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Mein Onkel Franz war der ältere Bruder meines Vaters und wohnte mit meiner Tante in unserer Nachbarschaft. Rein äußerlich glichen sich die beiden Brüder sehr, aber in ihrem Wesen waren sie trotz einiger Gemeinsamkeiten doch sehr verschieden.
Mein Onkel Franz war ein richtiges Original und er hatte einen Spitznamen: Der Achtel. Das kam daher, dass er sehr gerne in bestimmten Wirtschaften saß und sich ein Achtel Wein bestellte, und nach diesem Achtel, sagte er, werde er dann nach Hause gehen. Wenn er so um 22.00 Uhr sagte, er bestelle sich jetzt sein letztes Achtel, so war das in der Regel so, dass er um 3.00 Uhr morgens immer noch da saß und sich sein letztes Achtel bestellte.
Er konnte sehr barsch, unsachlich und unfair werden. Diese Eigenschaften sind bei meinem Vater so gut wie nicht vorhanden. Auf der anderen Seite konnte mein Onkel Franz umgänglich und sehr humorvoll sein. Diese Eigenschaften hat er mit meinem Vater gemein.
Das Hobby meines Onkels waren Hühner und Hähne, aber nicht so sehr der Eier, sondern der Schönheit wegen. Bei Ausstellungen gab es da schon mal Preise und entsprechende Urkunden das Federvieh betreffend. Die Eier, die diese Hühner legten, waren da nur ein positiver Nebeneffekt.
Eines Tages kam Onkel Franz zu uns in den Garten. Gartenarbeit ist wiederum ein Hobby meines Vaters, und Onkel Franz hatte ein großes Beet innerhalb unseres Gartens. Wir haben nie begriffen, warum mein Onkel Franz, der sich nicht so sehr um das Angepflanzte kümmerte, das schönere und größere Gemüse als wir hatte. Nun, wir waren nicht neidisch und zogen das Ganze ins Lächerliche.
"Onkel Franz, möchtest du eine Flasche Bier trinken?", fragte ich.
Onkel Franz nahm das sehr gerne an und setzte sich auf die Gartenbank.
Auf ein Mal hörte ich von Seiten meines Onkels ein leises, aber doch sehr auffälliges: "Krrrrrr!"
Ich entsinne mich noch, wie mein Onkel hochfuhr und sich schleunigst verabschiedete ohne überhaupt einen Schluck aus der Bierflasche genommen zu haben.
"Ursula, ich muss nach Hause!", brachte er noch hervor.
Onkel Franz war im Hühnerstall gewesen. In seine weiten Hosentaschen hatte er die eingesammelten Eier gesteckt. Vergessend, dass er die Eier in der Hosentasche hatte, hatte er sich auf die Bank gesetzt, was den Eiern nicht gutgetan hat, und so kam es, dass mein Onkel Franz Rühreier in der Hosentasche hatte. Etwas später habe ich diese Story meinem Vetter, seinem ältesten Sohn, und dessen Frau erzählt und die haben schallend gelacht. Es sei nicht das erste Mal gewesen, dass ihm so etwas passiert sei.
Mit den Jahren kam es, dass mein Onkel Franz sehr große gesundheitliche Probleme bekommen hatte. Ihm wurden nacheinander zuerst an einem Bein die Zehen, dann das Bein selbst und zuletzt auch noch das andere Bein bis zum Knie abgenommen und Onkel Franz saß im Rollstuhl. Er war bekannt dafür, nicht aufzugeben und sich immer wieder Ziele zu setzen, für die es sich zu leben lohnte. So sprach er von seinem 80. und dann von seinem 85. Geburtstag. Auch habe ich ihn nie jammern und/oder schimpfen hören und er hat nie aufgegeben. Ich habe ihn ob seiner Haltung sehr bewundert.
Schließlich sollte es noch die Goldene Hochzeit sein. Dies alles ging im Rahmen seiner gesundheitlichen Probleme einher. Bei seiner Goldenen Hochzeit war er bereits 87 Jahre alt und es war sein Wunsch, diese mit einer Riesenfeier zu begehen. Diese Feier war "sein" Fest, dafür lebte er noch und da saß er schon lange im Rollstuhl. Der Gesangverein sang drei Lieder und danach hielt der Vorstand des Vereins meinem Onkel und meiner Tante eine schöne Rede. War alles schon etwas anrührend.
Nach der Rede meinte mein Onkel ganz trocken zum Vorstand: "Du entschuldigst schon, dass ich jetzt nicht aufstehe und einfach sitzen bleibe!"
Uns blieb das Lachen im Hals stecken. Ab diesem Zeitpunkt hat mein Onkel dann aufgegeben und er konnte und wollte einfach nicht mehr leben. Nicht mal drei Monate später ist er dann gestorben.
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© "Mein Onkel Franz" – eine Kurzgeschichte von Autorin Ulla Schmid. Bildnachweis: Weinstube, CC0 (Public Domain Lizenz).
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