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Es kann sein, dass die Augen des Mannes in der Kutsche vor Freude blitzen, wenn er an die vor ihm liegenden Tage denkt – er wird einfach verschwinden, nur darum geht es ihm. Er weiß, dass dieses Haus auf dem Berg ein Portal ist, durch das er in einen Traum eintreten kann. Es wäre auch möglich, dass er den absoluten Gegensatz genießt, der im Äußeren des Schlosses und in seinem Inneren liegt.
Wenn die Kutsche ihn hinaufgebracht haben wird und das schöne Schlösschen im Schweizer Chalet-Stil vor ihm auftaucht, weiß er, dass es nunmehr nur noch kurze Zeit währt und er das tun kann, was er am meisten liebt: spielen und träumen. Das Erdgeschoss des stilvollen Holzbaues ist geschmackvoll, aber nicht besonders prunkvoll gestaltet – das ist ungewöhnlich für ihn, der ganze Schlösser entwerfen lässt. Schlösser, die vor allem dazu da sind, seine Träume zu hüten und die Welten, die er sich schafft, tatsächlich entstehen zu lassen.
Manche nennen das Bauwerk "Jagdschloss", aber dafür hat er nur ein geringschätziges Lächeln übrig. Die Jagd gilt ihm nichts, sie ist barbarisch und gewöhnlich. Nichts wird geschaffen oder folgt einem kühnen Gedanken, es ist etwas für einfache Gemüter – mögen diese auch von Adel sein oder sogar gekrönt. Der Mann in der Kutsche weiß das und sieht sich selber ... vielleicht nicht als König, sondern als Genie. Er ist angewiesen auf den Genius derer, mit denen er sich umgibt, Künstler aller Sparten sind diejenigen, deren Gesellschaft und wohl auch Freundschaft er wirklich sucht. Schauspieler, Musiker, Maler und natürlich die besten Architekten und Baumeister.
Was ist es, das er schaffen kann, das er erdenkt? Die Gedanken, die fiebrig sind von vielen Geschichten und Liedern, die aus alter Zeit zu ihm dringen, die Bilder von Heldentum und Größe, die immer um ihn sind – ob er nun schläft oder wacht. Diese Gedanken werden zu Realitäten, das ist es, was er zu tun vermag, denn er hat alle Möglichkeiten dazu. Wenn er Freundschaften sucht, findet er Ehrerbietung und auch Respekt. Mit wem könnte er seine Träume teilen? Seinesgleichen taugt dafür nicht. Ganz im Gegenteil bedrängt man ihn in übelster Weise, man verlangt Dinge von ihm, die ihm immer fremder werden. Er ist dazu geboren, das zu tun, was man immer und immer wieder erwartet – aber er flieht davor, immer häufiger.
Ein mächtiger Schirmherr der Künste, Erbauer der größten Tempel für die Musen – dazu ist er geboren, das fühlt er. Seine Geburt trennte ihn auf immer von vielen Dingen, die er niemals erfahren wird. Die Ängste, die den Künstlern auf dem Fuße folgen, kennt er nicht, nicht die Furcht um deren Existenz, und nicht die kalten Kammern in Verlegenheitszeiten. Er weiß nichts von ihren Zweifeln und den Dämonen, denn er hat seine eigenen.
Er hatte nie die Freiheit, diese Dinge zu lernen, denn er musste das sein, was ihm bestimmt war zu sein – schon vor seiner Geburt. Es mag sein, dass er zunehmend den Überblick verliert, das ist gefährlich und das weiß er – wenn er seine Träume bewahren will, muss er auch seine Stellung halten, denn sein Spiel kann er nur zu Ende spielen, wenn er die Macht dazu hat. Er darf sie nicht verlieren, doch manchmal vergisst er das.
Doch nun will er nicht daran denken, denn vor ihm liegt der goldene Traum, den er jedes Jahr am 25. August inszeniert, an seinem Geburtstag, den er hier oben verbringt auf dem Berg, in seinem kleinen Schloss, das sich so geschickt als bodenständig maskiert. Bedienstete huschen um ihn herum, man räumt und packt aus, während er sich im Erdgeschoss für kurze Zeit in sein Arbeitszimmer zurückzieht, ein kleiner Tribut an die Welt, die er auszuschließen gedenkt für die nächsten Tage.
Die hübsch getäfelten Räumlichkeiten sind sehr wohnlich und überaus stilvoll, wenn auch eher einfach. Doch für ihn sind sie nur der Vorhof zum Paradies. Einige Zeit später öffnen mit seidenen Pluderhosen und Turbanen bekleidete Diener die Tür des Obergeschosses für den Herren der Welt, der als alleiniger Kalif der Märchen von tausendundeinen Nächten sein Reich betritt.
Ein Schritt über die Schwelle bringt ihn in den Orient der Märchen, wo kostbares Räucherwerk verbrennt und Rosenwasser bereitsteht. Buntes Glas verzaubert die Sonnenstrahlen, die wie farbige Seide auf Diwanen und herrlichen Teppichen liegen. Musikanten und Diener sind alle in der Tracht, die diesem Traum ansteht ... vielleicht ist auch jemand Besonderes darunter. Jemand, der diesen Rausch teilt ...
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Das Königshaus am Schachen nimmt unter den Bauwerken König Ludwigs II. von Bayern eine besondere Stellung ein. Es ist, als wäre es ein Vexierbild seiner Gedanken. Dem Bau fehlt völlig die Pracht, die seine Bauten sonst auszeichnet.
Geradezu gediegen wirkt das Haus mit den ausgesägten Holzornamenten auf den Betrachter. Das Erdgeschoss ist ähnlich gehalten, die Räume mit Zirbelholz verkleidet. Doch das gesamte Obergeschoss ist in einen Sultanspalast des Orients verwandelt.
Der Gegensatz hat noch heute eine ganz besondere Wirkung auf den Besucher – es ist, als trete man in eine andere Welt ein. Diese Wirkung hatte der König wohl erzielen wollen – vielleicht weniger, was andere Menschen betraf, sondern für sich selber. Denn die Gegensätzlichkeit im Haus wurde durch die Lage auf dem Berg des Wettersteingebirges durchaus noch gesteigert.
Ludwig von Bayern wurde zu seiner Zeit letztendlich für wahnsinnig gehalten, jedenfalls für unfähig, die Regierungsgeschäfte zu führen. Darüber gibt es heute Kontroversen, denn nicht alle Fachleute stimmen dem zu. Lebte er in der heutigen Zeit und wäre er nicht als König geboren, so wäre er vielleicht ein gut aussehender und schillernder Regisseur. Einer, der es versteht, Träume sichtbar werden und andere daran teilhaben zu lassen. Extravaganzen wären kein Thema, und vielleicht wirkte dieser Mann, der seine Träume auf diese Weise ausleben könnte, ohne das gnadenlose Korsett, in das ihn seine königliche Geburt zwang, überhaupt nicht sonderlich spleenhaft. Jedenfalls nicht mehr als die anderen der Zunft.
Er würde vielleicht mit namhaften Musikern zusammenarbeiten, und die besten Schauspieler würden sich darum reißen, bei seinen Projekten mitzuarbeiten. Und möglicherweise würde er den dritten oder vierten Oscar für die beste Regie in einem dunkelblauen Samtanzug entgegennehmen ... wer weiß.
© "König Ludwig II. von Bayern und das Haus am Schachen": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2010. Abbildungen: "Königshaus auf dem Schachen" von Florian Schott, Creative Commons-Lizenz. "König Ludwig II. von Bayern", Gemälde von Ferdinand von Piloty, Lizenz: gemeinfrei.
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