätte nun seine Schwiegermutter um Rat gefragt, wie nun mit Ocka, seiner Frau, am besten zu verfahren sei. Die Quade Foelke soll ihm zugeraten haben, ihre eigene Tochter zu töten. Zwar muss man das vor dem historischen Hintergrund sehen, doch ist es dann auch nicht unbedingt glaubhaft. Lütet hätte die Verfehlungen seiner Frau – die nicht bewiesen waren – auch anders bestrafen können. Beliebte Mittel waren zum Beispiel die Verbannung. Zudem war immer die Möglichkeit der Gnade gegeben.
Verleumdungen, was Frauen betraf, waren gang und gäbe – es war wohl eine moderate und oft angewandte Möglichkeit, sich unliebsame Frauen vom Halse zu schaffen oder in die Erbfolge einzugreifen.
Verbürgt ist nun, dass Lütet zusammen mit seinem Vater, Hero Attenden, das Urteil vollzog, indem beide die Ehefrau erschlugen oder erwürgten. Dass die Frau des Häuptlings dazu den Rat gegeben haben soll, klingt unglaubhaft, hätte ihre Tochter doch lebend weitaus nützlicher sein können. Immer vorausgesetzt, dass Folkedis in diesen Bahnen dachte.
Nun aber erzählt die Sage, dass die Quade Foelke ein Heer rüstete und gegen die Norderburg zog, um ihre Tochter zu rächen. Sie soll nach dem errungenen Sieg zwei Leydener Laken ausgebreitet haben, eines in Braun und eines in Grün, auf die sich Vater und Sohn knien mussten, um den tödlichen Streich zu empfangen. Wenn das auch im Widerspruch zu der verräterischen Rolle bei der Tötung der Tochter steht, bietet die Legende so etwas wie poetische Gerechtigkeit, indem sie die Mutter zur Rächerin werden lässt.
Historisch wurde die Norderburg von Ockas Bruder Keno II. eingenommen, der Vater und Sohn im Burghof köpfen ließ, weil sie Piraten Unterschlupf gewährt hatten. Vermutlich kann auch das als Vorwand gesehen werden, denn die Verbindungen zu den Seeräubern hatten seit jeher bestanden, obwohl die Friesenhäuptlinge zwischenzeitlich dieser Allianz abgeschworen hatten.
Die drei Burgen waren ein Symbol für die friesische Freiheit, die Macht und den Einfluss der friesischen Häuptlinge, und sind es eigentlich noch heute. Die Westerburg wurde anno 1514 zerstört und nicht wieder aufgebaut, und die Norderburg beherbergt heute eine Schule.
Die Beningaburg befindet sich in Privatbesitz und wird heute als Hotel und Teestube genutzt. Die Bilder der berühmten Häuptlinge der Beninga sind im Ahnensaal zu besichtigen.
© "Die Häuptlinge der Beninga: Indianer in Ostfriesland": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2010. Bildnachweis: Indianer, CC0 (Public Domain Lizenz).
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