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"Alles auf den Boden legen. Loslos, runter! Macht keinen Ärger, dann passiert keinem was!"
Die Kunden der Bankfiliale lassen ihre Tüten und Taschen fallen und legen sich brav auf den Fußboden. Die Angestellten halten weisungsgemäß ihre Hände über dem Kopf verschränkt – bis auf den einen, der die Sicherheitstür öffnen soll. Der bringt es fertig, kurz bevor die Gentlemen mit den Strumpfmasken bei ihm sind, den versteckten Alarmknopf zu betätigen und dann innerlich aufzuatmen, während er ergeben den Kopf senkt. Er macht langsame Bewegungen und reagiert auf die gezischten Befehle der Bewaffneten nicht sofort, kaschiert mit einer Herzattacke.
Trotz der Verzögerungstaktik verlassen die Räuber nach 45 min(!) mit ihrer Beute die Bank. Ihre Flucht wird etwas verzögert, da auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig eine Massenschlägerei stattfindet und die Bierflaschen fliegen, was das Einsteigen in das Fluchtfahrzeug etwas erschwert. Zudem muss ein Umweg in Kauf genommen werden, da auf der Hauptstraße eine größere Karambolage das Weiterfahren unmöglich macht. Die betroffenen Autofahrer liefern sich erbitterte Wortgefechte, hier und da werden die Fäuste erhoben.
Teilnehmer einer nicht genehmigten Demonstration machen am Unfallort Halt, mischen sich lautstark ein und geraten in ein Handgemenge mit Gaffern. Vom Zentrum her nähert sich ein Fanfarenzug des Reitervereins mit berittenen Tambourmajoren. Als die Bankräuber nach einer weiteren halben Stunde glücklich die Bundesstraße erreicht haben, sehen sie ein Polizeifahrzeug mit heulender Sirene auf der anderen Spur in Richtung Stadt fahren.
Nun ja, es gibt Tage, da kommt alles zusammen. In Deutschland ist dieses fiktive Szenario, wie eben beschrieben, nicht mehr undenkbar. In manchen Städten klingelt man schon ab und an vergebens an der Präsidiumstür oder lässt erfolglos das Handy bimmeln.
Denn nach Aussagen der Bundespolizeidirektion Koblenz sind – nur dort – gerade mal 230 Dienststellen von 325 offenen Dienstposten besetzt. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass manche Wache zuweilen unterbesetzt ist. Da die Kräfte bei Sondereinsätzen, wie Begleitschutz von Fussballfans oder anderen außerordentlichen Einsätzen zusammengezogen werden, findet regulärer Streifendienst immer öfter nicht statt. Bei "Bagatellfällen", wie Schlägereien auf offener Straße, kann versucht werden, die Polizei zu rufen – wahrscheinlich bleibt es dann auch beim Versuch.
So wird man in einer grenznahen rheinland-pfälzischen Stadt bei nächtlichen Lärmbelästigungen grundsätzlich damit beruhigt, dass die einzige Nachtstreife, sobald es möglich ist, benachrichtigt wird und man praktisch in der Warteschleife hängt. Irgendwann kommt die Streife dann vorbei, wenn das Etablissement so gegen 4 Uhr früh geschlossen hat.
Das Polizeipräsidium in diesem Ort ist von Grünanlagen umgeben, in denen es abends und nachts recht lebendig zugeht – das Klirren von zersplitterndem Glas erreicht um Mitternacht meist Polterabend-Niveau, die Gesänge der Outdoor-Partygäste verstummen oft erst im Morgengrauen. In Sichtweite des Polizeigebäudes wird mit erheblichem Lärmaufwand demoliert, was gerade im Wege steht, und das einzig erleuchtete Erdgeschossfester des Riesenbaus bleibt geschlossen.
Wer hier verletzt wird, kann nur hoffen, dass die Stellen beim Roten Kreuz oder den Maltesern besser besetzt sind, und dass in der Klinik die Nachtschicht personell gerüsteter dasteht. In wirklich ernsten Fällen werden Notrufe in eine andere Stadt weitergeleitet, von wo aus dann ermittelt wird, wer in Marsch gesetzt werden kann.
Nach Meinung der Bundespolizeidirektion Koblenz sind Sicherheitslücken nicht wahrscheinlich – aber nach Meinung der Bürger sollten mehr Taekwondo-Kurse angeboten oder Ohrenstöpsel zum Selbstkostenpreis abgegeben werden.
Sollte in gewissen Kreisen das Personalproblem der Polizei realisiert werden, könnte sich eine Marktlücke auftun. Nach bewährtem Muster des "Abenteuertrips" könnte es Gruppenfahrten zum fröhlichen Scheibeneinschmeißen geben. "Randalo total für drei Tage – nur 290 Euro" als Last Minute, oder Stadtpläne mit angekreuzten Bankfilialen als E-Book, der Renner sind Geldinstitute in Polizeiwachennähe, denn da ist es am unwahrscheinlichsten, dass bei der Berufsausübung gestört wird. Wer hier schnell ist, kann ein riesiges Gebiet erschließen.
Die Zeiten ändern sich eben, und wer einen Polizisten nach dem Weg fragen will, muss erst einen suchen – und der wird dann vermutlich freundlich sagen: "Tut mir leid, ich bin auch fremd hier."
Aber irgendwas ist ja immer.
© "Eine Frage der Sicherheit – das Personalproblem der Polizei": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2010.
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