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(März 2011) Dieser Tage wird der Ausstieg aus der Atomenergie wieder heiß diskutiert – aus traurigem und brandaktuellem Anlass. Jeder möchte das – zumindest jeder, der sich die tatsächliche Lage vergegenwärtigt. Ganz so einfach ist das allerdings nicht, denn man kann leider nicht einfach den Raum verlassen und den Schalter umlegen. Die Menschen sind auf die Energie angewiesen – heute mehr denn je.
Aber das trifft auch für die privaten Haushalte zu – kaum jemand macht sich wirklich so richtig bewusst, wie sehr er von elektrischem Strom abhängig ist. Dabei kennt jeder den sofort eintretenden Ausnahmezustand in einer Straße oder einem Stadtviertel, wenn der Strom für einige Zeit ausfällt.
Wenn man Glück hat, tut er das nicht am Abend oder in der Nacht, sondern am hellen Tag. Das bedeutet, man muss nicht hektisch nach Kerzen suchen, die man nach Weihnachten weggepackt und seitdem nicht mehr gesehen hat. Manche Haushalte verfügen nicht über Tafelkerzen, sondern nur über Teelichter, die nur wenig Licht geben. In extremen Fällen muss man eben die liebgewordenen Deko-Kerzen in Form von Häschen oder Teddybären anzünden, wobei die Lichtausbeute zu wünschen übrig lässt, weil sie eigentlich nur zum Ansehen gut sind.
Aber gesetzt den Fall, es wäre heller Mittag, dann gäbe es weitere Probleme. Das Essen wird wohl nicht auf den Tisch kommen, denn der Herd fällt natürlich aus. Das gilt auch für den Wasserkocher, also gibt es die beruhigende Tasse Kaffee oder Tee nicht. Glücklich ist, wer in der Straße jemanden kennt, der einen Gasherd hat, denn auch das Zubereiten von Babynahrung wäre nicht möglich. Hält der Ausfall lange an, denken verzweifelte Hausfrauen an ihre Kühltruhen, denn wenn der Strom zu lange weg ist, muss man meist den gesamten Inhalt entsorgen. Tatsächlich geht gar nichts – und in Nullkommanichts ist man von maulenden Sprösslingen umgeben, die nicht fernsehen können und auch keine Batterien für ihre Gameboys haben, die sie gerne aus dem hintersten Winkel hervorgekramt hätten.
Eigentlich befindet man sich in der Steinzeit, denn niemand kann auch nur den Hausputz besorgen oder die Wäsche waschen ohne Strom. Kaum einer, der noch einen Wecker hat, der ohne fremde Energie auskommt, und so manche Boilermodelle verweigern ohne Strom den Dienst. Wir können kaum einen Handgriff tun, ohne dass wir irgendetwas benutzen, das auf die kleinen runden Dinger mit den zwei Löchern angewiesen ist, die in den Wänden sitzen. Wer das nachvollziehen möchte, um den Ernst der Lage zu verstehen, der nehme sich einen freien Tag und deaktiviere morgens gleich nach dem Aufstehen die Sicherungen im Schaltkasten ... und wird einen Abenteuertrip in der eigenen Wohnung machen können.
Neunmalkluge könnten natürlich so einiges anführen, wie zum Beispiel, dass man Wasser auch auf einem Ofen für Festbrennstoffe erhitzen kann – kann man, so man hat. Hat man nicht, spült man eben mit kaltem Wasser, denn der Geschirrspüler funktioniert natürlich nicht. Wäschewaschen wird zum Problem, selbst wenn man die Badewanne zweckentfremdet. Waschkessel in vergessenen, von Spinnweben übersäten Waschküchen in den Kellerräumen gibt es kaum mehr, und wer weiß schon noch, wie man das macht. Teppiche kann man abbürsten und vielleicht findet sich auf dem Dachboden noch eine alte Reiseschreibmaschine für die Korrespondenz, möglich ist ja alles. Die alternativen Methoden für solche Dinge sind zum Teil nicht mehr anzuwenden, weil die Häuser nicht mehr darauf eingerichtet sind.
Leider wird die Solarkraft viel zu wenig genutzt und die Nutzung für private Verbraucher erschwert – die Gründe dafür liegen auf der Hand. Kohleöfen kann man nicht mehr so ohne weiteres irgendwo anschließen, und Häuser mit einer durchdachten alternativen Heizung sind eher selten. Aber selbst, wenn wir den Boden nur kehren, die Teppiche abbürsten können und die Wäsche für fünf Personen per Hand bewältigen würden ... das alles dauert viel zu lange. Keiner hat die Zeit, um stundenlang an einer Wanne zu stehen oder die Auslegeware mit der Bürste zu bearbeiten. Das ist ein für allemal vorbei – außer für in Rente gegangene Nostalgiker, die sich alle Zeit der Welt nehmen können, es wahrscheinlich aber nicht tun werden. Wir haben uns alle zu sehr abhängig gemacht, wir können kaum zurück.
Nun sind alternative Methoden zur Strom-Erzeugung erst einmal teuer und haben ebenfalls nicht nur gute Seiten, obgleich die Nachteile mit Sicherheit das Risiko des Atomstromes aufwiegen. Es ist nur so, dass wir viel zu lange gewartet haben damit. Es ist durchaus möglich, in bescheidenem Maße mit Solartechnik Strom für private Zwecke zu erzeugen – und man fragt sich, wieso die Häuser nicht standardmäßig damit ausgerüstet werden und Eigentümer, die eine Anlage installieren wollen, nicht bezuschusst werden. Das Umrüsten auf alternative und auch variable Methoden ist noch so wenig üblich für die breite Masse, dass bisher niemand gerüstet ist für große Teuerungen oder vielleicht auch temporäre Drosselungen.
Wir haben so lange den Geschwindigkeits-Standard in allen Dingen erhöht, dass die Zeit unser größter Gegner geworden ist. Die Selbstverständlichkeit, mit der die Bewohner der Industrienationen Schalter umlegen, um Dinge für sich "tun zu lassen", hat zu einem Bewusstsein der dauernden Verfügbarkeit geführt.
Kaum jemand – der zwei Fernseher und das Radio in der Küche angeschaltet hat sowie dabei staubsaugt, während die Kinder am PC sitzen – macht sich Gedanken über das, was er da so großzügig benutzt. Wir können nicht aussteigen aus der Atomenergie, ohne unser Bewusstsein und unser Konsumverhalten zu ändern – und aussteigen müssen wir früher oder später, am besten allerdings früher.
© Textbeitrag "Notausstieg – und dann Steinzeit?": Winfried Brumma (Pressenet), 2011. Bildnachweis: Atomkraftwerk, CC0 (Public Domain Lizenz).
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