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Der Fall eines australischen Androgynen, der sich auch von Amts wegen nicht auf ein Geschlecht festlegen lassen wollte, erhitzt die Gemüter. Norrie May-Welby besteht auf einem Eintrag in den Papieren, der das Geschlecht als "nicht festgelegt" beschreibt.
Die Behörden hatten seinem Anliegen entsprochen, jetzt aber einen Rückzieher gemacht, mit der Begründung, dass das Gesetz eben nur "männlich" oder "weiblich" erlaube. Damit ist zwar der Eintrag in den Papieren gemeint ... aber wie sieht es in den Köpfen der Menschen aus?
Meist wird ein Mensch entweder als Mann oder Frau geboren, doch kommt es öfter vor, als man denkt, dass die Geschlechtszugehörigkeit bei einem Kind nicht eindeutig ist (in Deutschland leben etwa 80-tausend Intersexuelle). In einem solchen Fall wird ein Kind für gewöhnlich nach der am meisten äußerlichen Zugehörigkeit erzogen und muss ein recht unbehagliches Leben mit Ängsten und Unsicherheiten, und vor allem mit belastenden Lügen führen. Die zuweilen recht hilflose Medizin versucht, ebenso wie die Eltern, eine Eindeutigkeit herzustellen, die eigentlich gar nicht sein müsste.
In der Antike war die Zugehörigkeit zum "dritten" Geschlecht meist kein derartiges Problem wie heute – sie war bei manchen Kulturen sogar mit dem Göttlichen belegt. Heute nun ist es meist so, dass auch die Betroffenen, sobald sie das richtige Alter dafür erreicht haben, jahrelange hormonelle Behandlungen oder gar Operationen auf sich nehmen, eben um der Eindeutigkeit willen.
Durch die stark belastete Kindheit und Jugend hindurch wächst der Wunsch nach der Zugehörigkeit zu einem der beiden Geschlechter ins Unermessliche. Kein Mensch möchte eigentlich dermaßen "anders" sein, vor allem, da die festgefügten Rollen vorgelebt werden. In den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts wurde die Geschlechtszugehörigkeit im Sinne der daraus resultierenden Rollen im sozialen Gefüge von Feministen hinterfragt. Sätze wie "Man kommt nicht als Mädchen auf die Welt, man wird dazu gemacht" erregten einiges Aufsehen.
Bei näherem Hinsehen wurde ein großer Teil des typischen Verhaltens von Mann und Frau tatsächlich als anerzogen erkannt. Die Erwartungshaltung, die Eltern an einen Jungen haben, sind einfach andere, als die an ein Mädchen. Das Kind lernt darauf zu reagieren und fügt sich ein. Zwar sind die Grenzen mittlerweile etwas "aufgeweicht", aber längst noch nicht fließend. In Familien werden die Mädchen immer noch weitaus mehr zu häuslichen Arbeiten herangezogen als ihre Brüder, und Frauen in typischen Männerdomänen werden zwar mittlerweile akzeptiert, aber immer noch als Ausnahme wahrgenommen.
Die Pubertät ist eine Phase, in der ein junger Mensch sein Selbstbild und die Definition seiner Selbst zu finden sucht und das erst einmal über sein Geschlecht tut. Jungs und Mädchen sind sich da gleich – sie übertreiben das Klischee, um für sich eine Identität festmachen zu können. Für gewöhnlich übernehmen sie die Rollen, die man ihnen in der Familie vorgelebt hat. So kann es passieren, dass ein sensibler Junge sich in einen unausstehlichen Macho verwandelt und ein burschikoses Mädchen zu einer extrem anstrengenden Zicke mutiert ... jedenfalls so lange, bis eine Mitte gefunden wird. Bleibt das aus, verbringen die jeweiligen Menschen ihr Leben als wandelnde Klischees und sind durchaus nicht glücklich damit.
Menschen gibt es in überwältigender Vielfalt, mit allen möglichen Talenten, Stärken oder auch Schwächen. Die haben mit ihrer Geschlechtszugehörigkeit nichts zu tun, denn reduziert sich ein Mensch auf etwas Bestimmtes wie sein Aussehen, sein Vermögen, seinen Beruf oder sein Geschlecht, wird er sich wahrscheinlich niemals als ganzen Menschen empfinden und diesen nicht bewusst erkannten Mangel durch Ersatzhandlungen kompensieren wollen.
In einer Gesellschaft, die vor allem an ihren Ängsten krankt, ist etwas, das nicht einzuordnen scheint, bedrohlich. Ein anderer Mensch muss so etwas wie Flagge zeigen, man muss sehen "mit wem man es zu tun hat."
Lange Zeit standen die Geschlechter im sozialen Gefüge fest und die damit verbundenen Aufgaben, zumindest im europäischen Kulturkreis. Dass es ein drittes Geschlecht gibt, beginnt sich erst jetzt in den Köpfen der Menschen zu etablieren. Wo früher die Tatsache des nicht festgelegten Geschlechtes bei einem Kind versteckt wurde, gibt es mittlerweile Eltern, die es ablehnen, die Persönlichkeit ihres Kindes zu verändern und es nicht für eine eindeutige Rolle zu erziehen. Das sollte im Idealfall als Selbstverständlichkeit gelten, und zwar bei allen Kindern.
Die Zeiten in denen Talente, Visionen, Neigungen und die Entfaltung der Persönlichkeit an den Chromosomen scheiterten, sollten endgültig vorbei sein. Und vor allem sollte es einem Menschen belassen sein, sich so anzunehmen, wie er ist. Nur weil eine Gegebenheit nicht auffällig häufig vorkommt, kann sie kaum als nicht existent oder nicht statthaft im Sinne des Gesetzes gelten.
Ein Staat kann sich wohl kaum anmaßen, die Geschlechtszugehörigkeit seiner Bürger zu bestimmen bzw. ihnen eine Auswahl zu stellen. "Ihr habt entweder so oder so zu sein, eine weitere Option gibt es nicht." Es wäre eine gute Sache, wenn es drei Möglichkeiten gäbe, wo man das Kreuzchen setzt, wenn nach dem Geschlecht gefragt wird. Oder sollte man sich Gedanken darüber machen, wieso diese Frage eigentlich gestellt werden muss?
Quellen: Kontaktgruppe XY-Frauen sowie Wikipedia-Beitrag Intersexualität.
© "Norrie – weder außerirdisch noch Alien": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2010. Bildnachweis: Biologie medizinische Analyse, CC0 (Public Domain Lizenz).
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