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Als wir da zusammensitzen, meint Steffen irgendwann, dass er eigentlich keine Lust hat, nach Hause zu gehen. Er hat schon einiges geladen heute, der Steffen, aber das hat er eigentlich immer, wenn wir hier abhängen. So gesehen ist er wahrscheinlich selten völlig klar. Seine Alte meckert nur noch, sagt er und streckt die Finger hoch. Elke bringt die Runde, schreibt auf. Keinen interessiert die fällige Litanei, aber Steffen ist so einer, der alles so lange wiederholt, bis ihm endlich einer zuhört. Meist kriegt er es nicht mit, dass wir anderen nur "Schon klar, Steffen" oder "Jo, recht haste" in unsere Gläser brummeln. Um das klarzustellen – er ist ein guter Kumpel, kein Spielverderber oder so. Jeder kann ihn leiden, und wenn wir auf seine Kosten mal ein Späßchen machen, so ist das nicht böse gemeint. Das weiß der Steffen, er ist ja ein Kumpel.
Ein Knicker ist er auch nicht, das steht schon mal fest – wenn er da ist, lässt er rollen. Es ist nur so, dass er eben ständig über seine Alte mault. Wenn er so nach zwei oder drei Bierchen anfängt mit: "Also was die Heike ist, der zeig ich's nochmal." Dann stöhnen wir innerlich so richtig auf. Dazu muss man wissen, dass seine Olle ein ziemliches Gerät ist, also jede Menge Frau. Und Steffen kommt da eher mickrig bei, würde ich mal sagen. Manchmal holt sie ihn ab, und dann sieht er nicht sehr gut aus, unser Kumpel. Die hat so eine Feldwebelmentalität, so wie "Jetzt mal zackig, du musst morgen früh raus!" Dann schmeißt sie mörderische Blicke aus ihren kleinen Augen in die Runde ... Mannomann, da kriegt man einen Heidenrespekt.
Soviel ich weiß, hat Steffen daheim absolut nix zu melden. Er bringt die Kohle ran, weil er Schichten fährt wie bekloppt – und seine Alte pflegt die Couch, indem sie das Teil mit ihrem Körper abdeckt. Na, und den Frust quatscht er sich hier bei uns von der Seele. "Mit mir kann sie das nicht machen", sagt Steffen – aber das sagt er immer. Die Kumpels und ich verdrehen die Augen, die Nummer kennen wir auswendig. Kein Stammtisch ohne die neuesten Nachrichten von Steffens Hauswalküre, immer das gleiche Gesülze. Als der Kleine mal wieder "Ich hau der mal so richtig eine rein" vor sich hinzischelt, verliert Mike die Nerven und haut mit der Faust auf den Tisch. "Genau, hau der mal die Nuss von den Schultern, bist doch ein Kerl. Oder? Zeig der Alten mal wo's langgeht. Aber das tust du ja doch nich, jammerst lieber rum." Keiner sagt ein Wort, Steffen blinzelt uns der Reihe nach an und schmeißt dann das Geld auf den Tisch. Als er rausgeht, meint Mike noch: "Ist doch wahr, ich kann's nicht mehr hören."
Am nächsten Abend ist alles wieder in Ordnung soweit. Mike tut das Ganze irgendwie Leid und er gibt Steffen einen aus. Der grinst nur und meint, dass er daheim mal auf den Tisch und seiner Elfe an die Backe gehauen hat. Und dass sie ihn nur blöd angesehen hat, ohne ein Wort zu sagen. Dann redet er nur noch vom Fußballspiel, das gerade in der Kneipe im Fernseher läuft. Man sollte es kaum glauben, aber irgendwie scheint Steffen die Sache hingekriegt zu haben. Er ist irgendwie anders, hält die Schultern grader als sonst und wir reißen uns ziemlich zusammen, weil wir ihm das nicht versauen wollen. Keiner lästert ab. Was Heike so macht, fragt einer – und Steffen sagt, dass sie sich benimmt. Hält die Klappe, wie Steffen grinsend meint. Wenn das so einfach war, wenn die nur mal so etwas wie Gegenwehr spüren musste, dann hat er jede Menge Zeit verschenkt. Mike sagt zu mir, dass irgendwas an der Sache komisch ist, aber ich winke ab. Wenn die beiden klarkommen, ist es gut. Außerdem jammert Steffen nicht mehr rum.
In den letzten Wochen hat man nix mehr von Heike gehört – wenn jemand fragt, sagt Steffen, dass sie auf der Couch rumhängt, wie immer. Und dass sie anfängt, schlampig zu werden, dass sie sich gehen lässt. Er sieht vielsagend in die Runde und hält sich kurz die Nase zu, zwinkert dabei und kichert dann vor sich hin. Sieht aus, als wenn er sie satt hat, seine Angetraute. So redet keiner, wenn ihm noch was an seiner Frau liegt – das ist mal klar. Aber ein paar Tage später meint Mike, ob wir denn nichts gerochen hätten. Und tatsächlich, Steffen duftet auch nicht wie der junge Frühling. Man könnte sogar sagen, dass er stinkt. Außerdem, das fällt mir schon länger auf, wechselt er kaum noch die Klamotten. Aber das ist es nicht, was so übel riecht – es ist mehr so, als wenn ein Kühlschrank kaputt ist und das Zeug innendrin nicht rausgenommen wird. Anders kann ich es nicht beschreiben, und als ich das Mike sage, wird der blass um die Nase und ziemlich still.
Als Steffen später kommt, kriege ich mit, dass die Leute an den anderen Tischen die Köpfe wenden und ihm nachsehen, wie er zum Stammtisch geht. Niemand sagt was, aber ich weiß, warum sie die Nasen rümpfen. Auf die Frage, was seine Frau macht, sagt er nur, dass es immer schlimmer wird mit ihr. Und dass sie nix tut wie blöde vorm Fernseher liegen und glotzen. Die Bude wär so versifft, so sagt er, dass sich die Fliegen schon tummeln. Und dass er ausziehen will, das sagt er auch noch. Ich sehe aus dem Augenwinkel, dass Mike sein Handy zückt und damit vor die Tür geht. Als man Steffen später mitgenommen hat – also, als die Polizei ihn in den Wagen gepackt hat – ist Mike totenbleich und kippt einen Schnaps nach dem anderen. Er sieht immer noch ziemlich krank aus, als wir einige Tage später wieder zusammensitzen. Und als er die Zeitung zusammenfaltet, meint er nur: "Ich sagte, er soll ihr eine an die Backe hauen – von Hammer war nicht die Rede."
© "Steffen – daheim absolut nix zu melden": Kurzgeschichte von Winfried Brumma (Pressenet), 2011. Bildnachweis: Hammer und Nägel, CC0 (Public Domain Lizenz).
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