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Der 22. April ist der Tag der Erde. Noch so ein Gedenktag, den wir nicht brauchen? Halt, hier sollte man einhaken, denn die Erde ist unsere Welt. Wir haben nur diese eine, vorläufig jedenfalls, und die sollte uns ein paar Gedanken wert sein.
Unsere Erde. Was empfinden wir eigentlich, wenn wir an sie denken? Natürlich haben wir keine Besitzurkunde, aber tatsächlich ist sie unser Lebensraum. Nüchtern betrachtet handelt es sich dabei um einen winzigen Planeten in einem der unzähligen Sonnensysteme.
Unsere Vorfahren, die davon allerdings keine Ahnung hatten, sahen die Erde anders. Sie personifizierten sie, da ihnen die umgebende Natur in ihrer Lebendigkeit und vor allem Fruchtbarkeit als etwas Großes erschien.
Da die Erde in gewissen Zyklen immer wieder Neues hervorbrachte, sah man sie als weiblich an. Man sah in der steten Erneuerung der Flora und Fauna wahrscheinlich einen Vorgang, der Zeugung, Schwangerschaft und Geburt bei den Menschen gleichkam. Das waren die Anfänge der "großen Mutter" der Vorgeschichte.
Viele kleine Figuren wurden bei Ausgrabungen gefunden, die dermaßen dramatisch weiblich ausgestattet sind, dass eine Zugehörigkeit zu Fruchtbarkeitskulten wahrscheinlich ist. Sie haben kein Gesicht, die kleinen Erdmütter, sie sind ganz einfach umwerfend mütterlich dargestellt. Mit riesigen Brüsten, umfangreichen Schenkeln und mehr als nur einem kleinen Bäuchlein stellen sie die Gebärerin und Ernährerin an sich dar.
Die Idee, die Erde als Gottheit und Person zu sehen, war lange Zeit die einzige Sicht dieser Dinge. Alle vorchristlichen Völker kannten eine große Göttin, eine Erdmutter und umfassende Gebärerin. So war auch die Gaia der Griechen die Erde selbst, auch wenn sie in den mythologischen Geschichten einige Schwierigkeiten mit ihren Nachkommen zu haben schien. Von Kreta über Ägypten bis Babylon gab es "Die Eine", die hochverehrt und geliebt wurde, ebenso wie auf dem europäischen Kontinent.
Die Indianer des amerikanischen Erdteils sahen die Dinge ähnlich. Es gab Volksgruppen, die mit Entsetzen auf die Bodenbearbeitung der Einwanderer reagierten, da sie das Pflügen als Verletzung der personifizierten Mutter Erde sahen. Und die keltischen Völker waren ihrer Fruchtbarkeitsgöttin Ambeth sehr stark verbunden, welche übrigens ein Aspekt der Trinität der "drei Bethen" war. Ambeth, Wilbeth und Borbeth sind die Namen der dreifachen Muttergottheit, die lange vor dem Christentum verehrt wurde.
Der heute zum Teil seltsam anmutende Marienkult des Mittelalters hat in dieser einstmaligen Weltordnung seine Wurzeln, denn die zu bekehrenden Heidenvölker hatten durchaus keine Probleme, sich mit einem neuen Gott zu befassen – aber ein rein männlicher Himmel war ihnen undenkbar. So wurde Maria, die Mutter des Erlösers, als weibliches Element von den Christen "zugelassen", wenn auch vielleicht zähneknirschend. Es erleichterte den Übergang wahrscheinlich beträchtlich. Wo der keltische Einfluss sehr stark spürbar war, wie zum Beispiel in Bayern, ist die Marienverehrung auch heute noch ausgeprägt.
Die Dinge änderten sich in zunehmendem Maße mit der Aufklärung und vor allem der Industrialisierung. Irgendwann war die gute alte Erde ein riesiger Gesteinshaufen im All, der so ziemlich alles auf Lager hatte, was die expandierende Menschheit brauchte oder wollte. Man dachte sich das als unerschöpfliches Warenhaus, das man rücksichtslos plündern kann. Hinweise darauf, dass etwas mehr Rücksicht angebracht wäre, wie zum Beispiel langsam versandende Gebiete und Wasserknappheit, wurden nicht wahrgenommen oder einfach kollektiv verdrängt.
Mittlerweile ist die Menschheit etwas schlauer geworden, wenn auch vielleicht spät. Jetzt, da einige schon mit einem Auge auf andere Welten schielen und die interstellare Raumfahrt ein vielleicht irgendwann möglicher Traum geworden ist, realisieren wir, dass unsere Erde dringend Hilfe braucht. Jedenfalls tut das ein Teil der Menschheit. So wurde in den USA im Jahre 1970 der "Earth Day" eingeführt. Dieser "Tag der Erde" soll dazu dienen, sich die Umweltverschmutzung mit all ihren Folgen sozusagen vor Augen zu halten und sich Gedanken über geeignete Maßnahmen zur Vermeidung zu machen.
Seit 1990 wird dieser Gedenktag auch international begangen. Nachdem der Klimagipfel 2009 scheiterte, hatte der Präsident Boliviens zu einem alternativen Gipfel eingeladen, bei dem gemeinsam nach Wegen aus der Krise gesucht werden sollte. Dieses Treffen fand im April 2010 in Bolivien statt, bei dem rund 30.000 Experten und Vertreter von Staaten und Ländern über die "Rechte von Mutter Erde" sprachen. Das klingt vielleicht ein wenig nach Rückschritt, wäre da nicht die Gaia-Hypothese, welche in den sechziger Jahren von Lynn Margulis und James Lovelock entwickelt wurde. Die Mikrobiologin und der Chemiker, Mediziner und Biophysiker gehen grob gesagt davon aus, dass die Erde über ein System verfügt, das dynamisch ist und "lernfähig". In der Konsequenz hieße das, die Erde kann als lebender Organismus betrachtet werden.
Hier, so könnte man sagen, schließt sich der Kreis. Lebendig heißt zwar nicht unbedingt "bewusst", aber das spielt auch eine untergeordnete Rolle. Die Technik erlaubt uns einen Blick auf die Erde, die wie ein herrlicher blauer Edelstein im Weltall leuchtet. Diese wunderschöne Welt hat es auf keinen Fall verdient, dass wir uns benehmen wie Krebszellen, einzig mit dem unausweichlichen Resultat der Zerstörung.
Das Wort Mutter beinhaltet so vieles. Es hat mit Ernährung und Sorge zu tun, mit Geborgenheit und Heim. So gesehen, kann man den blauen Planeten durchaus so betrachten – als Mutter. Und da diese uns alles gegeben hat durch die Jahrtausende, und immer alles bereithielt, was wir brauchten, wäre es nun hoch an der Zeit, dass wir uns um sie kümmern. Denn wenn die Erde stirbt, sterben auch wir.
© "Tag der Erde: ein Gedenktag, den die Welt nicht braucht?": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2010. Bildnachweis: Globus, CC0 (Public Domain Lizenz).
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