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Vielleicht kommen Sie ja wieder einmal zum Zuge – einfach, indem Sie wieder einmal dieses Transportmittel benutzen. Wenn man die Nachrichten, in denen es um Pleiten und Pannen der Deutschen Bahn geht, einmal außen vor lässt und die Bahn als das sieht, was sie ist, kann man eine ganze Menge dabei erleben.
Das bequeme Reisen hat Tradition – die in damaligen Zeiten unerhörte Neuerung hat seitdem zwar den Reiz des Exklusiven verloren und ist zu einer Notwendigkeit geworden, aber interessant ist es allemal noch. Leute, die sogar eine Strecke, für die sie etwa fünf Minuten gehen müssten, im eigenen Auto zurücklegen, könnten eine Zugfahrt als kleinen Abenteuertrip betrachten und sich einen schönen Tag in der Welt der kollektiven Fortbewegung machen.
Man sollte allerdings einen kundigen Begleiter mitnehmen, denn wer vor vielen Jahren zum letzten Mal einen Bahnhof betreten hat, könnte an der Beschaffung des Fahrscheines scheitern. Mehr oder weniger freundliche Damen und Herren in glasverkleideten Kanzeln, die Fahrscheine verkaufen und nebenbei auch Auskunft über Abfahrts- und Ankunftszeiten machen, gibt es kaum mehr. Man ist völlig auf sich allein gestellt und im Wesentlichen von den großen Tafeln mit Fahrplänen oder den betreffenden Internetseiten abhängig.
Diese Automaten nun beinhalten ein großes Programm in Bezug auf Sonder-, Wochenend- und Gruppentarife, was die Sache recht kompliziert macht. Will man genau diese Karte lösen, für die überall Werbung gemacht wird, sollte man schon einige Zeit mitbringen – vor allem, wenn man ein blutiger Anfänger ist. Da einem niemand gesagt hat, dass dieser Glanzpunkt der Technik nur Zehneuroscheine annimmt und sich weigert, einen Zwanziger zu akzeptieren, geht die fröhliche Jagd nach einer Geldwechselgelegenheit los.
In Bahnhöfen finden sich Kioske, Restaurantbetriebe oder Blumenläden, die abgehetzte Reisetaschenträger gewohnt sind, und manche helfen gerne beim Umtausch von Geldscheinen oder Münzen aus. Hat das Terminal den Obolus endlich gnädig angenommen und sogar die Fahrkarte ausgespuckt, die nur um ein weniges teurer ist als die eigentlich gewünschte, kann es losgehen. Man begibt sich auf den Bahnsteig und genießt die Atmosphäre dort.
Für die Fahrt wählt man am besten einen Tag, an dem schönes Wetter ist, denn Nieselregen verwandelt einen Bahnhof, den Bahnsteig und die Schienen in eine Art Filmkulisse für einen depressionslastigen "Film noir". Ob man nun eine Fahrt im Schnellzug oder in einer der Pendlerbahnen wählt, ist unerheblich. Man wird auf jeden Fall unglaublich viele interessante Entdeckungen machen. Während man nach der Meisterung der Technik schon seinen Platz gefunden hat, kommen andere Fahrgäste in den Wagen. Manche vertiefen sich sofort in eine Zeitung oder ein Buch, viele tragen Ohrstöpsel und sind für die Umwelt nicht erreichbar. Andere tippen hektisch auf dem dafür vorgesehenen Feld ihres digitalen Kommunikationsmittels oder klappen in aller Seelenruhe ein Notebook auf und entschwinden in andere Welten.
Eltern rufen leicht genervt nach ihren Kindern, die in rasantem Tempo durch den Waggon laufen, um den ultimativen Platz ausfindig zu machen, Gruppen von Jugendlichen diskutieren laut in einer unverständlichen Sprache, die entfernt nach der landesüblichen klingt. Was man wiederum gut versteht, ist der Bericht vom letzten Familientag der älteren Dame vorne links, die ihren Zuhörern, die im selben Alter sind, eine äußerst genaue Schilderung des Ereignisses zukommen lässt. Dass der Vortrag schon nach zehn Minuten endet, ist ein schwacher Trost, denn anschließend sind die Krankheiten des kleinen Reisegrüppchens das zentrale Thema, und man fühlt sich allein vom Zuhören erkrankt.
Manche Fahrgäste setzen sich sofort, nachdem sie ihre Tasche verstaut haben, zum Schlafen zurecht – sie nutzen die Zeit des Fahrens, um sich auszuruhen. Plötzlich geht in dem allgemeinen Durcheinander ein Ruck durch den Zug – er fährt an. Das ist für viele das Signal für das nun stattfindende ungestörte Zusammensein mit Gesprächen, Lachen und Kaffee aus der Thermoskanne. Wenn Sie alleine fahren, wird Ihr Blick irgendwann unweigerlich zum Fenster gehen und das betrachten, was draußen vorbeihuscht.
Die Fahrt schläfert ein, und das Hinausschauen hat eine fast hypnotische Wirkung – die Gedanken geraten auf Abwege, von denen Sie sich sonst fernhalten. Es liegt an den vielen wechselnden Bildern, die man sieht – Bäume, Wiesen oder Äcker, Steinmauern und Dörfer, oder die Randzonen großer Städte. Man wird vorbeigetragen und kommt sonderbarerweise nicht umhin, über Dinge nachzudenken, die man sonst nicht einmal streift. Es ist, als warte eine ganz vertrackte Art der Philosophie in den Zugabteilen – eine, die man nur hier erfährt oder auch in den Reisebussen. Wenn man z. B. selbst hinter dem Steuer sitzt, kann man sich nicht so lösen, wenngleich die Welt ebenso vorbeifliegt.
Gesprächsfetzen vermischen sich mit den Eindrücken, der halbwache Verstand nimmt die Dinge plötzlich anders wahr, intensiver vielleicht. Während man von A nach B fährt, also etwas getan hat und sich vor dem Zeitpunkt befindet, etwas weiteres zu tun – sich also gewissermaßen in einem Zwischenreich befindet, in dem man nicht arbeiten oder umherwuseln kann – wäre es möglich, so richtig Spaß zu haben. Lesen, stricken, Solitaire spielen, einfach die Gedanken von der Leine lassen oder ein profanes kleines Nickerchen ... das alles ist möglich. Ab und an wäre es vielleicht keine schlechte Idee, das Leben in vollen Zügen zu genießen.
© "Thema Tourismus: Zug um Zug": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2011. Bildnachweis: Eisenbahn, CC0 (Public Domain Lizenz).
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