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In der heutigen Zeit ist der Sklavenhandel international geächtet, zumindest nach außen hin. Sklaverei in der einen oder anderen Hinsicht gibt es nach wie vor – denn man kann erzwungene Tätigkeit unter unmenschlichen Bedingungen ja kaum anders nennen.
Doch auch die tatsächliche Sklaverei – mit dem Hintergrund, dass ein Mensch zum Besitzer eines anderen Menschen wird, den er nach Gutdünken gebrauchen und auch wieder veräußern kann – ist leider noch kein historisches Kuriosum. In manchen afrikanischen oder arabischen Ländern blüht der Handel nach wie vor – wenngleich weitaus diskreter vorgegangen wird als in den "alten Zeiten".
Die endgültige Abschaffung der Sklaverei, die seitens der christlichen Länder vorausging, war der Endpunkt eines langen und schwierigen Prozesses. Die Sklavenarbeit garantierte hohen Verdienst, und die Geschichte der amerikanischen Sklaven ist allgemein bekannt. Auf ihren Schultern wuchs das Vermögen der Plantagenbesitzer, ihre Arbeitskraft machte ihre Herren reich. Zahllose Berichte aus dieser Zeit zeichnen ein Bild von den Bedingungen, denen die schwarzen Sklaven ausgesetzt waren.
Nicht alle Besitzer waren wohl unmenschlich oder grausam ihren Arbeitstieren gegenüber – doch diejenigen, die ein gewisses Maß an Menschlichkeit walten ließen, waren bei weitem in der Minderheit. Wie die Behandlung auch im Einzelnen gewesen sein mochte: Sklaverei und Menschenwürde vertragen sich nicht. Immer wieder riskierten Männer und Frauen die Flucht, selten gelang es ihnen. Ein wieder eingefangener Sklave wurde mit fürchterlichen Strafen belegt und dann meist an den nächst besten Händler verramscht, der ihn nur noch als Discountware an irgendeinen Menschenschinder weitergeben konnte. Sklaven, die als fluchtwillig galten, konnten nicht teuer verkauft werden, weil sie als Unruhestifter und somit als wertlos galten.
Diejenigen Menschen, die in Afrika geboren waren, machten sich kein Bild von dem Land, in dem sie sich nun befanden nach der Überfahrt – sie kannten die Sprache nicht, und wenn sie flüchten konnten, endete dieser verzweifelte Versuch meist mit ihrem Tod. Die Abkömmlinge dieser Afrikaner wurden, so gut es eben ging, in einem Zustand des Nichtwissens gehalten, jedenfalls glaubten das ihre Besitzer. Aber die Bewohner der Sklavenhütten gaben weiter, was sie in Erfahrung bringen konnten, und dies verbreitete sich sehr schnell. Die berühmten Lieder, die auf den Feldern des Südens von den Arbeitern gesungen wurden, waren oft Mitteilungen, die von Plantage zu Plantage gingen. Die Schwarzen gaben so Tod, Geburt oder auch gefährlichere Dinge wie heimliche Treffen oder Fluchtpläne weiter, ohne dass es aufgefallen wäre.
Mit der Zeit hatten sich schwarze wie auch weiße Gegner der Sklaverei formiert und arbeiteten oft Hand in Hand. Entlang des langen Weges vom Süden Amerikas bis hinauf in den Norden – und sogar nach Kanada, wo flüchtige Sklaven nicht ausgeliefert wurden – stellten Menschen, denen die Verhältnisse zuwider waren, Verstecke zur Verfügung. Es entwickelte sich ein gut funktionierendes und ausgeklügeltes System: Die so genannte "Underground Railroad". Der Name stand für mutige Fluchthelfer und Begleiter, für Menschen, die sich gegen das herrschende Gesetz wandten und flüchtigen Sklaven Unterschlupf gaben. Im Prinzip handelte es sich um ein Etappensystem, das von integren und tapferen Menschen aufgebaut und am Laufen gehalten wurde.
Eine der berühmtesten Heldinnen der Railway war Harriet Tubman, eine ehemalige Sklavin. Sie verbrachte ihre Kindheit und Jugend unter wechselnden Herren und teilweise unzumutbaren Verhältnissen. Ihre Erzählungen über ihre Sklavenzeit zeichnen ein schlimmes Bild der damals als gesellschaftlich durchaus anerkannten Grausamkeiten und Verbrechen, die an den hilflosen Menschen begangen wurden. Als junge Frau erlitt Harriet eine erhebliche Kopfverletzung, die sie zeitlebens beeinträchtigte. Der schwer verletzten Frau gab man trotz des Blutverlustes und ihrer Bewusstlosigkeit nur zwei Tage, bevor man sie wieder zur Arbeit trieb. Sie arbeitete unter anderem in den Sümpfen, in denen sie Fallen aufstellte und leerte.
Im Jahre 1849 gelang ihr nach wechselvollen Schicksalsschlägen die Flucht in den Norden. Das bedeutete etwa 145 Kilometer Strecke, immer in Gefahr, von den Sklavenjägern wieder eingefangen zu werden. Doch die Railway war gut organisiert, Angehörige der Quäker und viele andere – Weiße wie Schwarze – verbargen, schleusten und versorgten die flüchtigen Menschen. Einfallsreichtum und schnelle Reaktion waren oft lebensrettend, da die "Slavecatcher" die Höfe und Häuser der Verdächtigen regelmäßig besuchten und auch beobachteten. Harriet Tubman ließ es mit ihrer eigenen gelungenen Flucht nicht bewenden – im Laufe der nächsten elf Jahre bewältigte sie die ungeheure Strecke, die zum Teil auch durch Wildnis und Sümpfe führte, noch dreizehn Mal. Insgesamt etwa siebzig Menschen führte sie so in die Freiheit, darunter viele eigene Verwandte. Ihr Ruf verbreitete sich ziemlich schnell, und bald wurde sie auch "Moses" genannt. Eine Ehrenbezeigung für jemanden, der Menschen in die Freiheit führt.
Unter ihrem Namen "Minty", den sie als junge Frau getragen hatte, waren viele Steckbriefe auf sie ausgestellt, aber sie hatte sich einige Tricks ausgedacht, um sich unerkannt bewegen zu können. Meist war sie in den Ortschaften des Südens mit zwei unter den Armen getragenen Hühnern unterwegs. So erweckte sie den Eindruck einer Sklavin, die etwas für die Herrschaft besorgte. Die Füße des Federviehs hatte sie mit einem Faden verbunden, an dem sie ziehen konnte, wenn akute Gefahr bestand, dass jemand zu nahe kam. Dadurch schlugen die Hennen wild mit den Flügeln und sorgten so für die nötige Ablenkung. Gefasst wurde sie nie, doch mehr als einmal war sie in ernster Gefahr, gestellt zu werden.
Man könnte sich die Frau, die von ihren Leuten "Moses" genannt wurde, vielleicht als herausragend kräftige Person vorstellen, eine auffällige und vielleicht besonders wirkende Frau. Doch sie war klein und unauffällig, eine schmale Schwarze mit sehr ausgeprägten afrikanischen Zügen. Schlichte lange Röcke, Blusen und das Kopftuch waren die Uniform der Sklavinnen und der einfachen Frauen, und so trug auch Harriet sie. Wie so viele ganz besondere Menschen umgab sie nicht der äußere Nimbus des Besonderen, ihr Heldentum war alles andere als glamourös. Ihr Wirken für ihre Überzeugung beschränkte sich durchaus nicht auf die Railway, sie war auch Krankenschwester und arbeitete als Kundschafterin für die Nordstaaten, führte zum Beispiel auch Schiffe durch vermintes Gebiet. Sie kannte die Sümpfe und Flüsse gut wie kaum ein Zweiter, und ihr Wissen war äußerst wertvoll, wie sie bei einigen Gelegenheiten bewies.
Nach dem Krieg brachte Harriet ihre Familie und sich mit Gelegenheitsarbeiten durch, denn es dauerte lange, bis ihre Verdienste offiziell gewürdigt wurden. Sie hatte sich auch der Frauenrechtsbewegung zugewandt, wie auch verstärkt ihrem tiefen Glauben, und blieb in politischem Sinne lange tätig. Sie starb am 10. März 1913 in Auborn, New York. Das genaue Datum ihrer Geburt ist nicht bekannt, aber sie war mit Sicherheit über neunzig Jahre alt.
Heute gehört Harriet Tubman zu den berühmtesten Persönlichkeiten Amerikas, über deren Leben auch ein Film gedreht wurde. Ob nun Minty, Harriet oder Moses – die kleine Frau mit der unerschütterlichen Stärke zeigt, das Heldentum nicht im "Sein" liegt, sondern im "Tun".
© Textbeitrag "Internationaler Tag zur Erinnerung an den Sklavenhandel": Winfried Brumma (Pressenet), 2010. Bildnachweis: Sklavenboot, CC0 (Public Domain Lizenz).
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