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Wann es mir am meisten auffällt? Na dann, wenn ich mich irgendwo anmelden will und dieser Balken mit den Jahreszahlen erscheint. Tag und Monat sind ja kein Problem – aber dann kommt eben dieser Balken. Ich muss ziemlich weit runterfahren mit der Maus, um mein korrektes Geburtsjahr anklicken zu können. Und da rauschen sie dann vorbei, die Epochen meines Lebens.
In den Fünfzigern war noch eben dieses Weihnachtsosterhasiland, dann raus in den Schulalltag und in den schrillen Siebzigern das Erwachsensein geprobt. An die Achtziger habe ich irgendwie verwaschene Erinnerungen, die Neunziger flutschten rasant vorbei – und plötzlich war da die Jahrtausendwende mit allen Hoffnungen, Erwartungen und Weltuntergangsvisionen, die alle ungeschehen ins Leere nebelten.
Älter werden ... – alt werden kommt ja gleich danach – das ist etwas, das geschieht, während man glaubt, ewig jung zu sein.
Wann hat es eigentlich genau angefangen, das Älter werden? Möglicherweise dann, als man es vorzog, zu Hause zu bleiben, anstatt mit der Clique um die Häuser zu ziehen bis zum frühen Morgen, um dann direkt zur Arbeit zu gehen. Damals konnte man noch zwei Nächte hintereinander abfeiern ... und nahm trotzdem noch die Umwelt irgendwie wahr. Heute hat man schon Schwierigkeiten nach einer Nacht, in der man schlecht geschlafen hat, den Standardbetrieb des Körpers anlaufen zu lassen. Oder die Sache mit den Augen – damit hatte man nie Probleme, bis man anfing, die Briefe mit ausgestrecktem Arm zu lesen. Und der war irgendwann nicht mehr lang genug und somit Zeit für die erste Lesebrille.
War das nicht gerade gestern, als man es wahnsinnig komisch fand, dass Oma ihre Brille suchte und vergessen hatte, dass sie das Teil oben auf den Scheitel geschoben hatte? Mittlerweile hat man das Problem auch schon mal hier und da. Oder was haben wir gegrinst und die Augen verdreht, wenn die "Alten" über ihre Wetterschmerzen sprachen: "Mein Knie pocht, das wird anderes Wetter geben. Ganz bestimmt!" Man konnte es nicht mehr hören – und jetzt hat man auch so eine integrierte Wetterstation. Eine alte Sportverletzung, ein Knochenbruch vor langer Zeit ... die Unbequemlichkeiten melden sich zurück.
Der Schritt ist noch flott, der Gang noch federnd – keine Frage. Aber ganz so gerne bückt man sich nicht mehr, wenn es darum geht, die Schnürstiefel zuzubinden. Man setzt sich da lieber. Man sieht einen Schulkameraden aus der ersten Klasse ... und fragt sich entsetzt, ob man auch so alt aussieht. Oder man ertappt sich dabei, die Angebote an Cremes und Salben genauer anzusehen. Wieder jung sein will man eigentlich nicht wirklich, denn das hieße, auf das Erlernte und Erfahrene zu verzichten – man will aber auch nicht gebrechlich werden. Obwohl es da noch lange, lange hin ist. Aber sobald man die Hälfte der normalen Lebensspanne, oder auch etwas mehr als die Hälfte, hinter sich hat, verschiebt sich der Fokus nun einmal. Und das ist auch gut so, denn zu irgendetwas sollen die Erfahrungen ja gut sein – und sie wären es auch, würden wir ihnen vertrauen. Der Körper lässt vielleicht ein wenig nach, aber dafür kann der Geist aus dem Vollen schöpfen – und so soll es auch sein.
Wo man in der Jugend kaum fünf Minuten ruhig auf einem Fleck verweilen konnte, betrachtet man nun minutenlang eine Blüte, auf der eine Hummel sitzt – ist das vielleicht nichts? Dass ein Nickerchen hier und da die Batterie etwas auflädt, ist nichts Neues – als Kind hat man das ja auch gemacht. Die Jugend war eine tolle Zeit – aber wer will das wirklich zurückhaben? Zwar wäre es ein interessantes Experiment, könnte man sich mit jugendlichem Körper, aber den Erfahrungen des Alters, ins Nachtleben stürzen zum Beispiel. Oder sich noch einmal so richtig verlieben. Wie man dabei aussieht, ist nebensächlich – hier und da eine feine Linie macht höchstens interessant, aber doch nicht alt.
Aber wenn man es richtig gemacht hat, wenn man die richtigen Prioritäten gesetzt und nicht im falschen Klassenzimmer die Zeit vertan hat ... würde man dann nicht feststellen, dass es einem keinen Spaß mehr macht? Wäre das nicht vorbei? Ist die Welt denn mittlerweile nicht weiter und größer, vor allem verständlicher? Natürlich gibt es Menschen, die gewachsen sind, aber jede Entwicklung verpasst haben.
Es gibt so viele tolle Sachen, die man machen kann, ohne dass man sich Knochen bricht oder sich in einen verzweifelten "wer ist jünger-Wettbewerb" zu stürzen. Lesen ist so eine Sache, die unglaublich viel Spaß macht ... vorausgesetzt, man erinnert sich, wo zum Teufel man diese Lesebrille hingelegt hat.
© Textbeitrag "Und irgendwann ist man dann wetterfühlig": Winfried Brumma (Pressenet), 2010. Bildnachweis: Statue mit Regenschirm, CC0 (Public Domain Lizenz).
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