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(Januar 2011) Was immer man sich wünscht, wovon immer man träumt – es kann real werden. Dazu braucht man heute keine verstaubte Flasche mit einem dienstbaren Dschinn, der mit in Ehrerbietung gekreuzten Armen in einem nebelhaften Wirbel verschwindet, um sofort das Gewünschte in die Wege zu leiten. Man braucht nur ein paar Klicks mit der Maus. So wird aus einem durchschnittlich attraktiven Menschen ein Starmodel, aus Arbeitslosigkeit wird ein Bombenjob.
Man begebe sich auf eine kurze Surfreise im Internet und den vielen, vielen Communitys und staune über das gigantische Füllhorn mit eingebautem Realisator. So mancher, der nach einem mehr oder weniger befriedigenden Job endlich die Wohnungstür aufschließt, lässt schon im Flur Mantel und Tasche fallen, streift im Gehen die Schuhe ab und reckt den Finger, um Aladins Wunderlampe einzuschalten.
Sobald der Monitor aufleuchtet, verschiebt sich die Realität, und was hinter einem liegt, wird zum diffusen Albtraum und die wunderschöne Welt bzw. das wahre Leben beginnt. Schulden, plärrende Kinder, nörgelnde Ehegatten oder Partner sind nicht mehr wirklich, der blaue Fleck auf der empfindsamen Seele, der vom Anpfiff des Chefs herrührt, verblasst zusehends – denn hier endlich ist man daheim.
Das wirkliche Leben ist das, was man als solches sieht – alle Grenzen verwischen sich. So kann es dann vorkommen, dass jemand seine Dienste als Finanzcoach anbietet und sich an seiner Pinwand breit darüber auslässt, dass er am zwanzigsten schon wieder pleite ist. Als wahr empfindet der Betreffende allerdings nicht die finanzielle Zwangslage, sondern seine Fähigkeit als Coach. Das gilt auch für Internetbeziehungen jeder Art, denn selbst das Frühstück wird kaum noch am Tisch eingenommen, sondern virtuell. Wer das nicht glaubt, sehe sich doch einmal morgens auf den verschiedenen Plattformen um. Da heißt es "Habe Kaffee gemacht, wer möchte auch einen?" Dann erscheinen im Schnitt zehn Kommentare mit Inhalten wie "Gerne, für mich bitte ohne Milch" oder "Ohhh, der riecht ja herrlich, kann ich bitte noch einen haben?"
Hier sind keine Grundschüler zugange und auch keine Puppenmuttis, die mit dem Miniservice "Kaffeekränzchen" spielen. Die Betreiber im Web bieten alles an, was das Zweitleben real machen kann – Teddybärchen und Latte macchiato, Dessous und Glückskekse. Man zieht online Tarotkarten oder befragt die Glücksnüsse. Wirklich real ist nur der, der eine Webpräsenz hat. Es gibt Zeitgenossen, die ihren Freundeskreis verlassen, um sich ganz auf Susi aus Bochum und Manfred aus Echterheide konzentrieren zu können ... viele hundert Kilometer entfernt. Das alles ist ja nun nicht neu, es wurde schon tausendmal beschrieben. Der Punkt ist, dass jemand, der nicht im Web präsent ist, eigentlich gar nicht existiert – isoliert ist. Und das ist aktuell nicht mit einem Menschen oder einer Firma geschehen, sondern mit einem ganzen Land.
Ägypten ist seit Ende Januar 2011 nicht mehr im Internet erreichbar – es ist einfach verschwunden. Warum das so ist, liegt klar auf der Hand. Der Regierung ist nicht daran gelegen, dass sich die Bürger der Welt mitteilen und Zustandsberichte abgeben können. Außer einem Stand zur ägyptischen Börse (man ist also in Regierungskreisen durchaus flexibel, was das anbelangt) ist das Land am Nil aus der Internetrealität verschwunden. Und das ist besorgniserregend, denn wenn die allgemeine Realitätsverschiebung auch hier funktioniert, könnte Ägypten auch aus der allgemeinen Wirklichkeit verschwinden.
Über Segen und Fluch des Internets ist schon viel diskutiert worden, aber einer der Vorteile war die Vernetzung der Menschen auf der ganzen Welt. Hätte das Web schon die Verbreitung gefunden, die es jetzt hat, als in Tschernobyl der Reaktor hochging, wäre es der russischen Regierung nicht so leicht gefallen, die Nachrichten darüber so lange zu blockieren. Falls sich viele Menschen beruhigt fühlten durch die allgemeine Informationsmöglichkeit, so sehen sie jetzt mit einigem Entsetzen, dass es möglich ist, ein ganzes Land ins virtuelle Dunkel zu setzen. Wie das in technischer Hinsicht funktionieren konnte, ist unwichtig – allein, dass es tatsächlich gemacht wurde, sollte Angst machen.
Mit diesem Schritt bekundet die Regierung Mubarak, dass sie vor nichts zurückschrecken wird. Eigentlich wäre es logisch, dass jetzt alle Augen auf das afrikanische Land gerichtet sind ... mit mehr Aufmerksamkeit als zuvor – aber, was ist schon logisch im Internet. Hoffen wir, dass die Ägypter nicht aus der Wahrnehmung der Menschen entschwinden und in dem großen schwarzen Loch der Nichtwahrnehmung verloren gehen.
© Textbeitrag "Das schwarze Loch auf dem Schreibtisch": Winfried Brumma (Pressenet), 2011. Bildnachweis: Sphinx zu Gizeh, CC0 (Public Domain Lizenz).
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