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September 2009. Die Wahlen sind vorbei und die betreffenden Plakate mit den mehr oder weniger gut getroffenen Kandidaten sind verschwunden – oder bleichen im Herbstnieselregen vor sich hin. Man kennt das, irgendwann ist alles weggeräumt und man kann zur Tagesordnung übergehen.
Was noch nicht entfernt wurde, sind diese bunten Malzkaffeesticker, also Werbeaufkleber von Naziparteien, die in Augenhöhe auf Ampelmasten oder Stromkästen positioniert sind. Malzkaffee, das beinhaltet braun, billig und von vorgestern. Diese ärgerlichen kleinen Dinger fummelt man meist ab, während man auf grünes Licht wartet oder auf sonst etwas, und gerade eben Zeit hat.
Ganz kriegt man sie nicht weg, aber wenn man die Botschaft unleserlich gemacht hat, ist es eigentlich gut – man geht weiter und vergisst sie. Eigentlich stellt man sich nicht vor, dass irgendjemand sich von diesen kleinen Klebedingern animiert fühlt, sich in die leider recht rasch anwachsenden Scharen der Rechtsextremen einzureihen – aber das wurde schon einmal unterschätzt.
Jedenfalls gibt es da eine ältere Dame in Berlin, die Zeit und Mittel aufwendet, um in Vollzeitbeschäftigung, mit Schaber und Lösungsmittel ausgerüstet, Jagd auf die Hinterlassenschaft gewisser Andersdenkender macht. Ohne etwas dafür zu verlangen, entfernt sie Sticker und Schmierereien, wo immer sie diese findet. Der Arbeits- und Kraftaufwand ist enorm. Und die Dame bekommt sogar Zuspruch von Passanten, allerdings eher selten. Meist erntet sie für ihre Bemühungen nämlich Anzeigen und muss sich so einiges an sonderbaren Kommentaren gefallen lassen.
Bedrohungen von tapferen Neonazis sind nichts neues für sie. Freunde hat sie verloren, Abartigkeit wurde ihr vorgeworfen und mangelnde Toleranz. Sie müsse auch andere Meinungen tolerieren, heißt es oft. Und da kommt man ins Überlegen. Wenn überbordender Hass, der aus eigenem Unvermögen und eskalierenden Ängsten resultiert, in brennenden Häusern, Toten und Verletzten oder Ausgrenzungen manifestiert wird, das ist wohl kaum eine andere Meinung.
Wenn fehlgeleitete Menschen das bestehende demokratische System durch eine Herrschaft des Terrors ersetzen wollen, in denen willkürliche Regeln das vermeintliche Naturgesetz von der Herrschaft der Starken über die Schwachen durchsetzen, dann kann dies kaum als leicht abweichende Meinung gesehen werden. Die Definition von Stärke hat in gewissen pseudopolitischen Kreisen immer etwas mit Gewalt und selten etwas mit Gehirn zu tun. In solch einer Gesellschaft ist der im Recht, der seine Zielsetzung mit rücksichtsloser Brutalität durchsetzt.
Propagandisten einer solchen Ordnung glauben ihre Schönrednerei von Gerechtigkeit wohl selber nicht. Im Übrigen glaubt ihnen auch sonst niemand, weswegen ihre Erfolge letztendlich nicht bombastisch sind. Trotzdem sollte man die Symbole solcher "Denk"weisen nicht unterschätzen, denn es ist so verführerisch einfach, die ausländische Familie nebenan, die versammelten Stämme Israels oder sonstwen für alles verantwortlich zu machen, was schief läuft im Leben.
Es macht natürlich viel mehr Spaß, abends durch die Straßen zu ziehen und Leute zu verprügeln, als sich zu informieren und auf anderer Ebene für seine Ziele zu arbeiten – so man welche hat, außer dem schönen Hobby des Stickerklebens. Und da Symbole wichtig sind und für vieles verantwortlich, im Guten wie im Bösen, ist es eine sehr gute Idee, diese zu eliminieren. Man sollte selber nicht mehr darüber hinwegsehen, sondern Hand anlegen, um Zeichen zu setzen. Toleranz gegenüber Andersdenkenden ist eine gute Sache und unabdingbar notwendig, um in einer funktionierenden Gesellschaft leben zu können.
Aber Toleranz der Intoleranz gegenüber ist absolut nicht erforderlich, denn diese stellt das absolute Gegenteil dar. Und hier wird eine Entscheidung gefordert, nämlich für oder gegen Menschlichkeit auf lange Sicht.
Also: Wenn Sie so ein kleines buntes Ding mit viel Braun im Hintergrund in Augenhöhe haben, reißen Sie es ab! Unsere Städte brauchen so etwas nicht, wir haben so schon einiges zu tun, um unsere Straßen sauber zu halten.
Und beim nächsten genehmigten Aufmarsch der Leute, die anderer Meinung sind: Einfach den Rücken zudrehen.
© "Viel Braun im Hintergrund – Eine Frage der Etikette": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2009.
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