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Fünf der Kelche
Das Bild auf der Karte des Rider-Waite-Tarot hat eine große symbolische Aussagekraft – die Bedeutung der Fünf der Kelche ist sehr offensichtlich. Wir sehen einen Menschen, der düster gekleidet ist und auf drei liegende Kelche starrt, die vor seinen Füßen auf dem Boden liegen. Was immer darinnen war, ist ausgeflossen und verloren, unwiderruflich dahin.
Im Hintergrund ist eine Burg oder Stadt erkennbar, vor der ein Bach fließt. Über diesen Wasserlauf spannt sich eine Brücke. Hinter der trauernden Figur stehen zwei weitere Kelche – nicht gefüllt, aber aufnahmebereit. Hier hat ein Mensch etwas verloren, sei es durch Tod oder durch Trennung, und ihm erscheint alles so grau wie der Himmel auf der Karte.
Da es sich um eine Karte der Kelche handelt, liegt das Hauptgewicht auf den Gefühlen, also geht es vorwiegend nicht um materiellen Verlust. Der in Depression und stiller Verzweiflung befangene Mensch müsste sich eigentlich nur umdrehen, um die Brücke und die Kelche zu bemerken – beides verheißt einen Neubeginn. Die Brücke, die Abgründe oder Gewässer überspannt, macht eine Fortsetzung des Weges möglich, und die Kelche können neu gefüllt werden. Noch kann das die Person nicht wahrnehmen, noch ist ihr Sinn einzig und allein auf den Verlust gerichtet.
Es kann auch Reue oder Bedauern im Spiel sein, aber wie immer es auch ist: Es ist nicht das Ende. Neue Liebe, Verzeihen, Wege aus der Depression, Ende der Trauer ... alles ist möglich, sobald man bereit dafür ist. Wenn der notwendige Prozess abgeschlossen ist, wird man die Brücke beschreiten, die auf einen neuen Weg führt. Das ist leichter gesagt als getan, denn dazu bedarf es meist einer gewaltigen Anstrengung. Man müsste – wie der Trauernde auf dem Bild – dazu eine Drehung von 180 Grad machen, und obwohl das leicht scheint, ist es für einen, der im Schmerz gefangen ist, erst einmal kaum möglich.
Trauer, Traurigkeit und Leiden sind keine eigentlichen Übel, sie gehören zum Leben und sind notwendig für die Gesundheit der Seele. Wer keine Traurigkeit kennt, wird sich nicht entwickeln können, wer niemals Leiden erfährt, erlebt das Leben nicht in seiner ganzen Fülle und wird spirituell nicht wachsen können. Das ist jedem bekannt, ob die Tatsache nun bewusst ist oder nicht. Und doch glauben wir in diesem Falle, dass die dunkle Zeit nie enden wird und verfluchen wahrscheinlich unser Schicksal.
Sicherlich hat jeder schon einmal einem Freund oder Verwandten einen guten Rat gegeben, in dem Sinne, dass "das Leben weitergeht" und "neue Chancen" genutzt werden sollen. Der eine oder andere gab sicher schon den Rat: "Lass dich nicht hängen, das wird schon wieder." Trifft es einen aber selber, versinkt man erst einmal genauso in einem Meer der Düsternis und nimmt außer dem eigenen Schmerz nichts mehr wahr. Das ist menschlich und verständlich, doch muss dieses Verharren nach einer angemessenen Zeit geändert werden, sonst könnte man sich darin verstricken – und das kann fatale Folgen haben.
Die Gestalt, die vor den Kelchen steht, könnte auch in Selbstmitleid "baden" – einer falschen Trauer also. In diesem Falle wüsste sie sehr genau um Brücke und Kelche hinter sich und würde den momentanen Zustand sogar genießen. Auch das ist verständlich, nur gilt es hier den Anschluss nicht zu verlieren, damit man nicht für alle Zeit in dieser Pose erstarrt. Schließlich kennen wir alle solche Zeitgenossen, denen man eigentlich lieber aus dem Weg geht, weil jedes Gespräch mit einem Monolog in Sachen "Mir geht es immer nur schlecht, ich habe nie Glück" ausartet.
Diese Menschen wollen sich nicht "umdrehen". Sie leugnen alles Positive, das ihnen widerfahren könnte, weil sie gelernt haben, sich selber nur über negative Gedanken zu definieren. So weit darf es nicht kommen, denn was man unablässig beschwört, wird auch genau so sein. Wer Schlimmes durchgemacht hat, muss – sobald es ihm möglich ist – damit abschließen. Das bedeutet nicht, dass er vergessen soll – denn das würde bedeuten, dass er auf Erfahrung verzichtet – doch die Vergangenheit muss als nicht veränderbare Tatsache akzeptiert und nicht mit aller Kraft in der Gegenwart gehalten werden. Das ist auf Dauer extrem schädlich.
Also weist die Karte darauf hin, dass mit etwas abgeschlossen und es eine Veränderung geben muss. Und das Schöne daran ist, dass es wirklich immer einen Weg gibt.
Fünf der Münzen
Eine geradezu beängstigende Szene ist hier abgebildet. Es scheint Winter zu sein, knöchelhoher Schnee liegt auf der Straße, es ist düster – außer einem sehr schönen Kirchenfenster, das hell erleuchtet ist. Fünf Münzen sind darin eingefasst.
Durch den Schnee kämpfen sich zwei erbärmliche Gestalten, die keinen Blick für das Licht haben, das über ihren Köpfen leuchtet. Es sind zwei Bettler, unterwegs auf den dunklen Straßen – ein Mann mit zwei Krücken, und eine Frau, die einen fadenscheinigen Umhang um sich geschlagen hat. Bedeutet die Karte nun Armut und Krankheit im wirklichen und materiellen Sinn? Da es sich um die Fünf der Münzen handelt, ist genau das eines der Themen, die hier wichtig sind.
Natürlich soll das nicht heißen, dass der Fragende völlig verarmt und als Bettler sein Brot verdienen muss. Eigentlich geht es eher um die Angst vor dem Armsein, der Kälte oder einem schweren Leben. Und es geht um Vertrauen. Warum die beiden Armen auf der Karte nicht dem Licht, sondern lieber ihrem harten Weg folgen, ist nicht ersichtlich, denn das hell erleuchtete Fenster ist ja eigentlich nichts weiter als eine Einladung.
Es ist wie bei der Fünf der Kelche – man sieht nicht, dass es einen Weg gibt. Aber nicht, weil man Zeit braucht, um ihn zu erkennen, sondern weil man Scheuklappen trägt. Die beiden nehmen sich selber nur als Bettler in der kalten Düsternis wahr – und genau deshalb sind sie es auch. Sie halten an ihrer Sicht der Dinge einfach zu sehr fest.
Hier wäre ein Abweichen vom festgelegten Weg sehr wünschenswert – denn alles, was man sich wünscht, ist in unmittelbarer Nähe. Die Karte kann zwar durchaus auf einen gewissen Einbruch hinweisen, aber auf einen vermeidbaren oder sehr kurzzeitigen. Meist deutet man sie trotz ihrer Zugehörigkeit zur Erde, also zum Materiellen, eher als spirituelle Armut. Hier geht es – wie bei der vorangehenden Vier der Münzen, die einen krampfhaft festhaltenden Menschen zeigt, der dadurch nie mehr bekommen kann, als er gerade hat – um das Blockieren des Zuflusses und der Entwicklung. Es wurde ganz einfach ein verkehrter Weg eingeschlagen.
Wer sich selber mit immer wiederkehrenden Sprüchen wie: "Ich bin ein Versager, ich komme immer zu kurz, bald werde ich auf der Straße sitzen, alle anderen haben mehr Glück" selber kleinhält, wird nicht wachsen können und nur noch die Dinge sehen, die zu dem ewigen Lamentieren passen. So kann man sich natürlich ein Weltbild zusammenbasteln, das mit jeder Minute die "ärmlichen" Vorstellungen bestätigt und somit zur Realität werden lässt.
Und obwohl es widersprüchlich scheint, wird die Sicherheit des Misslingens und der Armut oft vorgezogen. Somit ziehen die beiden auf der Karte ihr schweres Los, das sie kennen, einem anderen und leichteren Leben vor, einfach weil sie Angst vor einem Wechsel haben. Sie wollen die ihnen bekannte Straße nicht verlassen, weil sie befürchten, dass andere Wege noch schlechter sein könnten.
Wer sein Leben auf diese Weise lebt, verschwendet alle Kraft und letztlich auch sich selber an düstere Vorstellungen, die wahrscheinlich niemals Realität werden. Denn was immer wir uns auch an schlimmen Dingen vorstellen mögen, die uns widerfahren könnten: Es ist schlichtweg unmöglich, dass alles wirklich eintrifft und womöglich noch zur gleichen Zeit. Es wäre sinnvoll, die Wahrnehmung auf andere Dinge zu richten.
Wer zum Beispiel glaubt, dass alle Jugendlichen frech, kriminell oder gewaltbereit sind, dem werden auch keine anderen begegnen. Und wenn doch, nimmt er sie nicht wahr. Der Satz, der besagt, dass wir die Welt, in der wir leben, jeden Tag neu erschaffen, beinhaltet viel Wahres. Warum also nicht an ein Leben glauben, das genug für uns bereithält? Wir werden letztlich alles haben, was wir brauchen.
* * * Tarotkarten V Kelche und Münzen: Ende der Leseprobe aus unserem Buch * * *
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© "Die Karte Fünf: Kelche und Münzen": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), Eleonore Radtberger, 2010.
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