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Frankreich sucht Wege im Kampf gegen Sexualverbrechen und will auf die chemische Fessel setzen. Medikamente, die dafür in Frage kommen, bewirken – angeblich – ein Nachlassen der Potenz sowie des sexuellen Verlangens.
Die Einnahme soll freiwillig sein – allerdings können Straftäter, die die Einnahme des Mittels verweigern, nicht auf Erlassung des letzten Drittels ihrer Strafe hoffen. Wer die Medikation in Freiheit abbricht, kommt wieder in den Vollzug. Genannte mögliche Nebenwirkungen sind unter anderem Brustwachstum und Depressionen. Ein bestechender Gedanke? Die Lösung einiger Probleme?
Darüber kann man geteilter Meinung sein – jedenfalls sollte man sich über die Konsequenzen Gedanken machen.
Sexuelle Gewalt ist und bleibt, ungeachtet dieser Variante, zunächst einmal Gewalt. Jemand tut einem anderen Menschen etwas Schlimmes an, will also Schmerzen verursachen. Wenn möglich physisch und psychisch, um alles abzudecken. Wenn jemand Prügel bezieht, kommt zu den körperlichen Schmerzen die Demütigung hinzu und verstärkt die Machtposition desjenigen, der schlägt. Bei einer Vergewaltigung steht diese Absicht der Demütigung völlig im Vordergrund, es hat nicht wirklich etwas mit Sex zu tun. Der erzwungene Akt ist physisch peinvoll, psychisch ist er eine Demontage des Selbst.
Die absolute Macht über einen anderen Menschen ist der eigentliche Antrieb des Täters. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Akt mit purer Gewalt oder durch Erpressung oder Einschüchterung erzwungen wird – der eigentliche Kick ist, dass er erzwungen wird. Überzogen dargestellt könnte man sagen, sobald ein Opfer dem Vergewaltiger glaubhaft vermittelt, dass es Sex will und genießen wird, der Täter Abstand von seinem Vorhaben nehmen würde. Das wäre zwar die Quintessenz, aber in der Praxis nimmt der Täter sein Opfer nur bedingt wahr und spult in erster Linie sein Programm ab. Zu ihm durchzudringen ist für das Opfer fast unmöglich.
Kinder sind noch ein gutes Stück hilfloser sexueller Gewalt gegenüber. Ihnen ist allein durch ihre absolute körperliche Unterlegenheit jede noch so geringe Möglichkeit zur Gegenwehr genommen. Zwar wenden nicht alle pädophilen Straftäter körperliche Gewalt an, um ihr Ziel zu erreichen, aber auch gegen raffinierte psychologisch geschickte Zwänge haben Kinder keine Chance. Ist der Peiniger jemand, der immer wieder ohne große Mühe Zugriff auf das selbe Kind hat, entwickelt sich auch ohne Schläge oder sonstige Maßnahmen ein absolutes Machtverhältnis, das über lange Zeit gehen und das betroffene Kind völlig zerstören kann.
Dem jeweiligen Täter sind die Konsequenzen seines Tuns völlig bewusst, gerade darum tut er es ja. Ob das Opfer nun erwachsen oder ein Kind ist, mit sexueller Befriedigung hat es nichts zu tun. Vor einigen Jahren interviewte man in den USA inhaftierte pädophile Straftäter, um etwas mehr über die Gründe für diese Verbrechen zu erfahren. Man befragte sie unter anderem, ob sie einer Kastration zustimmen würden, um ihre Freiheit wiederzuerlangen. Daraufhin meinte einer der Inhaftierten: "Wenn es mir unmöglich wäre, Sex mit den Kindern zu haben, dann würde ich sie auf andere Weise quälen. Es würde keinen Unterschied machen." Das gibt zu denken – zudem zeigen Erhebungen, dass ein hoher Prozentsatz sexueller Gewalttäter impotent ist.
Die Tatsache, dass eine große Anzahl der Täter selber Opfer waren, ist nicht weiter verwunderlich. Es ist einfach ein Übertritt auf die andere Seite, nach eigenen Erlebnissen in der Rolle des Gequälten. Das ist allerdings keine Entschuldigung, bestenfalls eine Erklärung. Meist nämlich werden die ehemaligen Opfer keine Täter.
Kastration also, ob körperlich oder chemisch, dürfte kaum die Lösung des Problems sein. Die eine Art verlagert die Art und Weise, die andere Art dämpft oder hält das Symptom im Zaum, sozusagen. Da der Sex aber nicht der Auslöser ist, wird das Fehlen des sexuellen Verlangens nicht dieses andere Verlangen auslöschen – das nach absoluter Macht. Sollte dieses Machtgefühl auch nur temporär erlebbar sein in den meisten Fällen, so ist es doch ein gewaltiger Trieb, wie die erschütternd hohen Zahlen zeigen. Wo also könnte man ansetzen, denn Strafe wird hier nichts bringen.
Vom Täter-Opfer-Teufelskreis einmal abgesehen:
– Was muss geschehen sein, dass ein Mensch sein eigenes Unvermögen immer wieder zu negieren sucht durch Gewalt gegen andere?
– Wo genau sind die Schwellen, die passiert werden auf dem Weg zu einem unberechenbaren Peiniger?
– Und wieso gibt es keine Rückkehr auf diesem höllischen Weg, denn auch das kann an Zahlen abgelesen werden?
Es ist hoch an der Zeit, sich dieser Dinge vorrangig anzunehmen, aber Kastration und Chemie sind wohl nicht die ultimative Lösung. Nicht einmal eine saubere.
© "Hilft Chemie gegen Hass? Kastration keine Lösung gegen Sexualstraftäter": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2010.
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