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Noch immer gibt es sie, die Wehrpflicht. Die hat eine lange und besonders glorreiche Geschichte, denn die "Geschichten vom Bund" kennt ja eigentlich jeder. Mangels anderer Geschichten werden die Anekdoten bei Herrenabenden immer wieder gern erzählt.
Bei gemischten Zusammenkünften begeben sich die anwesenden Damen meist in die Küche, um der Gastgeberin zur Hand zu gehen. Befindet man sich in einem Lokal, wird die Damentoilette frequentiert, nachdem man sich mit hochgezogenen Brauen und ergebenem Seufzer zusammengeschlossen hat.
Die ruhmreichen Taten der Militärzeit handeln in der Regel von unausstehlichen oder lächerlichen Vorgesetzten, langen Märschen nach alkoholseligen Nächten mit einigen weiblichen Exemplaren der Bevölkerung des jeweiligen Standortes, und mannigfaltiger anderer Kurzweil. Das ist zwar alles sehr lustig und als Streitpunkt nach der Party gut zu gebrauchen, reicht aber nicht als Begründung für das Aufrechterhalten der Wehrpflicht.
In früheren Jahren waren viele Frauen der Meinung, es schade den jungen Kerls durchaus nicht, bei der Bundeswehr zu sein, lernten die dort doch so etwas wie Ordnung ... und überhaupt. Nun ja, es könnte sich vielleicht einmal als wichtig erweisen, wenn man in der Lage ist, ein Hemd auf Din A4 zusammenzufalten – aber die Wahrscheinlichkeit dafür ist doch recht gering. Außerdem vergessen alle Zeitsoldaten mit dem letzten Verlassen der Kaserne die mühsam erlernten Fähigkeiten sofort, und wissen – sobald sie eine Partnerin haben – nicht einmal mehr, wo ihre Oberhemden liegen. Also scheidet auch dieser Grund aus.
Sein Vaterland mit der Waffe verteidigen – nun, das hört sich nicht schlecht an, vorausgesetzt man hat ein Faible für Landserromantik. In einem real ausbrechenden Verteidigungskrieg sieht das etwas anders aus.
Es gibt immerhin die Möglichkeit, dass die Superwaffen wirklich eingesetzt werden – in diesem Fall hört wahrscheinlich kein Reservist das für ihn bestimmte Codewort im Radio. Es wird dann nämlich nicht mehr allzu viele funktionierende Sender geben. Das zigmal geübte Zusammensetzen des Gewehres war dann auch umsonst, denn keiner wird mehr die nächste Kaserne erreichen. Selbst wenn der fiktive Krieg mit "normalen" Waffen geführt werden sollte ... gegen ihren Willen ausgebildete Soldaten sind nicht die Besten. Rein logisch gesehen wäre es da weit sinnvoller, auf ein Berufsheer zu setzen.
Die andere Fraktion, die der "Verweigerer", hat andere Geschichten zu erzählen – von der psychiatrischen Untersuchung, die unumgänglich war noch vor einigen Jahren. Man wurde für labil oder schlimmeres gehalten, wenn man sich weigerte, Dienst an der Waffe zu tun. Außerdem galt ein Verweigerer grundsätzlich als Feigling. Und bewies fortan seine Tapferkeit beim Ausleeren von Nachttöpfen. Jedenfalls kommen da auch einige interessante Geschichten zusammen – wahrscheinlich gibt es viele nette Histörchen für die Zeit im Altersheim oder im Krankenhaus.
Aber bitte – vielleicht versteht man ja nicht unbedingt etwas davon und sollte sich da heraushalten – aber als Bürger dieses Landes darf man sich ja Gedanken machen. Darüber zum Beispiel, ob die Wehrpflicht tatsächlich noch Sinn macht in einer Welt, die auf High-Tech-Waffen setzt und jederzeit die Gefahr eines Atomschlages besteht. Es gibt zwar jeden Tag an irgendeinem Ort auf der Welt Kriege, aber die Großmächte sind da allenfalls hinter den Kulissen und sozusagen mittelbar befasst. Es ist bekannt, wie lukrativ das legale Töten sein kann.
Aber zurück zur Deutschen Bundeswehr. Wie wäre es zum Beispiel – rein hypothetisch gesehen – wenn ein Teil der ungeheuren Rüstungsgelder anders investiert würden? Man stelle sich vor, dass das ganze Heer umstrukturiert und in eine Rettungsarmee verwandelt würde. Wer sich freiwillig meldet oder sich gar als Berufsretter bewirbt, erhält eine Ausbildung in Sachen Sanitätswesen, Funk, Computer und vielem anderem. Die Frauen und Männer müssten zwar auch ein hartes Training absolvieren, aber für andere Ziele.
Man könnte Retter ausbilden, die mit jeder geografischen Gegebenheit dieser Erde fertigwürden. Schwer zugängliche Felsen, Tundren, Eis, Wüste – die Möglichkeiten sind immens. Spezialisten für Riesenbrände, für Erdbeben, Fluten und jede denkbare Naturkatastrophe könnten ausgebildet werden. Die sich scheinbar häufenden Zwischenfälle hinterlassen erst einmal Hilflosigkeit bei den Menschen, keiner scheint zu wissen, was zu tun ist. Denkbar, dass so ein Korps auch bei Schädlingsinvasionen, wie Heuschreckenplagen oder ähnlichem, eingesetzt werden könnte.
Fliegende Krankenhäuser, die in Krisengebiete geschickt würden, Helikopterflotten, die Flutopfer bergen oder eingeschlossene Menschen mit dem Nötigsten versorgen. Es ist nicht anzunehmen, dass es gar zu viel Leerlauf gäbe bei einem solchen "Heer", jedenfalls gibt es genug Katastrophen auf dieser Erde – Tendenz steigend. Ein großer Teil des vorhandenen Materials könnte ohne weiteres für friedliche Zwecke genutzt oder umgerüstet werden. Es würden zahlreiche Lazarettschiffe und ebensolche Flugzeuge gebraucht. Flugzeugträger müssten nicht unbedingt ausgemustert werden, und Transporter würden für notwendige Evakuierungen durchaus benötigt.
Das Einzige, was man einschmelzen könnte, wären die Waffen. Einschmelzen – nicht etwa auf irgendeinem Dritte-Welt-Flohmarkt verramschen. Und Menschen wären nötig, viele Fachleute. Von Medizinern bis Scouts, Kletterexperten, Piloten, Psychologen, Dolmetschern, Baufachleuten und Biologen, bis hin zu Ökospezialisten und Hundeführern. Bei dem Gedanken an die vielen Möglichkeiten und Chancen könnte einem schwindelig werden.
Die Deutschen also als die Sanitäter und Firefighter für die ganze Welt? Das wäre zumindest einmal etwas anderes:
Die Lage in dem öden Land am Fuße der umgebenden Gebirge ist verzweifelt. Der Fluss ist seit Jahrzehnten nicht mehr über die Ufer getreten, aber jetzt hat er das Land in eine Wasserwüste verwandelt. Überall treibt Vieh mit aufgeschwollenen Bäuchen im Wasser, trudelt drehend an Holzteilen und zerschmetterten Dächern vorbei.
Auf Kähnen und behelfsmäßigen Flößen sitzen entkräftete Menschen, die schon seit Tagen auf dem Wasser treiben. Hungrige Kinder weinen, es gibt viele Verletzte, die kaum versorgt werden können. Das Hochwasser hat die meisten überrascht, kaum einer hatte Zeit, das Nötigste zu fassen. Trotzdem sieht man hier und da auf den Booten oder Flößen eine Ziege oder einige Hühner – Garanten für das Überleben, wenn das Wasser wieder fallen sollte. Denn dann wird alles vernichtet sein, es wird keine Ernte geben in diesem Jahr, und wer weiß, ob im Nächsten.
Zu den vielen Toten werden noch mehr kommen, denn nicht alle Verwundeten werden überleben, und es könnten Seuchen ausbrechen. Fast alle Familien haben einen oder mehrere Menschen verloren, und die, welche übrig geblieben sind, klammern sich todmüde aneinander. Die Leute rufen sich einander Fragen zu: "Habt ihr den oder die gesehen?" "Habt ihr etwas für uns zu Essen?"
Aber plötzlich gibt es einen neuen Ton in der Luft. Ein sonderbares Summen, das vom Horizont her zu kommen scheint, ein vibrierendes, lauter werdendes Lärmen. Und da ruft ein Kind laut: "Seht! Seht doch!!" und zeigt zum Himmel, der plötzlich nicht mehr leer ist. Viele, viele Flugobjekte nähern sich, die Sonne hinter sich und mit unglaublichem Getöse. Die Menschen stehen auf, soweit sie es können auf ihren schwankenden Rettungsinselchen und Booten und winken und lachen, sie fallen einander in die Arme und weinen. Und in ihrer Sprache rufen sie einander zu: "Die Deutschen kommen, jetzt wird alles gut."
Etwas zu dick aufgetragen? Vielleicht ist es das, aber immerhin ist es eine Vision. Eine, die mit der Erde und mit Menschen zu tun hat. Und auf keinen Fall etwas mit Krieg.
© "Gedanken zur allgemeinen Wehrpflicht": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2010.
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