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Immer wieder streitet man einmal mehr um den Bezug von Hartz IV, aber auch um das Betreuungsgeld, das praktisch als Aufwandsentschädigung dafür gezahlt wird, dass ein Kind bis zum dritten Lebensjahr zu Hause erzogen wird – aber eben nicht für die Bezieher von Hartz IV.
Wie immer der Einzelne das nun sieht – ein Berliner Bezirksbürgermeister namens Buschkowsky ließ z. B. verlauten, dass die deutsche Unterschicht die Kohle ihrer Kinder doch nur versaufen würde ...
Gleich vorneweg sollte gesagt werden, dass Kollektivurteile immer und grundsätzlich falsch sind. Selbst wenn dieser Herr erklären würde, was und vor allem wen er mit "Unterschicht" meint. Alkoholiker und fetentaugliche Leute, die ein Gutteil ihres Einkommens in die Kneipe tragen, gibt es in allen sozialen Bereichen. Ob ein Arbeiter sich nun ins Elend gesoffen oder ein Industrieller sich in das völlige Abseits gekokst hat – das Resultat ist das Gleiche.
Also scheidet Sucht als Merkmal der Kastenzugehörigkeit erst einmal aus. Unterschiede gibt es nur in den Preisen für den jeweiligen Stoff. Billigbier-Sixpacks oder ein ausgesucht feiner Wein, Ecstasy oder Kokain – es ist auf jeden Fall die schnelle Route ins Abseits.
Kinderreichtum ist auch kein unfehlbares Mittel, um zu klassifizieren, denn es gibt auch große Familien mit gutem Einkommen, wie es auch alleinerziehende Hartz IV-Empfänger mit nur einem bis zwei Kindern gibt. Und von den letztgenannten gibt es, soweit bekannt, keine statistische Erhebung über die Verschwendung von Kinder- und Erziehungsgeld, den Ankauf von Suchtmitteln betreffend.
Bei Wikipedia heißt es, dass es sich bei der Unterschicht um eine Bevölkerungsgruppierung handelt, welche im Vergleich mit anderen Gruppierungen über die geringsten materiellen, kulturellen und gesellschaftlichen Ressourcen verfügt. Das trifft auf sehr viele Bürger dieses Landes zu, sagt aber überhaupt nichts über deren Sozialverhalten aus.
Rechnet man diejenigen dazu, die zwar eine Arbeit, aber durch die steigenden Lebenshaltungskosten unter dem Strich kaum mehr als den Sozialsatz zur Verfügung haben, dann würde das Heer dieser gewissenlosen Ausplünderer der Kinder noch größer.
Wer die Brille mit Vergangenheitsfokus abnimmt, der wird sich eingestehen müssen, dass die Zeiten, in denen Menschen ohne Arbeit und Einkommen schlichtweg als faul, unfähig, ungebildet oder kriminell bezeichnet werden können, lange vorbei sind. Wahrscheinlich hat es sie auch niemals gegeben, nicht in diesem Land, und auch sonst nirgends. Die wirtschaftliche und politische Situation bringt es mit sich, dass immer mehr Familien sehr hart um ihre Existenz kämpfen müssen – und das auch auf legale Weise tun.
Die Regierung unternimmt sehr erfolgreiche Versuche, die Bürger zu großen Teilen ins soziale und kulturelle Abseits zu drängen, und das schon seit recht langer Zeit. Bildungschancen für alle sind ein frommer Wunsch und rücken für Leute mit geringem Einkommen immer mehr in weite Ferne. Wie begabt Kinder aus "sozial schwachen Schichten" auch sein mögen – ein Studium ist praktisch unerreichbar für sie. Die Stigmata ihres sozialen Hintergrundes verdecken alles.
Wo man es sich leisten kann, wird ein unterdurchschnittlicher Schüler mit großem finanziellen Aufwand durch das Abitur oder die mittlere Reife geknirscht – für viele intelligente Kinder kommt dies erst gar nicht infrage, es fehlen schlichtweg die Mittel dafür. Auf diese Weise gibt es für Industrie und Wirtschaft nur beschränkte Auswahlmöglichkeiten. Es ist nicht unbedingt immer die intellektuelle Elite, die an maßgeblichen Stellen sitzt, wie so manches Beispiel zeigt. Ein intaktes Elternhaus und ausreichende finanzielle Mittel sind kein Garant für soziales Verhalten, ebenso wenig wie das gegenteilige Muster ein Merkmal krimineller Energie ist.
Wenn also nach gängiger Definition ein Angehöriger der Unterschicht in allen Bereichen des sozialen Lebens gehandicapt ist, würde dies – nach der Meinung von Herrn Buschkowsky – bedeuten, dass ein solcher Mensch permanent die Sparschweine seiner Kinder plündert, um sich seinen täglichen Rausch leisten zu können. Gelder, die vom Staat für einen bestimmten Zweck ausgezahlt werden, würde so ein gewissenloser Unterschichtler dann zweckentfremden, und nur zu seinem eigenen Vergnügen nutzen.
Manche Politiker sollten aus ihrem Schlummer erwachen und realisieren, dass die Mehrzahl der Bevölkerung mittlerweile per definitionem zur Unterschicht gehört. Dann sollte er sein Verhältnis zur Realität überprüfen, denn dies scheint nicht ganz ungetrübt zu sein. Man könnte sich an dieser Stelle fragen, wie es kommen kann, dass Menschen, die zu solchen pauschalen Ansichten und Aussagen fähig sind, eine verantwortliche politische Stellung innehaben.
Die Tatsache, dass es solches Verhalten gibt – es gibt schließlich auch unfähige Politiker – lässt immer noch nicht auf eine bestimmte Klasse schließen. Mit dem Erziehungsgeld ist mit Sicherheit schon mehr als ein neuer Fernseher bei Hartz IV-Empfängern finanziert worden – aber auch bei Beamtenfamilien.
Die von Herrn Buschkowsky beschriebenen Familien der Unterschicht gibt es mit Sicherheit, ebenso wie in anderen Schichten – aber sie stellen bei weitem nicht die Mehrzahl. Schwarze Schafe fallen eben sofort ins Auge – man kann von ihnen nicht auf die ganze Herde schließen.
Ein frommer Wunsch: Haltet notorische Schwarz-Weiß-Seher doch bitte von der Politik fern.
© "Kohleabbau auf Teufel komm raus": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2009. Bildnachweis: Figur mit Kleingeld, CC0 (Public Domain Lizenz).
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