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Frohen Mutes tänzelt er auf einem schroffen Grat, den Blick in den Himmel gerichtet und in lässiger höfischer Manier eine Rose haltend – so zeigt sich der Narr, die Karte mit der Zahl 0 des Rider-Waite-Tarot. Die Karte kann am Anfang oder am Ende der großen Arkana stehen, in dem Fall trägt sie die Nummer XXII.
Mit viel Gepäck belastet er sich nicht – alles was er braucht, befindet sich in einer kleinen Tasche. Mit ihm ein kleiner weißer Hund, der ebenso wie der Narr am Abgrund Kapriolen schlägt. Jeder weitere Schritt kann den Absturz bedeuten, doch das kümmert den Narren ebenso wenig wie den Hund.
Er befindet sich in höheren Regionen, er atmet freie Luft und lässt sich von nichts belasten oder hemmen. Kindliches und gedankenloses Vertrauen in sein Glück lassen ihn da oben in den luftigen Gefilden wandeln, ohne auf den Weg zu achten – mit der Sonne im Rücken.
Ein richtiger Narr eben? Wie man es nimmt. Die Karte gehört ganz zum Element Luft, was auch durch die vorherrschende Farbe Gelb symbolisiert wird. Das bedeutet Veränderung, das Unerwartete, die Leichtigkeit, das Abenteuer. Der Narr auf dem Bild hat kein festes Ziel, er wandert mit großem Selbstvertrauen fürbass und harrt der Wunder, die ihm begegnen werden. Er vertraut auf sich und die Welt.
Der Hund steht für das Unbewusste, das Triebhafte, das hier possierlich den Possen seines Herrn folgt. Der kleine Hund ist weiß, das deutet auf Unschuld hin. Und unschuldig im Geiste ist der Narr. Er tut nichts Böses, er will nichts Böses – selbst wenn es ihm begegnet, erkennt er es nicht als solches. Und wenn, dann vertraut er auf seinen Stern, der ihn schützen wird. Der Narr repräsentiert auch das Kindliche in uns, das noch unschuldige Erkunden der Welt. Erst durch Erfahrung kommt Weisheit, oft wird sie teuer erkauft. Der Narr beginnt seinen Weg erst, und noch genießt er den Schutz der Unschuld.
Voller Selbstvertrauen findet er und sucht nicht, denn er weiß nicht, was er suchen sollte. Ihm fehlt nichts, er ist glücklich. Seine manierierte und übertriebene Haltung zeugt von Selbstironie oder der Fähigkeit, über sich ebenso rasch zu lachen wie über andere. Ein Betrachter mag das Bild hinreißend finden und lächelt bei der Betrachtung – ein anderer sieht nichts als einen eitlen Laffen, der von maßloser Selbstüberschätzung und Dummheit nur so strotzt.
Wie man den Narren sieht, hängt vom eigenen Standpunkt ab. Wer fähig ist, seinem inneren Kind Raum zu geben und zu spielen, fühlt sich auf Anhieb wohl bei der Karte. Oder auch jemand, der eine unausgesprochene Sehnsucht nach Loslassen und Leichtigkeit in sich trägt, weil er zu viele Pflichten und Verantwortung übernehmen musste.
Menschen, die den spielerischen Aspekt des Lebens leugnen und für sich ablehnen, die sich immer mehr und mehr aufladen und sich keine Minute der Entspannung gönnen, weil sie sich selber umtreiben – diese Menschen mögen ihn auf Anhieb nicht. Er macht ihnen Angst, könnte man sagen. Denn er spricht das an, was in jedem von uns vorhanden ist: Das innere Kind und den "reinen Toren". Und vielleicht ist er klüger, als man denkt.
Das alles und viel mehr repräsentiert der Narr, der da in seinen Höhen in der reinen und unbelastenden Luft wie ein Tänzer seinen Weg findet, ohne ihn zu suchen oder auch nur zu bemerken.
Erscheint der Narr bei einer Sitzung, dann rät er für gewöhnlich dazu, die Dinge mit mehr Leichtigkeit anzugehen. Der schwere Kummer oder die Angst, die jetzt gerade die Seele verdunkelt, mag nichtig erscheinen im Angesicht dessen, was morgen kommt. Oder sie löst sich auf in der reinen Luft des jungen Tages.
Der Narr warnt vor der Schwere, vor dem Festklammern am Schmerz und dem Vertiefen der Probleme. Er ist auch ein Symbol für das positive Denken. Er, der keine Hindernisse wahrnimmt, warnt davor, sich selber welche zu bauen. Er möchte vielleicht, dass man den Ballast abwirft und ihm folgt auf seinem Spaziergang. Vielen von uns täte das wahrscheinlich sehr gut.
Aber jede Karte des Tarot zeigt auch die dunkle Seite der Dinge – ebenso kann der Narr vor allzu viel Blauäugigkeit warnen. Die Karte könnte in manchem Fall dazu aufrufen, sich genauer umzusehen und die Gedanken von den Luftschlössern weg und zu den greifbareren Dingen hinzuwenden. Tatsächlich könnte sie sagen: "Mach Dich nicht zum Narren!" Wie die Botschaft lautet, hängt natürlich von den weiteren Karten, die erscheinen, ab und auch von der Problematik des Fragenden.
Es gibt immer sehr viel mehr zu erfahren, als auf den ersten Blick erkannt wird. Der Tarot gibt niemals knappe Antworten ohne Kontext.
Wenn sich der Sinn oder die Botschaft nicht erschließen will, dann liegt das am Fragenden. Nervosität oder Verkrampftheit, Kopfschmerzen oder sonstiges Unwohlsein sind nicht gerade die besten Voraussetzungen bei der divinatorischen Arbeit. In entspannter Aufmerksamkeit sind wir am empfänglichsten für die Botschaften des Tarot.
Es kann sehr hilfreich sein, die ausgelegten Karten, mit denen man so gar nichts anfangen kann, zu notieren und sie später oder am nächsten Tag wieder so zu legen, wie sie waren. Manchmal dauert es seine Zeit, bis sich der Sinn erschließt. Dann ist es wie beim Narren – man findet, ohne zu suchen.
* * * Tarot-Karte 0: Ende der Leseprobe aus "Tarot – Die Karte Null: Der Narr" (Tarot-Serie zu unserem Buch) * * *
Der Narr – Erfahren Sie mehr über das Rider-Waite-Tarot:
Hier als Buchausgabe erhältlich
Hier als E-Book (PDF-Format) erhältlich
© "Tarot – Die Karte Null: Der Narr": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), Eleonore Radtberger, 2010.
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