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Rollenspiele sind ein beliebter Zeitvertreib. Die meisten Leute mögen sie, Kids sowieso, und es ist auch nichts dagegen zu sagen.
Das Szenario befindet sich meist in einer alternativen Welt, die von mythischen Wesen wie Drachen, Werwölfen, Elfen sowie Orks und anderen Seltsamkeiten bewohnt wird. J.R.R. Tolkien lässt grüßen und wird begeistert zurückgegrüßt.
Manchmal ist ein "Held" vorgegeben, meist aber kann die Hauptspielfigur erschaffen werden. Da gibt es verschiedene Auswahlmöglichkeiten, was den Beruf, das Geschlecht oder die Ethnie betrifft. Sogar in welchem Outfit sich unser Held in der fiktiven Welt bewegen kann, ist einstellbar und somit Geschmackssache.
Manche Spiele lassen die Hauptfigur auf einem langen Egotrip durch die Welt questen, manche setzen auf Teamwork. Bessere Spiele bieten eine gut durchdachte Geschichte sowie eine funktionierende Welt mit Tiefe. Eher nicht so gute Varianten arten in ein endloses Hauen und Stechen aus. Hier verhält es sich nicht anders als bei Fantasyfilmen oder Geschichten.
Solche Spiele bieten eigentlich einen Miniurlaub in einem anderen Universum. Zwar gibt es da auch Probleme, aber die sind lösbar und zu überschauen. Der jeweilige Held lernt mit der Zeit dazu und wird stärker und intelligenter, verhält sich also dynamisch zu den schwieriger werdenden Aufgaben im Spiel. Irgendwann hat man dann die Welt gerettet und das Böse besiegt. Mit Magie, Schwert und Intelligenz kommt man weit. Eine nette Alternative zum Fernsehen nach Schulschluss oder Feierabend, wenn man nicht vergisst, wo im Spielmenü der Button für "Spiel verlassen" ist.
So weit, so einfach. Mittlerweile sind wir aber einen Schritt weiter. Wir sind bei Online-Spielen angelangt. Der Unterschied besteht darin, dass man sich die Spielwelt mit Tausenden von Spielern teilt. Hinter jedem Schwertträger, der einem begegnet, steckt ein realer Mensch, der zu Hause an seinem PC sitzt. Die Idee ist im Prinzip genial und wurde begeistert angenommen. Diese Art von Zeitvertreib boomt gewaltig und die Tendenz ist steigend. Das bekannteste und wohl auch berüchtigtste Spiel ist World of Warcraft, ein Fantasygame und mittlerweile als süchtig machend eingestuft.
Der Einstieg ist leicht – man besorgt sich die entsprechende Software und eröffnet einen Account. Eigentlich ist der kostenpflichtig, aber wenn man weitere Spieler wirbt, kann man jeweils einige Zeit gratis spielen. Ist man erst einmal drin, entwickelt sich rasch ein Zweitleben in einer Ersatzgemeinschaft. WoW ist kein Zeitvertreib, es ist ein absoluter Zeitvernichter. Da man sich mit den anderen Spielern austauschen kann, entwickeln sich Gemeinschaften mit extrem hohem Gruppenzwang. Die gesetzten Ziele müssen in einem geradezu militärisch organisiertem Feldzug mit festem Zeitplan erreicht werden. Der Ton in der Gruppe ist zuweilen recht rüde und die hierarchischen Strukturen unübersehbar hart.
Der Spieler beugt sich dem Gruppenzwang so rückhaltlos, dass er sein Leben nach den Zeitplänen des Spieles ausrichtet. Wie man in vielen Foren lesen kann, ordnen die Betroffenen alles ihrem "Zweitleben" unter, das somit recht bald zur primären Realität wird. Für die meisten bedeutet das einschneidende Folgen in ihrem beruflichen oder sozialen Leben. Schüler lassen in ihren Leistungen extrem nach, erwachsene Spieler landen nicht selten in der Arbeitslosigkeit und im sozialen Abseits.
Das wird vom Spieler nicht wahrgenommen, denn sein dauerndes Engagement sorgt ja dafür, dass in der WoW-Welt alles prächtig läuft. Und diese Welt hat längst den größeren Stellenwert. Reale Kontakte werden nach und nach abgebrochen, die soziale Interaktion innerhalb der Familie weicht einer Art Autismus, einer Unfähigkeit, sich auf Menschen einzulassen. Die physischen Belange werden sehr vernachlässigt, ein Spieler im fortgeschrittenen Stadium wird nur dann eine ganze Mahlzeit zu sich nehmen, wenn man sie direkt auf das Desk und genau vor den Bildschirm platziert.
Die Frage nach dem "warum" erübrigt sich – die Gründe liegen klar auf der Hand: Im Spiel erreicht man hohe Fähigkeiten und große Kräfte, ohne sich auch nur ansatzweise real anzustrengen. Per Mausklick und mit ein wenig strategischem Denken wird man zu einem Helden. Im Spiel ist man wer. Und im Gegensatz zu den solitären Spielen kann man sich im WoW-Universum einen Ruf erarbeiten und einen Bekanntheitsgrad erreichen, der in der schwierigen realen Welt kaum infrage kommt. Gehört man dann noch einer der besten und bekanntesten Gruppen an, ist alles geradezu perfekt. Dafür zahlt der Spieler mit jedem Anspruch auf Selbstbestimmung und ordnet sich den Kadern des Spieles völlig unter. Gehört er selber zu den ranghohen Membern, kostet es viel Zeit und Einsatz, um den Rang zu halten.
Und das will man um jeden Preis.
Ist die Sucht nach WoW nichts weiter als die Sucht nach Anerkennung? Ist es so einfach? Oder ist unsere Welt auch für die Intelligenten dermaßen kompliziert geworden, dass immerwährend nach Fluchtwegen gesucht werden muss? Wer kommt wirklich noch zurecht mit den hohen Einschränkungen und den immer oberflächlicher werdenden sozialen Interaktionen?
Im realen Alltag stößt man bei jedem Schritt auf Grenzen, rennt gegen Mauern an, kann sich nur schwer verwirklichen. Man muss sich mit sich selbst auseinandersetzen und kann sich keine neue Persönlichkeit aussuchen. Bei WoW kann man das. Man ist der, der man sein will. Aber durch das Ersetzen einer Unfreiheit durch eine andere gewinnt man nichts. Man liefert sich auf Dauer einem Zwang aus, der auch das andere Leben unmöglich macht. Im Grunde ist diese Sucht, was die Folgen betrifft, nicht anders als die Alkohol- oder Drogenabhängigkeit. Raus aus dieser Welt und mit Drive in die nächste, welche sich mit der Zeit als Hölle outet.
Das alltägliche reale Rollenspiel ist mitunter notwendig oder wird dafür erachtet, die PC Spiele sind nichts weiter als ein kleiner Break im Alltag oder sollten es zumindest sein.
Ein gigantischer Moloch wie WoW ist, außer einer hervorragend funktionierenden Geldmaschine für die Betreiber, eine ebenso ernste Gefahr für die physische und psychische Gesundheit wie alle anderen harten Drogen auch.
Dass es ein legaler und billiger Suchtstoff ist, macht ihn extrem gefährlich – das spielt letztendlich für uns alle eine große Rolle.
© "Rollenspiele: Spielt die Realität eine Rolle?": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2010. Bildnachweis: Rollenspiel Vampir Theater, CC0 (Public Domain Lizenz).
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