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Ein Video, das im Web zu sehen ist, zeigt einen Stierkämpfer, der von einem Stier attackiert wird. Das wütende Tier versucht den Matador auf die Hörner zu nehmen, nachdem es ihn zu Boden geworfen hat.
Helfer eilen herbei und lenken den Bullen von seinem Opfer ab, das in Sicherheit gebracht wird. Unter den Helfern ist der Vater des Stierkämpfers, welcher erst 12 Jahre alt ist. Unverletzt geblieben, bis auf einige Schrammen und Quetschungen wahrscheinlich, lässt sich der kleine Matador nicht davon abhalten, sich ein weiteres Mal dem Stier zu stellen.
Jetzt dauert der "Kampf" nur wenige Sekunden, und der kleine Stierkämpfer landet wieder auf dem Boden, wo er den gefährlichen Waffen des Tieres ausweichen muss. Die erneute Rettungsaktion bringt auch den Vater des Kindes vor die Hörner des Toro. Nun endlich wird der Gang abgebrochen, und Vater und Sohn kommen erst einmal in ein Krankenhaus. Wirklich passiert ist niemandem etwas, außer vielleicht dem Stier und dem Stolz eines Kindes.
So geschehen in Kolumbien, wo der Auftritt des jungen Matadoren aus Mexiko ein Programmhöhepunkt war. Das Video ist aufwühlend und erschreckend – vor allem dann, wenn man realisiert, was man eigentlich gesehen hat. Nämlich ein Kind – und das ist der Junge mit seinen 12 Jahren immer noch – das durch seinen augenscheinlich grenzenlosen Machismo zu etwas getrieben wird, dass es das Leben oder seine körperliche Unversehrtheit kosten kann.
Inwieweit der kleine Stierkämpfer den Ehrgeiz seines Vaters mitverwirklichen muss, ist nicht ersichtlich – es scheint, als täte er freiwillig und begeistert, was er tut. Der Schein kann da allerdings trügen. Was über Eltern zu sagen wäre, die ihr Kind einer solchen Gefahr aussetzen, kann hier übersprungen werden.
Über den Stierkampf ist schon viel geschrieben und gesagt worden, es gibt sehr viele Gegner und wohl auch ebenso viele – wenn nicht sogar mehr – Befürworter. Die Argumente, die die erbarmungslosen Traditionalisten ins Feld führen, sind etwas seltsam. So hört man immer wieder, dass diese herrlichen Tiere ohne den Stierkampf verschwänden, denn nur dafür würden sie gezüchtet. Tatsache ist zwar, dass die Toros wunderschöne Geschöpfe sind, und das Urbild von Kraft und auch Eleganz – aber wenn ihre einzige Bestimmung der Tod in der Arena ist, kann diese Argumentation nur zynisch genannt werden.
Die Anhänger des Spektakels führen auch gerne an, dass bis zu ihrem kurzen Sterben die Tiere auf freien Weiden ein artgerechtes Leben führen könnten, was dem meisten Nutzvieh verwehrt sei. Das hört sich fast verführerisch logisch an, aber ist es keineswegs. Das Sterben und die Leiden des Stieres sind keineswegs kurz – sein Tod wird zelebriert und hinausgezögert. Keiner, der sich ein Ticket für die Arena gekauft hat, will einen kurzen Kampf sehen.
Jedem höheren Lebewesen – wobei diese Klassifizierung auch zu hinterfragen wäre – ist die Fähigkeit zu Angst und Schmerzempfinden zu eigen. Was ein in die Enge getriebenes, immer wieder provoziertes und permanent verletztes Tier durchmachen muss, welche Angst es durchlebt und doch ohne Erbarmen zum Sterben verurteilt ist, das kann man wahrscheinlich kaum nachempfinden. Es ist nicht anzunehmen, dass das Opfer sein Sterben als kurz und seinen Tod als schmerzlos empfindet. Wer die johlenden und kreischenden Zuschauer bei einem Stierkampf sieht, kann das Gerede von Respekt und Ehrerbietung dem Stier gegenüber nur als vorgeschobenen Unsinn betrachten. Um einen als tapfer empfundenen Stier (also einer, der einen längeren Todeskampf durchstehen musste) zu "würdigen", wird sein Kadaver von Pferden rund um die Arena geschleift. Der Betroffene kann diese fragwürdige Ehrung allerdings nicht mehr genießen.
Die in Szene gesetzte und nach traditionellen Regeln inszenierte Tötung ist eigentlich ein Opfer. Ein Tieropfer, das zu einem Spektakel mutiert, kennt man seit der Antike. Der Stierkult der Kreter war ein wichtiger Bestandteil des Lebens, und die Stiertänze beliebte Veranstaltungen. Gut ausgebildete Tänzer oder eher Akrobaten, nicht selten aus den besten Familien der Insel, führten mit den Tieren Übungen vor. Es kam auf Schnelligkeit und Kraft dabei an, denn es galt, vor allem den Hörnern auszuweichen.
Stiertänzer, die sich einen Namen gemacht hatten, wurden bewundert wie später erfolgreiche Gladiatoren in Rom und hatten ihre Fangemeinden. Hohe Wetten wurden abgeschlossen und reiche Gönner wandten große Summen auf, um ihre Lieblinge zu unterstützen. Aber trotz des volksfestartigen Charakters der Tänze hatten diese einen ernsten und vor allem religiösen Hintergrund. Stiere waren heilige Symbole für Gottheiten in vielen Kulturen, sowie zum Beispiel in Ägypten der Apis-Stier, der im Tempel gehalten und zu bestimmen Zeiten geopfert wurde.
Obwohl es sich bei einem Bullen um ein augenscheinlich vordergründig männliches Symbol handelt, hat der Stierkult mehr als auf den ersten Blick sichtbar mit der Erde zu tun, ist also ein Aspekt der weiblichen Großen Mutter, wie sie in archaischen Zeiten verehrt wurde. Den Stier töten heißt mehr als ein unglückseliges Tier schlachten, die Bedeutung dahinter ist verschwommen und durch die Jahrhunderte von den meisten vergessen – doch es verwundert vielleicht nicht, dass gerade bei Völkern, deren sprichwörtlich heilige Kuh die machohafte Männlichkeit ist, der Stierkampf fortlebte bis heute.
Es gibt auch unblutige Varianten, so wie die Stierrennen in Südfrankreich, bei denen kein Tier zu Schaden kommt und äußerst selten ein Mensch. Der Hintergrund ist allerdings der gleiche, es handelt sich um ein durch die Zeit umgewandeltes Ritual, dessen einstige Bedeutung keine Rolle mehr spielt.
Wenn es in Europa und einigen anderen Ländern der Erde möglich ist, dass eine solche rituelle Schlachtung und Verhöhnung eines Geschöpfes zur Volksbelustigung dient, sollte die Frage im Vordergrund stehen, wie weit wir uns eigentlich von den Blut- und Opfer-Kulturen entfernt haben, wenn überhaupt. Der Gegensatz, der sich zeigt, wenn moderne und "zivilisierte" Menschen, die vielleicht gerade ihren Laptop geschlossen haben, weil sie noch rasch die Börsenkurse prüften, kurz darauf einem solchen Todestanz zujubeln, sollte betroffen machen (die katholische Kirche stand dem Stierkampf übrigens meist positiv gegenüber und sparte durchaus nicht mit Segnungen).
Es wäre jedenfalls an der Zeit, die archaischen Instinkte endgültig hinter sich zu lassen – jedenfalls solche, die immer noch das blutende Opfer auf dem Altar sehen wollen. Bei der Corrida, die Gegenstand des besagten Videos war, wäre es fast ein Kind gewesen, das geopfert wurde – und das in einem christlichen und modernen Land.
© "Stierkampf – Stierrennen – Stierkult": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2010. Bildnachweis: Stierkampf, CC0 (Public Domain Lizenz).
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