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Eine Gruppe italienischer Wissenschaftler plant die Exhumierung der sterblichen Überreste von Leonardo da Vinci. Dies ist für andere ein Grund zurückzublicken – und sich mit dem damals Geschehenen auseinanderzusetzen ...
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Sharain trommelte ungeduldig mit seinen langen, feingliedrigen Fingern auf die Tischplatte aus glänzend poliertem Metall. Dann plötzlich hob er den Kopf und fixierte den herantretenden Mann mit eindringlichem Blick. Dieser sah unbehaglich zu Boden, er suchte das Augenpaar seines Gegenübers zu meiden.
Sharain wies mit einer bestimmend wirkenden Handbewegung auf den Stuhl, der vor dem Tisch stand. Faruth beeilte sich, der Aufforderung nachzukommen, hob aber die Augen nicht und wartete in sichtbarer Anspannung.
"Nun?" Das Wort kam in ruhigem, aber unmissverständlich drängendem Ton. Sharain gedachte nicht, seinem Gegenüber die Sache zu erleichtern, indem er Fragen stellte. Er wartete.
"Initiator", begann Faruth nun stockend, "Sie wissen um die Angelegenheit und die Dringlichkeit. Es sind ... nun, es sind Fehler gemacht worden." Die Worte hatte der Mann stoßweise hervorgebracht. Aber so, als ob er eine Hürde genommen hätte, war er nun fähig, den Kopf zu heben und Sharain in die Augen zu sehen. Der fixierte ihn abwartend, er wollte ihn noch nicht so leicht aus der Zange lassen. Nun gut, er war nicht verantwortlich für die Fehler in der Vergangenheit – aber Faruth leitete die Wissenschaftsabteilung und hätte diese ungeheuerliche Schlamperei entdecken müssen. Zumindest sah der Initiator das so.
"Initiator Sharain, es ist viele Zeitspannen her, dass dieses Experiment gemacht wurde, das wissen Sie. Ich war damals gerade in das wissenschaftliche Korps berufen wurden und war in die Angelegenheiten der Leiter nicht eingeweiht." Sharain nickte knapp und beugte sich ein wenig vor, ohne den Blick abzuwenden. "Sprechen Sie weiter, Dr. Faruth", sagte er kühl. Der Wissenschaftler suchte verzweifelt nach einem neuen Anfang, um die ganze komplexe Situation erklären zu können. Er war sich nicht sicher, wie viel Einzelheiten er Sharain zumuten konnte. Der Initiator war ein gebildeter Mann und bekleidete einen der höchsten Ränge der Exekutive, aber er war kein Wissenschaftler. Vermutlich kam es ihm auch weniger auf die Details an als auf den Ablauf.
Aber genau das war etwas, worüber Faruth selber nicht alles wusste. Er räusperte sich und fuhr fort. "Es waren schon einige unserer Art eingeschleust worden, und mit beträchtlichem Erfolg. Der Planet war im Prinzip von den dort herrschenden Voraussetzungen her ein natürliches Erfolgsmodell. Nach einigen sonderbaren evolutionären Umwegen setzte sich eine Spezies durch, die sich rasant entwickelte. Wir beobachteten das sehr interessiert, denn wie Sie wahrscheinlich wissen, unterscheidet sich diese Welt sehr von allen anderen. Anders als bei den anderen jungen Welten schlug die Entwicklung einen sehr außergewöhnlichen Weg ein."
Faruth hatte während seiner Erläuterungen die Kunstwerke an den Wänden betrachtet, aber jetzt sah er zu Sharain hin, um zu sehen, ob dieser gelangweilt oder ungeduldig war. Doch der Initiator zeigte gespannte, wenn auch sehr beherrschte Aufmerksamkeit.
"Tatsächlich spaltete sich die Population in verschiedene Gruppen auf und entwickelte sich getrennt weiter. Das kennen wir von anderen Welten mit verschiedenen klimatischen Bedingungen zwar auch, aber die Verschiedenheit betrifft nur die Äußerlichkeiten, die eine optimale Anpassung an die Umwelt mit sich bringt. Variable Größen oder Hautfarben sind die Folge davon. Aber dieser Planet überraschte uns alle, denn es entwickelten sich verschiedene Kulturen, die sich in eklatanter Weise unterschieden. Sie bauten entwicklungstechnisch Zeitzonen auf, ohne sich dessen bewusst zu sein. Es war, als lebten Menschen verschiedener Zeitalter auf derselben Welt. Die Wissenschaftler waren davon fasziniert. Dieser Forschungsplanet nahm bald eine gesonderte Stellung ein. Allerdings lief das Lieblingsobjekt der Forscher sehr oft Gefahr, sich zu entvölkern. Die Bewohner waren aggressiv und bekämpften sich unaufhörlich gegenseitig. Die Entwicklung kam mehrmals ins Stocken und wir griffen ein, indem wir ... nun, indem wir genetisches Material einschleusten."
"Das ist mir bekannt, Dr. Faruth!" Jetzt klang die Stimme des Initiators leicht gereizt. "Obwohl es viele warnende Stimmen unter den Fachleuten gab, wurden native Frauen mit genetisch minimal veränderten Spermien befruchtet. In das Erbmaterial verankert wurden Informationen, die von den dort geborenen Kindern früher oder später verwirklicht werden würden. Ihr hofftet so, die Entwicklungskette, die gerissen war, mit einem eingefügten Glied zu flicken." Die Augen mit der großen goldenen Iris blickten jetzt ungeduldig, und Faruth beeilte sich fortzufahren: "Die dort herrschende Spezies war in ihrem Erscheinungsbild dem unseren sehr ähnlich, so dass nur eine sehr geringe genetische Anpassung vorgenommen werden musste, eigentlich nur im kosmetischen Bereich. So kam es in Gebieten, in denen die Population auszusterben drohte, zu wirksamen Erfindungen. Sie hätten sehr viel länger gebraucht, um die Domestizierung der Tiere einzuleiten. Die Zeit war zu knapp, man musste sanft eingreifen. Und wir taten es immer dann, wenn es notwendig wurde."
Sharain zog eine Braue hoch und lächelte kalt, als er einwarf: "Oder als Ihr es dafür hieltet."
Faruth nickte zustimmend. "Wir hatten das Erbmaterial abgekapselt, es sollte sich nicht mit der Matrix der Eingeborenen vermischen. Mit den leichten ... Schubsern unsererseits entwickelten sich die eingeborenen Menschen sehr gut, wenn nicht unbedingt in ethischer Weise, aber doch in den Belangen der Wissenschaft. Bis es zu einem absoluten Stillstand kam."
"Den Berichten nach handelte es sich um die Zeitspanne, die 'Mittelalter' genannt wurde, nicht wahr?"
Faruth war überrascht, wie gut der Initiator informiert war. "Jawohl, in dieser Zeit war alles von einem geistigen Rückschritt betroffen. Er wurde im Wesentlichen durch eine neue Art des spirituellen Lebens ausgelöst, die ihr Heil im Nichtwissen suchte und die wissenschaftliche Forschung praktisch verbot. Bevor es zu einer globalen rezessiven Phase kam, griffen wir ein letztes Mal ein. Wir schufen ein Genie, das in allen Bereichen brillant war und seiner Zeit voraus. Er sollte genug Kampfgeist haben, um die von Furcht befallenen Weisen seiner Zeit aufzurütteln und mit ihnen gemeinsam gegen das geistige Dunkel kämpfen. Und es gelang."
"Oh ja, es gelang, Faruth! Und wie es gelang. Sein Name war berühmt zu seiner Zeit – und die ganzen Zeitspannen bis jetzt. Die Entwicklung überschlug sich seit der Zeit seines Wirkens. Mittlerweile, Faruth, kommen sie uns bedenklich nahe, nicht wahr? Die lächerlichen kleinen Hüpfer mit diesen Brennstoffkatastrophen, die sie im Raum benutzen, werden sie bald zu interstellaren Reisen ausweiten. Und wenn ihre Wissenschaftler die Spur lesen können, die seine Matrix so breit wie der Schweif einer Supernova legt, dann kommen sie sogar sehr bedenklich nahe. Sie haben gegen den Codex Ihrer Gilde verstoßen, Faruth! Sie haben die Sicherheit nicht ernst genug genommen! Sie haben die Entwicklung Ihres Spielzeugs verschlafen!"
Sharain war lauter geworden und hatte sich halb im Stuhl erhoben – so, als wolle er den Wissenschaftler anspringen. Faruth hob abwehrend die Hände.
"Man muss nicht das Schlimmste annehmen, Initiator. Es gibt doch keine Anzeichen für wirkliche Probleme, auch wenn wir den Körper nicht ausgetauscht haben."
"Faruth, wachen Sie auf! Die Bewohner des blauen Planeten sind mindestens ebenso forschungsbesessen wie Sie und Ihr Korps – ihr Wissensdrang geht in alle Richtungen, auch in die Vergangenheit. In dieser Gruft dort auf der Erde liegt der genaue Weg zu den Sternen und zu uns, weil Sie versäumt haben, den Körper auszutauschen. Dort liegt der echte Leonardo. Sollte man auf die Idee kommen, das Grab zu erforschen – bei allen Planeten, Faruth – wir können es nicht mehr aufhalten. Ihre hilfsbedürftigen Entwicklungsobjekte haben längst die Gentechnik entdeckt, Faruth. Und Sie haben es übersehen!"
© "Da Vincis Herkunft. Wo liegt der echte Leonardo?": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2010.
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