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Es geht auf das Fest der Feste zu. In den Fußgängerzonen läuft die Lamettamaschinerie langsam an und wird in den nächsten Wochen ihre volle Drehtourenzahl entwickeln. Das bedeutet Gold- und Silberdeko bis zum Abwinken, Nikoläuse und Rentiere, plus Heere von geflügelten Jahresendzeitfiguren, sprich Engeln, in den Auslagen. Man wird zugeschüttet mit Geschenkideen, ob man nun irgendjemandem etwas schenken will oder nicht, entkommen kann kaum einer.
Die Fassaden der Kaufrauschtempel in der City sind mit Lichterketten geschmückt und die Konsummeilen der Innenstädte geraten zu Electric Avenues. Die Stadtverwaltungen geben noch eins drauf – mit meterhohen lichtgeschmückten Tannenbäumen, freischwingenden Sternen und Glocken aus vielen kleinen Birnchen. Etwas abseits der Geschäftsstraßen ist es mit den Jahren etwas weniger geworden, wo früher jedes zweite Fenster mit fröhlich bunten oder edel aussehenden weißen Lichtern dekoriert war, ist es heute im Ganzen jedes zweite Haus – Stromanbieter geben wohl kaum Weihnachtsrabatt.
Zu einer zünftigen Vorweihnachtszeit und auch zum finalen Rush auf die Restbestände in den Fußgängerzonen gehört natürlich auch Musik. In den Glitzerpalästen und den Glühweinbuden kommt sie vom Band. Chöre, Instrumentals, Oldies, und der eine oder andere Rockstar, der eine Weihnachts-Edition herausgibt, klingen mehr oder weniger sachte ans Ohr.
Außerhalb, auf der Straße, gibt es Live-Musik in allen Variationen. Etwa alle zwanzig Meter erklingt ein anderer Klassiker, der zur Jahreszeit passt. Mundharmonika, Violine, Akkordeon oder Gitarre werden von klammen Händen gehalten und mit vor Kälte tauben Fingern gespielt. Die Straßenmusikanten haben nämlich auch Saison, denn erstens ist Musik gefragt zu dieser besonderen Zeit, und dann ist der Aberglaube, dass um die Christfestzeit herum die Menschen freigiebiger sind, einfach nicht auszurotten.
Rotbackige, pelzbemützte Kinder, die von den Eltern Münzen erbetteln, um sie dann zwischen Glühweinstand und Maronenröster im sachte fallenden Schnee den Musikanten begeistert in den Hut zu werfen, sind in Hollywood zu Hause. So auch Erwachsene, die mit einem Lächeln und einem "Fröhliche Weihnachten" auf den Lippen etwas mehr Geld in den Hut gleiten lassen.
Real sieht es so aus, dass anstatt romantischem Schnee Nieselregen fällt und die Laune drückt. Die Kinder sind vielleicht rotbackig, aber nicht unbedingt freundlich gestimmt, weil sie von den gestressten Erwachsenen angesteckt worden sind. Diese hetzen hart am Rande eines nervösen Anfalls in verbissener Pflichterfüllung von Laden zu Laden, um das Gabenritual in gehöriger Weise durchführen zu können.
Keifende Eltern und nörgelnde Kinder hasten durch das Lichterland und bemerken die Darbietungen der tapferen Musikanten kaum, geschweige denn, dass sie sich die Zeit nehmen, um in der Geldbörse herumzukramen. Extrem coole Jugendliche, die ihre Kapuze über der Mütze tragen und die Hände tief in den Hosentaschen verankert haben (vielleicht um die Hose am Rutschen zu hindern, da sie augenscheinlich mehrere Nummern zu groß ist), großspuren an den Hüten vorbei. Der Gedanke, einer von ihnen könnte haltmachen, um nach fünfzig Cent für den Hut zu suchen, scheitert schon an der dazu nötigen unglaublich großen Vorstellungskraft.
Ab und an sitzt oder steht jemand einfach da und hält einen Hut oder eine offene Blechbüchse in der vorgestreckten Hand – einfach so, ohne irgendetwas zu sagen oder zu tun. Die Wahrnehmung dieser Bittenden durchdringt entweder erst gar nicht den vorgeschalteten Konsumfilter und negiert somit deren Existenz völlig, oder aber sie bekommen entschieden mehr Aufmerksamkeit als die Musikanten.
Wo Bettler nämlich auftauchen, werden meist im Vorbeigehen die Köpfe zusammengesteckt und die Sternlegende erzählt. Nicht der Stern von Bethlehem ist hier gemeint, sondern die Legende, dass jeder dieser Hutvorsichhalter um die Ecke ein Auto mit Stern stehen hat, nach Ende seiner Schicht hohnlachend einsteigt und nach Hause in die Villa fährt, die er sich erbettelt hat, der Gauner. Diese Sage, die auch gerne an die Kinder weitergegeben wird, dient zur Beschwichtigung des Gewissens, das traditionell um die Weihnachtszeit herum aufmuckt und erst wieder von der Silvesterbowle eingeschläfert wird.
Die Hetzerei und das Gerenne, das sich die Familien antun, dient vielleicht, so eine These, der Angstverdrängung. Denn diese drei Tage, die das Ziel dieser Licht- und Kauforgie sind, sollen vor allem dem Frieden auf Erden gewidmet sein. Nun weiß aber die Statistik, dass die meisten Ehescheidungen nach den Weihnachtsfeiertagen eingereicht werden. Vermutlich verzeiht im Endeffekt keiner dem anderen den massiven Stress der letzten Wochen vor dem Fest. Das gehäufte Verwandtschaftsaufkommen tut ein Übriges, und das mühsame Lächeln gerät mitunter zum Zähnefletschen.
Also packen wir es dieses Jahr vielleicht einmal etwas anders an. Sortieren wir das in der ganzen Wohnung verstreute Kleingeld in die Manteltasche, damit die leidige Sucherei ausfällt, und man – ohne groß darüber nachzudenken – in jeden Hut etwas legen kann. Auch in den des Mannes, der vielleicht ein neues Auto und eine Jugendstilvilla hat.
Bleiben wir vielleicht auch eine Minute bei den Musikern stehen und hören zu. Das Gefühl des Abspeisens kommt dann bei niemandem auf. Vielleicht gehen wir sogar gemächlich durch die Electric Avenue und haken wir uns unter. Wir könnten die Sache mit den Geschenken auch anders machen, den unsinnigen Zwang ausschalten.
Wenn die Kinder ihre neuen Sachen ausgepackt haben, schenken wir Erwachsenen uns vielleicht genau das, was wir brauchen nach dem Rauschgoldengel-Marathon: Ruhe. Frieden wird dann wohl von allein aufkommen – sogar in der Familie.
© "Weihnachten: Mit verbissener Pflichterfüllung von Laden zu Laden": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2010. Bildnachweis: Kleiner Weihnachtsmann, CC0 (Public Domain Lizenz).
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