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(Januar 2010) Der entsetzte Bürger liest die Nachrichten, insbesondere die über die Lohnpolitik der Deutschen Bahn, oder Firmen wie Schlecker – und wundert sich. Der einfache Trick des Drogeriemultis, die unterbezahlte Belegschaft zu kündigen, um dann gemietete Leiharbeitskräfte für einen Bruchteil einzustellen, hat sich als sehr effektiv erwiesen.
Der Staat macht das schon einige Zeit länger, mit noch größerer Effizienz allerdings. Wie schon oft beschrieben, liegt der Verdienst in der Vermietung der Hartz-IV-Empfänger, die für ein Almosen genau dieselbe Arbeit tun wie solche, die über einen regulären Arbeitsvertrag verfügen. Zuweilen machen sie sie sogar noch besser – hat wohl irgendwas damit zu tun, dass man kein Faulenzer ist, trotz Hartz IV. Die Differenz streicht die Arge ein und ist glücklich damit.
Es gibt zwar Bestimmungen, die verhindern sollen, dass den Service- und anderen Betrieben das Wasser abgegraben wird, aber daran hält sich niemand. Da gibt es zum Beispiel diese caritativen Tricks – im Klartext, dass zum Beispiel Reinigungshilfen oder sonstige Helfer für behinderte Menschen von der Arge rekrutiert werden müssen, weil es kaum finanziellen Spielraum gibt. Betriebe sind nicht in der Lage, das zu unterbieten, oder sie können sich schon einmal einen Antrag für die Arge zurechtlegen. Dann dürfen sie die Jobs allerdings machen. Schließlich sind sie dann billiger.
Das alles ist soweit bekannt – es ist durchaus kein Geheimnis mehr, dass der Staat auf diese Weise Hartz-IV-Empfänger herstellt. Nun will man aber gegen diesen selbst herbeigeführten Zustand etwas tun, allen voran momentan Roland Koch. Der hat nämlich die Lösung für das Problem gefunden. Scheinbar sind Herrn Koch die Menschen, die ohne Zuschüsse von der Arge überleben, ein Dorn im Auge. Aus irgendeinem Grund gefällt ihm die Wirtschaftslandschaft nicht, die tatsächlich noch über einen Teil kleiner und mittelständischer Betriebe verfügt, die reguläre Löhne zahlen können. Wahrscheinlich macht ihm das Angst, dem Herrn Koch.
Menschen, die einen guten Arbeitsplatz haben und dafür ordentlich bezahlt werden, sind vielleicht auch ein Angstmacher – erstens einmal weil sie so selten geworden sind, und zweitens weil man keinen so rechten Zugriff auf ihr Leben hat (Roland Koch hat vielleicht ein schwaches Nervenkostüm, dem muss man wohl Rechnung tragen). Seine Lösung sieht nun so aus, dass der Staat noch mehr Jobs für die Hartz-IV-Empfänger schaffen muss, damit die alle "für ihr Geld arbeiten" gehen müssen. Faulenzen darf nämlich keiner – und ... so Herr Koch: "... Hartz IV als angenehme Alternative sehen."
Spätestens nach diesem Ausspruch hat man den Verdacht, dass der hessische Ministerpräsident etwas falsch verstanden hat. Oder dass man ihm etwas falsches erzählt hat. Denn der Bezug von Hartz IV ist nicht angenehm und keine akzeptable Variante des Berufslebens. Und es ist keine Entscheidung, die der Einzelne trifft, so etwa in dem Stil "Was, du machst eine Zimmermannslehre? Auch nicht übel, aber ich hab mich für eine Hartz-IV-Laufbahn entschieden. Mein Vater sagt, das hat mehr Zukunft."
Wenn eines der Unworte des vergangenen Jahres auch "hartzen" ist, so versteht man das wohl besser im sarkastischen Sinn. Der Gebrauch dieses Wortes unter perspektivlosen Jugendlichen kann zwar mit viel Fantasie als Bekenntnis zur Faulheit verstanden werden, aber es ist wohl eher ein Statement in Sachen Hoffnungslosigkeit. Und unglaublich traurig ist es obendrein auch.
Wie man liest, möchte Herr Koch am liebsten Hunderttausende von Jobs für die Bezieher freistellen. Überhaupt soll das Dazuverdienen einfacher gemacht werden. Einfacher, Herr Ministerpräsident? Es geht wohl darum, dass jeder Bezieher nur ca 100 Euro dazuverdienen darf. Viele tragen Zeitungen aus oder machen sonst einen Minimaljob, um die kargen Bezüge aufzubessern. Was darüber hinausgeht, zieht die Arge an. Und deshalb geht es auch kaum darüber hinaus bei den meisten.
Da beklagt Herr Koch die mangelnde Motivation. Wer "fremdgeht", also für einen anderen Anbieter als die Arge arbeitet, handelt sich ziemliche Schwierigkeiten ein. Der daraus resultierende Papierkrieg und die dauernden Kontrollen sind zermürbend. Einfacher ist es, sich in irgendeine Arbeitskolonne oder ein Callcenter, die mit der Arge einen Deal hat, einreihen zu lassen. Davon hat man zwar nicht mehr, aber nach der Knochenarbeit wenigstens seine Ruhe. Gefragt wird sowieso keiner.
Diese Zustände will Herr Koch also noch ausweiten mit seinem Modell, vermutlich will er auch sehen, wie die Schwarzarbeitsquote alle Rekorde bricht seit ihrer Erfindung. Und diesen Spaß wird er wohl auch haben, das ist jetzt schon absehbar.
Die Frage ist, wann wird dieser Ritt auf dem Tiger enden, wenn drei Viertel der Bevölkerung als Sklaven vermietet werden? Wenn die Kliniken anfangen, Ärzte zu entlassen, die dann von der Arge in eben demselben Krankenhaus für 1,50 pro Stunde Bereitschaft schieben müssen? Na gut, solange das keinen Einfluss auf die medizinische Sorgfalt hat ...
© "Lohnpolitik: Der Ritt auf dem Tiger": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2010.
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