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Eigentlich war sie so etwas wie ein Kind der "großen" Oper – und in gewisser Weise stimmte das auch, denn wie der Name besagt, handelte es sich um eine kürzere, also eine "kleine Oper". Aber was ist aus diesem Kind für ein wunderbares Geschöpf geworden: spritzig und unglaublich lebendig, bunt und natürlich prickelnd wie guter Champagner, so zeigt sie sich, die Dame mit den langen Abendhandschuhen und der Straußenboa.
Von der ernsteren Verwandtschaft ein wenig geringschätzig betrachtet wurde sie schon – die Schöne mit der Maske in Blau – doch hat sie sich davon niemals stören lassen und ihr Publikum mitgenommen in Ballsäle, auf Inseln oder gar zum Mond. Sie war immer dabei, wenn sich Liebende fanden oder zuweilen zankten, sie hob entzückt ihr strassbesetztes Lorgnon, wenn sich ein bunter Reigen der Lebenslust und des Lachens immer schneller drehte. Ihr Metier sind die Verwirrspiele und komischen Intrigen, die Unbeschwertheit und auch die sentimentalen Lieder und Gefühle – eben alles das, was das Leben interessant macht. Und zuweilen schlug die so unernste Diva mit ihrem Fächer auch neckisch in Richtung politischer Gegebenheiten.
Man hat der Operette oft Frivolität oder mangelnden Ernst vorgeworfen und sah sie durchaus nicht als "große Kunst", was aber vor allem damit zu tun hatte, dass die eigenwillige Dame nicht den strengen Regeln der Opera folgte, sondern praktisch gesehen einen Spitzenunterrock mehr trug ... es wurde auf andere Dinge Wert gelegt. Anders als bei der großen Oper gibt es gesprochenen Text, der zwischen den Gesangsstücken den Fortlauf der Handlung webt. Ging der Vorhang auf, zeigten sich wundervolle Kostüme, lustige oder rührende Szenen, komische Zwischenfälle und Situationen, Tänze und vor allem mitreißende Musik und ebensolche Lieder. Kurzum, alles was den Leuten gefiel.
Man pfiff die heiteren Melodien auf der Straße, man sang sie daheim und sie wurden bei Tanzabenden gespielt. Die Dame mit dem perlenden Lachen und der wunderschönen Stimme warf noch rasch eine Handvoll Konfetti und verließ die "ernsthafte" Verwandtschaft für immer, um eine umwerfende Karriere zu machen. In rauschenden Ballnächten wirbelten ungarische Grafen und Bettelstudenten über die Bretter, die die Welt bedeuten, und sorgten für äußerst langlebige Ohrwürmer. Mit einem eleganten Sprung, bei der ihr ein fescher Kavalier in Zylinder und Cape galant half, schaffte Madame es auf die Filmleinwand und konnte sich in eindrucksvoller Weise präsentieren. Technicolor und große Säle, das war wundervoll und steigerte ihre Berühmtheit noch um einiges mehr. In nachtblauen Samt gehüllt konnte sie sich auch tiefgründiger zeigen – Helden und Vorbilder tauchten auf und brachten ernsthaftere Elemente zum Tragen.
Noch vor Zeiten von den Kritikern als bloßes Singspiel herabgewürdigt zeigte sie nun ihre ganze Palette und erstaunte ihr Publikum immer wieder aufs Neue. Längst gesellschaftsfähig geworden war sie Schirmherrin für einen ganzen Berufsstand geworden, denn die hervorragenden Interpreten widerlegten mühelos jeden Versuch, die Operette als "geringere Kunst" abzuwerten. Eine lange Liste bedeutender Namen, die sich wie ein eigener Walk of Fame aus leuchtenden Sternen durch die Welt der Operette ziehen, haben Geschichte gemacht.
Und es ist noch lange nicht zu Ende, denn sie lacht noch immer ihr hinreißendes Lachen und hält gekonnt ihr Champagnerglas in den satinbehandschuhten Händen, während ihr Kavalier feurige Blicke wirft. Was damals so faszinierend an der Operette war, hat auch heute durchaus seinen Reiz nicht verloren, denn es ist ein eigenes Milieu, eine ganz bestimmte Stimmungswelt, die sie präsentiert. Tatsächlich gewinnt sie neue Fans, denn Operettenmusik ist wie das erste Glas Champagner – zuerst steigen die Perlen in die Nase und man zieht sie kraus, aber dann verfällt man dem Prickeln für immer.
Die Operette war zu allen Zeiten ein Medium mit sehr vielen Facetten, eine vielschichtige und lebendige Kunstform, die deswegen auch ebensolche Interpreten braucht. Die sprichwörtliche Leichtigkeit gründet in ernsthafter Arbeit, erstklassiger Ausbildung und breitgefächertem Können. Kommt dies alles zusammen, muss es nur noch auf die Operette treffen und die Ballsaison findet einen neuen, aufregenden Höhepunkt.
Gabrielle Heidelberger ist so ein besonderer Glücksfall, eine Künstlerin mit außerordentlichem Hintergrund, die sich des Genres angenommen hat und gerade dabei ist, der Operettengeschichte einen neuen Stern hinzuzufügen. Geboren in Saarbrücken, studierte die Künstlerin Gesang und Stimmbildung bei Prof. Martha Sharp in Mannheim und absolvierte die "Meisterklasse für Lied", das klassische amerikanische Musical betreffend, an der Hugo-Wolf-Akademie in Stuttgart. Ihre stimmliche Bandbreite ist gewaltig und reicht von Oper bis hin zum Jazz, mit dem sie mehr als nur eine beiläufige Affäre eingegangen ist.
Gabrielle Heidelberger ist Autorin, Produzentin und Regisseurin – aktiv im In- und Ausland – und auch als Stimmbildnerin und Vocalcoach tätig. Ein solches Multitalent passt hervorragend zur Operette, die eigentlich so ziemlich alles Menschliche und allzu Menschliche abdeckt. Es passt einfach – und wenn dabei eine CD herauskommt, ist es nicht verwunderlich.
Die Welt ist Operette ist eine Hommage an die Grande Dame der Unterhaltungsmusik und wird ihr mehr als gerecht. Gabrielle Heidelbergers Stimme verleiht der Musik neues Leben und verehrt mit ihren Interpretationen die großen Komponisten des Genres. Den männlichen Part singt der in Italien geborene Armin Kolarczyk, der nach seinem Violinstudium am Konservatorium Trento in München Gesang studierte und seit 2007 am Badischen Staatstheater Karlsruhe engagiert ist. Kolarczyk setzt meisterhafte Akzente und ist das richtige Pendant für die Stimme der Künstlerin.
Siebzehnmal entführt die Musik verschiedener großer Komponisten in die Welt der Operette, gespielt von der Donau Philharmonie Wien unter der Leitung des österreichischen Dirigenten Manfred Müssauer, dem lebendige Interpretationen am Herzen liegen.
Noch immer verfügt die Operette über diese ganz besondere, entführende Magie, die nicht mehr loslässt. Gabrielle Heidelberger versteht es brillant, diesen Zauber zum Leben zu bringen. Man sollte diese CD nicht einfach anhören – man sollte sie schlürfen wie etwas Kostbares und Prickelndes.
Solisten: Gabrielle Heidelberger, Sopran. Armin Kolarczyk, Bariton. Orchester: Donau Philharmonie Wien, Dirigent Manfred Müssauer.
Die CD "Die Welt ist Operette!" gibt es als Audio-CD, MP3 oder Stream im Handel.
© "Frau Luna und die Fledermaus": Musikrezension von Winfried Brumma (Pressenet), 2010. Abbildung: Fidelitas-Records.
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