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Der König der Kelche
Der Alte des Meeres sitzt auf einem steinernen Thron – in lässiger aber aufmerksamer Pose hält er sein Königsszepter und einen Kelch. Mit seiner Rechten umfasst er das Gefäß – das bedeutet, er will Herr seiner Gefühle sein, die überaus stark sind, und das gelingt ihm zumeist auch.
Ohne erkennbare Basis schwimmt der steinerne Sitz in den Wellen, sie könnten über ihm zusammenschlagen. Hinter ihm ist ein Segelschiff zu sehen, das den Wogen trotzt, und ein Fisch springt aus dem Wasser hoch.
Dieser Herrscher kann aus dem Vollen schöpfen, aus der Wiege des Lebens selbst – er besitzt Weisheit und liebt das Leben. Allem, was Leben verheißt, ist er zugetan, der Kelchkönig, also auch der Kreativität in allen Bereichen – und vor allem auch der Kunst. Die Kelche stehen für das Gefühl, für die Emotion – und so zeigt sich hier ein Mensch, der tolerant und großzügig agiert und seine Macht rücksichtsvoll zu gebrauchen weiß. Denn über Macht verfügt er, dieser König.
Oft begegnet er uns als Erzieher oder Künstler, als Wissenschaftler oder vielleicht auch als Kleriker. Ein Psychotherapeut kann er sein oder ein Schriftsteller, er ist wandelbar und schillernd. Die Tiefe ist sein Bereich, der Ursprung von allem. Er besitzt Charme und Charisma, er versteht es, die Herzen für sich zu gewinnen. Seine Macht hat nichts mit Zwang zu tun – das hat er nicht nötig, denn er ist einer, der in der Lage ist, andere Menschen wirklich und tatsächlich wahrzunehmen.
Sein blaues Gewand ist ganz dem Wasser zugehörig, doch der Mantel darüber ist gelb, die Farbe des Luftelements. Man könnte das so interpretieren, dass hier das Kalkül durchaus nicht fehlt – das "in Szene setzen". Dieser Mensch weiß um seine Fähigkeiten und möchte das auch anerkannt sehen. Dagegen ist nichts einzuwenden, denn falsche Bescheidenheit ist mit Sicherheit keine Zierde, sondern eher eine versuchte "Negativwerbung".
Aber es muss darauf geachtet werden, dass nichts zur Pose gerät und dadurch zur Selbstinszenierung. Wer den Kelchkönig als Ideal sieht, als ein Modell dafür, wie er selber gerne sein möchte, sollte sich fragen, ob es ihm um die Werte geht oder um die äußeren Attribute. Wer möchte sich nicht gerne bewundert sehen als freundlichen und selbstlosen Menschen, als Vorbild oder König der Herzen. Aber das alles ist ohne Tiefgang nicht besonders viel wert – das Posieren wird als Fälschung erkannt ... früher oder später.
"Ich bin ja so hilfsbereit und werde immer nur ausgenutzt. Ich will ja immer nur das Beste für alle. Ich bin ja so tierlieb." Menschen, die immer wieder solches über sich selber sagen, sind wandelnde Reklametafeln für Mogelpackungen. Es geht ihnen um den Bonus, den sie haben möchten, ohne etwas dafür zu tun. Der Kelchkönig weiß um das alles und ist bemüht, die Balance zu halten zwischen Gefühl und Intellekt. Er kann darauf hinweisen, dass der Fragende sein Licht nicht zwanghaft unter den Scheffel stellen sollte und seinen inneren Reichtum durchaus zeigen soll.
Es steckt in jedem Menschen das Liebenswerte und Kreative, das herausgelassen werden will und auch sollte. Wenn der Kelchkönig warnt, dann davor, dass Gefühle irgendwo gründen müssen, oder dass Sentimentalität noch keine tiefen Gefühle ausmacht. "Finde den Weg durch die See und steuere dein Lebensschiff durch alle Höhen und Tiefen, ohne zu kentern und unterzugehen."
Die Königin der Kelche
Gleich und doch nicht gleich wirken die Bilder – ebenso wie der König befindet sich die Königin auf dem Meer. Doch ihr Sitz steht auf einer kleinen Insel fest und sicher – ihre Verbindung zur Erde. Ihr Thron trägt eine Muschel als Kopfstück der hohen Lehne und ist mit Figuren von Meerelementaren geschmückt.
Ein Szepter hat die Kelchkönigin nicht, dafür umfasst sie mit beiden Händen einen prunkvollen Kelch, der kleine Engelsfiguren wie Wächter trägt. Das umgebende Meer ist ruhig, nicht aufgewühlt wie bei ihrem männlichen Pendant – sie blickt ruhig und konzentriert auf den Pokal, den sie in den Händen hält. Ihr Umhang ist blau und weiß gemustert in einem Wellenmotiv. Sie ist ganz dem Element des Wassers zugehörig und schaut nicht nach außen.
Das Gefühl ist ihr ureigenster Bereich, sie ist Mutter und Schwester, Gefährtin und Freundin, Geliebte und Ehefrau. Sie erkennt im Kleinen das Große und schließt vom Ganzen auf das Teil. Sie ist sehend auf die Weise, die nur das innere Auge gibt. Nichts ist ihrem Verständnis fremd, sie verzeiht und umgibt mit Liebe. Als Person gesehen, zeigt sie sich als Mutter, Künstlerin, Ärztin, sozial engagierte Frau oder Naturschützerin.
Sie ist oft an okkulten Dingen interessiert und verlässt sich selten rein auf ihren Intellekt, sondern eher auf ihr inneres Wissen – ihre Intuition, die ja nichts anderes ist als aus dem großen Ganzen zu schöpfen – vorausgesetzt die Verbindung ist nicht unterbrochen. Lebensspenderin und Göttin, sie ist alles in einer Person – in gewisser Weise zeigt die Kelchkönigin das weibliche Element an sich. Liebe ist ihr Metier und alle Facetten davon. Aber die See ist auch launisch – eben noch spiegelglatt ... und jetzt tosend und in Aufruhr.
Vermittelt die Karte eine Mahnung, dann die: Du musst von deiner Kristallkugel aufsehen ab und an – gib dich nicht nur mit mittelbaren Bildern zufrieden. Auch wenn du noch so liebevoll bist, aufopfernd und herzlich – versäume nicht, die Realität wahrzunehmen, damit nichts zum Selbstzweck gerät und du mit den Bildern lebst, die du im Wasser gespiegelt siehst. Sie könnten allzu emotional gefärbt sein und sich von den wirklichen Menschen zu sehr entfernen. Nimm alles in seiner Fülle wahr und fokussiere nicht nur diesen einen Punkt.
Wo die Emotion herrscht, werden gewaltige Kräfte frei, die Gutes oder Böses bewirken können. Liebe, Hass oder Angst sind mächtige Motoren, in ihrem Namen können Dinge geschehen, die man nicht für möglich gehalten hätte. Die Karte kann aber auch darauf hinweisen, dass die Gefühle dringend zugelassen werden sollten, dass man zu ihnen stehen soll und muss. Das gilt natürlich für Männer wie für Frauen – gerade Männer geben der Kelchkönigin oft zu wenig Raum in ihrem Leben, das bedeutet, dass sie auf Kraft verzichten.
Wo Emotionen blockiert sind oder nicht zugelassen werden, geht ein wichtiger Teil der Kraft und des Lebens überhaupt verloren. Negative Gefühle richten unglaublichen Schaden an, wenn sie unterdrückt werden. Das bedeutet nicht, dass ihnen nachgegeben werden soll – man darf sie nur nicht vor sich selber verleugnen, sondern muss sich damit auseinandersetzen. Es gibt für alles ein rechtes Maß, auch für die Gefühle. Fehldosierung in beide Richtungen ist nicht angebracht. Allzu gefühlsduseligen Menschen gibt die Meerherrin einen Rat ... das Leben ist nicht nur rosa Watte.
* * * Tarot-Hofkarten Kelchkönig und Kelchkönigin: Ende der Leseprobe aus unserem Buch * * *
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© "Die Hofkarten Kelchkönig und Kelchkönigin": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), Eleonore Radtberger, 2010.
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