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(Juni 2010) Ein riesiges Abzockpaket, getarnt als harmloses Sparschwein, wurde in die Haushalte der Bundesbürger geschmuggelt. Das so genannte Sparpaket der Regierung ist nichts weiter als eine unverfrorene Beschneidungsmaschine für die Ärmeren des Landes.
Zwar sind noch nicht alle brisanten Inhalte tatsächlich schon amtlich – es stehen bis jetzt nur die Kürzungen fest, die diejenigen betreffen, bei denen es eigentlich nichts mehr zu kürzen gibt. Für die Vermögenderen gilt: Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird.
Das heißt im Klartext, dass man sich durchaus noch um die eine oder andere Sparmaßnahme herummogeln kann, schließlich haben Hoteliers auch ihre Sorgen. Das bezieht sich auf die gesenkte Mehrwertsteuer für Hotelübernachtungen, die man durchaus hätte wieder anheben können – das hätte das Säckel ein wenig anschwellen lassen. Wahrscheinlich scheitert so etwas schon im Vorfeld bei Leuten, die öfter in einem Hotelbett schlafen müssen, als da wären Geschäftsleute, Politiker und andere, die solche Übernachtungen durchaus abschreiben können. Außerdem haben Hoteliers wohl eine Lobby – arbeitslose Menschen allerdings nicht.
Darauf aber kommt es letztendlich an – denn wenn noch weniger für die Familien ausgegeben werden kann wie bisher, haben die Hartz-IV-Empfänger und die Langzeitarbeitslosen so gut wie keine Stimme. Diese Leute nämlich bringen keinem Hotelbetrieb, keiner Fluglinie, keinem Banker oder Broker etwas ein und sind aus diesem Grunde für die Regierung unsichtbar. Die Stimme dieser Menschen verhallt im oftmals katastrophalen Alltag, der irgendwie bewältigt werden muss, trotz einem wirklich spürbaren Mangel am Nötigen – noch nicht am Allernötigsten. Wobei es allerdings darauf ankommt, was jeder Einzelne als das Nötigste erachtet.
Die Kanzlerin hat nie vergessen, wie es ist, nicht zu wissen, was man für die Familie auf den Tisch bringen soll oder in allen möglichen Behältnissen nach Kleingeld zu suchen, damit man vielleicht doch noch das Geld für das Mittagessen in der Schule zusammenkriegt für diese Woche. Sie hat es nämlich niemals erlebt und denkt in völlig anderen Dimensionen. Schließlich hat sie ein Land zu führen.
Nun, andere haben ein Leben zu führen und für ihre Kinder zu sorgen. Die Tatsache, dass es an Geld mangelt, darf nicht der Grund für soziale Ausgrenzung sein, für verminderte Chancen auf dem Arbeitsmarkt ... und vor allem darf es nicht zu einer Stigmatisierung führen.
Die geplante Streichung des Elterngeldes zum Beispiel ist eine zweischneidige Sache. Denn es gibt sie natürlich: Jene asozialen und faulen Bürger, die sich einen Teufel um alles scheren und sich eine große Kinderschar zulegen – dieses Zuschusses wegen. Aber tatsächlich ist das durchaus nicht die Regel, und wer zwar arm ist, aber trotzdem die Verantwortung in jeder Hinsicht für die nächste Generation übernehmen will, kann das kaum mehr verwirklichen.
Zwar ist Geld nicht alles, aber niemand ist beim urbanen Leben noch wirklich in der Lage, seine Kinder durchweg mit alten Werten aufwachsen zu lassen. Dies wäre höchstens im Schoße einer Sekte auf irgendeinem Berggipfel möglich, wo es keine Mobiltelefone, kein Internet und vor allem keine Fernseher gibt.
Die soziale Ausgrenzung, die Kindern und natürlich auch ganzen Familien droht, weil sie praktisch nie bei irgendetwas mitziehen können, führt zu immensen Komplikationen, was das soziale Leben betrifft. Wer sich immer und überall ausgeschlossen fühlt, wird versuchen, zu kompensieren. Kinder, die nie bei Klassenfahrten dabei sein werden, weil die Eltern die Kosten nicht aufbringen können, werden sich nun einmal ausgegrenzt fühlen.
Das ist bei den Erwachsenen nicht anders, denn wenn die Freunde bei allen Aktivitäten, die nicht kostenlos sind, passen müssen, werden sie irgendwann nicht mehr dazugehören. Die Kanzlerin und ihre genialen Berater haben wohl kaum Zeit für einen Kinobesuch, aber wenn sie wollten, könnten sie sich das durchaus leisten. Viele Familien in diesem Land trauen sich nicht mehr, ihren Kindern so etwas fest zu versprechen, weil es nie ganz sicher ist, ob es dafür wirklich noch reicht.
Eine Kleinigkeit wie kaputte oder zu klein gewordene Turnschuhe kann das schon aushebeln. Das ist die eine Seite der Medaille, die andere ist die bunte Welt der Werbung und der auf Verkäufe angewiesene Industrie, die dahinter steht. Wer will verhindern, dass ALLE Kinder – nicht nur die der Besserverdiener – Wünsche entwickeln, bei dieser Flut von "muss ich haben"-Dingen? Nun ja, vielleicht wären ja verschlüsselte Fernsehkanäle die Lösung. Der Kanal Hartz-IV sendet nur in Schwarz-Weiß, damit keiner Lust auf die bunte Welt der anderen bekommt – es gibt vor allem Sendungen, in denen gezeigt wird, wie man im Haushalt spart. Schuhe günstig selbst besohlen wäre vielleicht ein Renner. Oder eine Anleitung für die alten Spiele wie "Stadt-Land-Fluss" oder "Schiffe versenken", die man mit Papier und Stift spielen kann.
Damit die Kinder am nächsten Tag in der Schule nichts mitkriegen von den Mitschülern, die von ihrer Playstation erzählen oder was sie zum Geburtstag bekommen haben, sind andere Maßnahmen erforderlich. Am besten wäre es, die Hartz-IV-Kinder sähen die anderen erst gar nicht. Wenn man nur Kinder in den gleichen Billigklamotten sieht, wie man sie selber trägt, kommt Neid erst gar nicht auf. Also sind die Schulen gefordert. Zwei verschiedene Eingänge für Kinder arbeitsloser Eltern und die Sprösslinge der Verdiener kosten erst einmal – auf lange Sicht kann sich das aber rechnen. Natürlich verbietet sich ein gemeinsamer Schulhof erst recht – das könnte ja zu Spannungen führen.
Man würde natürlich eine Ausgangssperre einführen müssen, damit die Unterschicht nicht mit den hell erleuchteten Schaufenstern der Kaufmeilen konfrontiert würde. Die sollten vielleicht zum Sperrgebiet erklärt werden, Zugang nur mit spezieller Karte, die das Ordnungsamt ausstellt, nachdem eine Verdienstbescheinigung vorliegt. Freien Zugang haben die Arbeitslosen nur noch zu den großen Discountern, und die liegen ja meist an der Peripherie der Städte. Man könnte Sonderbusse einsetzen, das würde auch Konfrontationen verhindern.
Nachdem die Regierung durch ihre sicherlich wohldurchdachten Sparmaßnahmen die Zweiklassen-Gesellschaft ernsthaft vorbereitet, sollte man schon im Vorfeld planen. In Afrika hat man, was die Abqualifizierung ganzer Bevölkerungsgruppen betrifft, mit den Townships beste Erfahrungen gemacht. Dort herrschen so ziemlich die gewünschten Zustände, denn alle sind gleich arm und haben die gleichen Probleme beim täglichen Überleben. Außerdem bieten sie ein riesiges Reservoir für billige Arbeitskräfte.
Ein weiterer Vorschlag wäre, die allgemeine Schulpflicht nach und nach abzubauen. Je nach Einkommen der Eltern und dem Wohnort könnte die Länge variieren. Für die Kinder der unteren Klassen würden fünf Jahre durchaus reichen, Grundrechenarten und etwas Deutsch wären ausreichend und den Chancen auf dem Arbeitsmarkt angeglichen. Ehrenamtliche Lehrer könnten diese Aufgaben übernehmen, die ausgebildeten Pädagogen könnten ihre Fähigkeiten da einsetzen, wo es Sinn macht.
Diese Vorschläge klingen momentan sicher noch etwas überzogen, aber über kurz oder lang wird sich die trojanische, schwarzgelb-gestreifte Sau zu erkennen geben. Und dann wird es zu spät sein, um noch etwas zu ändern. Dann wird die demokratische Gesellschaft einen gewaltigen Rückschritt erleben, und die sozialen Reformen, für die so viele lange und hart gekämpft haben, werden null und nichtig werden.
Um gegen das Zweiklassensystem aufzustehen, ist es fast schon ein wenig zu spät, aber wer verhindern will, dass die Kinder mittels Räuberleiter über die neu hochgezogenen Mauern um das Wohnviertel schauen, um einen Blick auf die schöne Welt der "Anderen" zu erhaschen, der sollte jetzt endlich aufstehen.
© "Das trojanische Schwein. Das Sparpaket der Bundesregierung": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2010.
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