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(August 2010) In der Schweiz ist die Todesstrafe wieder ein Thema, das die Gemüter erhitzt. Eine Bürgerinitiative fordert die Wiedereinführung, vor allem für Morde mit sexuellem Hintergrund. Sollte die Initiative genug Unterschriften vorlegen können, wäre es sogar möglich, dass es zu einem Volksentscheid käme. Somit bestünde die tatsächliche Aussicht, dass die Schweiz als einziges europäisches Land den staatlich erlaubten Mord als Strafmaßnahme in seinen Gesetzestext aufnimmt. Zwar ist die Wahrscheinlichkeit, dass es dazu kommt, nicht sehr hoch, aber immerhin besteht eine geringe Chance.
Nun gibt es immer wieder Stimmen, die lautstark das Töten von Verbrechern fordern, und die Argumente sind nicht so unlogisch, dass niemand den einen oder anderen Gedanken an eine solche Lösung verschwenden würde. Gerade was Triebtäter betrifft, tut sich die Gesellschaft schwer – denn zum einen sind diese Täter zu gefährlich, um sie jemals wieder auf freien Fuß zu setzen, andererseits ist eine lebenslange Verwahrung nur bedingt eine Lösung. Das meinen jedenfalls die Rechner unter den Befürwortern der Todesstrafe, die mit den Kosten, die letztendlich jeder zu tragen habe, argumentieren.
Das ist zwar sachlich gesehen richtig, aber die Allgemeinheit zahlt für sehr viele unnötige Dinge, wie zum Beispiel hierzulande der Bund der Steuerzahler mit interessanten Beispielen belegen kann. Das wird beim eidgenössischen Nachbarn kaum anders sein, wie wohl in jedem Land der Welt.
Andere wiederum setzen auf die abschreckende Wirkung der Todesstrafe, was allerdings nicht mehr als ein frommer Wunsch ist. Das zeigen die Todestrakte in den Gefängnissen der USA recht deutlich, wobei anzumerken wäre, dass man in Amerika einräumt, dass der Anteil der Fehlurteile recht hoch ist und es nicht allzu selten zu "unrechtmäßigen" Exekutionen kommt.
Zu allen Zeiten wurden Menschen für Verbrechen gehenkt, wobei der jeweiligen Regierung oblag, was als todwürdiges Vergehen galt und was nicht. Die mittelalterlichen Hinrichtungen, die zur allgemeinen Volksbelustigung auf öffentlichen Plätzen stattfanden, hielten keineswegs die Beutelschneider davon ab, ihrem Beruf nachzugehen, was sich bei großen Ansammlungen von Menschen als sehr gewinnbringend erwies. Taschendiebe erleichterten die Zuschauer um ihre Geldbörsen, während ein Mitglied der Zunft gerade vom Leben zum Tod gebracht wurde.
Keiner, der jemandem absichtlich das Leben nehmen will, also einen Mord plant oder den Tod eines anderen billigend in Kauf nimmt, wird sich von der Aussicht auf den Tod abhalten lassen. Es liegt wohl in der Natur der Dinge, dass ein solcher Mensch nicht daran denkt, dass er tatsächlich überführt werden könnte. Die anderen vielleicht, aber nicht er. Obgleich in Europa kein Sexualtäter die Hinrichtung fürchten muss, werden viele Opfer getötet, um die vorherige Tat zu vertuschen – und, so die Stimmen der Gegner, es könnten mehr werden, wenn der elektrische Stuhl oder die Todesspritze drohen würde. Dieses Argument sollte nicht außer Acht gelassen werden, obwohl es letztendlich nicht wirklich eine Rolle spielt.
Die Bestrafung eines Täters, der das, was er tat, wieder tun wird, sobald er die Möglichkeit dazu hat, ist irrelevant. Jedenfalls dann, wenn man die Strafe als Läuterung betrachtet. Geht man von Vergeltung aus, ist die Sachlage natürlich eine andere. Dann nämlich ginge es nur um Rache – und nichts sonst. Das ist durchaus verständlich, versetzt man sich an die Stelle der Familienangehörigen der Opfer. Wird ein geliebter Mensch ohne Grund und Sinn weggenommen, einzig weil ein anderer seine Befriedigung suchte und sich nahm, ohne irgendeinen Gedanken an Mitleid oder Menschlichkeit, ist der Wunsch nach Rache völlig natürlich.
Wie man weiß, sind bei Hinrichtungen in den USA Verwandte der Opfer als Zuschauer zugelassen. In wieweit das den Schmerz dämpft oder die Wunden heilen lässt, ist fraglich – es kommt wohl auf den einzelnen Menschen an. Manche fühlen sich befreit, sehen sie den Mörder ihres Kindes sterben, andere wiederum fallen noch tiefer in die Depression. Ob nun in Übersee oder hier in Europa, die Angehörigen der Opfer werden im Großen und Ganzen allein gelassen mit ihrer Trauer und den seelischen Folgen des Verbrechens, die auch für sie sehr schwerwiegend sind. Der Tod des Täters hat wohl kaum eine therapeutische Wirkung, auch wenn man das vielleicht glauben möchte. Der Schmerz muss anders bewältigt werden, und da sind spezielle Maßnahmen gefragt.
Die Todesstrafe gibt es schon sehr lange, sie wurde als moderates Mittel der Bestrafung angesehen. Allerdings ging es bei den Hinrichtungen nicht immer um Mord, sondern auch um Viehdiebstahl oder Wilderei, um Verrat oder politische Angelegenheiten. Man denke an die düsteren Zeiten der französischen Revolution, als die Guillotinen der Masse der Delinquenten nicht mehr Herr wurden und man die Menschen auf Schiffe trieb, welche man dann versenkte. Um in den Genuss des Todesurteils zu gelangen, reichte zuweilen das Tragen eines Spitzenkragens oder der bloße Verdacht, zum Adel zu gehören. Wie viele hastige Standgerichte hatten in Kriegszeiten den Tod zur Folge – wegen angeblicher Feigheit oder Kollaboration. Im Zweiten Weltkrieg konnte ein Zivilist wegen einem mitgenommenen Brotkanten gehenkt werden.
In wie vielen Ländern warten jetzt, im Jahre 2010, verzweifelte Frauen auf den Tod durch Steinigung? Übrigens eine ausgesucht grausame Art des Sterbens, denn die Ausführenden können das Leiden der Verurteilten je nach Belieben verlängern. Diese Menschen werden für etwas getötet, für das man hierzulande nicht einmal ein Brauenheben übrig hätte – wobei die meisten von ihnen wahrscheinlich unschuldig im Sinne der Anklage sind. Aber das waren Unzählige andere auch, von den Anfängen der Menschheit bis jetzt. Zwar ist es heute Dank der Möglichkeiten zur Identifizierung eines Täters eher unwahrscheinlich, dass ein Unschuldiger stirbt – zumindest was Europa betrifft – doch ging es bei der Justiz nicht immer um Gerechtigkeit, sondern eher um das geltende Recht. Von verschlampten Beweisen bis zu nicht berücksichtigten Zeugenaussagen reicht die Palette der Unwägbarkeiten, was Ermittlungen betrifft ... aber das nur am Rande.
Wir lächeln über die Tradition der Blutrache, wie sie noch heute in einigen Teilen der Welt üblich ist, und täten doch dasselbe, wenn wir eine Wiedereinführung der Vergeltungsstrafe in Betracht zögen. Nichts wird durch den Tod des Täters besser, und wenn der Staat für dessen Unterhalt und Unterbringung aufkommen muss, weil die Freiheit nicht mehr in Betracht kommt – damit müssen wir uns eben auseinandersetzen. Mit Sicherheit kommen diese Kosten nicht an manch andere Steuergeldverschwendungen heran, um es etwas mehr auf den Punkt zu bringen: Es gibt weniger Mörder als verschwenderische Stadträte oder Steuerhinterzieher, welche die Allgemeinheit nachweisbar Unsummen kosten.
Aber das sollte nicht der Grund sein, weshalb man auf die Todesstrafe verzichten muss. Es geht darum, dass die Menschheit auf ihrem langen Weg zur Humanität nicht wieder einen großen Schritt zurück in die Barbarei machen darf. Menschenrechte und diese besondere Art der Ahndung passen nicht so recht zueinander, sie laufen nicht recht im Gespann. Bei der schon erwähnten französischen Revolution können die Worte "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" als reiner Hohn gewertet werden, bei einem Regime das praktisch auf Blut gründete.
Und es kann durchaus der Gedanke aufkommen, dass eine Nation, in der die Todesstrafe Usus ist, jederzeit zu weiteren Schritten bereit wäre. Ist nämlich die Todesstrafe erst wieder institutionalisiert, könnte sie auf weitere Vergehen ausgeweitet werden. Sage niemand, dass dies nicht möglich wäre, denn die Geschichte lehrt uns das Gegenteil.
© "Auge um Auge – Todesstrafe in der Schweiz": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2010.
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