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Auf dem Flugblatt steht etwas von einem Aufmarsch der NPD vor einer geförderten Begegnungsstätte, in der es "bunt" zugeht. Man bietet dort verschiedene Workshops an, besondere Sachen für Kinder, und speziell auch für Mütter. Der Punkt ist, dass dies auch für ausländische Mitbürger gilt und es sogar kostenlose Deutschkurse für Migranten gibt. Das ist ein ganzer Dornbusch im Auge der Rechten, denn wo käme man denn hin, wenn man den Ausländern die Anpassung derart erleichtert. Also will man Stellung beziehen, indem man sich an die Bürger der Kleinstadt richtet, um Wählerstimmen zu sammeln, und das soll genau vor dem Multikulti-Laden stattfinden.
Vor dem grün angestrichenen Ladenlokal, das in einer viel befahrenen Straße liegt, haben sich zur angegebenen Zeit schon Menschen versammelt. Ausländische Mitbürger sind keine zu sehen, dafür aber ein Querschnitt durch so ziemlich alle Schichten. Ältere Damen in gutem Tuch verteilen handliche Folienposter mit Aufschriften wie "Gegen braune Parolen" und "Gegen rechte Gewalt". Dazwischen erklären Jugendliche mit "Jugend gegen Rechts"-Aufnähern auf den Shirts den neu Angekommenen, worum es geht. Eine Gruppe Punks hat sich eingefunden und ist freundlich mit jedermann – bereit, die Plakate hochzuheben. Einer mault spaßhaft darüber, dass man Kaffee versprochen, aber noch nicht gebracht habe.
Etwa vierzigtausend Einwohner hat die Stadt, eine große Polizeipräsenz ist man hier nicht gewohnt, da es zu wenig Beamte gibt. Bei Bedarf werden Einheiten aus der nächst größeren Stadt beordert, wie auch an diesem Tag. Mehrere Mannschaftswagen pendeln zwischen dem Bahnhof, von dem aus die Gruppe der Rechten zum Ort ihrer Kundgebung startet. Alles ist friedlich, die Leute vor der Begegnungsstätte machen sich miteinander bekannt, diskutieren und scherzen. Irgendwann werden die Ordnungskräfte geschäftig – es heißt, dass der Zug der Rechten die Straße heraufkäme. Eine Kette wird gebildet, die Polizisten mahnen freundlich die erste Reihe der Demonstranten, nicht zu weit auf die Fahrbahn zu gehen.
Schon vor dem Eintreffen der "Kameradschaft X-Y" hat sich ein lokaler Arenenmatador auf der anderen Straßenseite gezeigt, er hat seine Frau dabei, und beide schieben einen Kinderwagen. Parolen aus dem Dritten Reich fallen den meisten bei diesem Anblick ein, einer spekuliert darüber, ob die Kinder Namen aus der nordischen Mythologie haben. Die Familie patrouilliert langsam immer wieder um das Karree herum, ein pickliger Teenager postiert sich in trotziger Haltung mit einer Kamera und fotografiert die erste Reihe der Demonstranten, immer und immer wieder. Mittlerweile hat sich das Kameradschafts-Corps genähert, in vorderster Front wird ein großes Transparent getragen, selbstverständlich in Fraktur beschriftet. Einige tragen Fahnen mit den Farben weiß, rot, schwarz. Alle sehen zum Verwechseln ähnlich aus ... schwarze Hosen und Stiefel, Basecaps und blousonartige Jacken.
Der Sprecher, stark übergewichtig und bullig, spricht in sein Mikrophon. Er spult das ganze Programm ab, verspricht, dass seine Partei die Stadt zum Blühen bringen wird. Lautes Gelächter, Sprechchöre, die "Nazis raus" intonieren. Der Laden sei, so meint der Mann, halblegal und verschwende Steuergelder zu dem Zweck, den Ausländern die feindliche Übernahme des sozialen Lebens zu erleichtern. Viele Polizisten grinsen verhalten, einer der Demonstranten fordert den Mann laut auf, doch etwas über seine Vorstrafen zu erzählen. Gelächter ringsum, ein junges Mädchen hält eine Plastikblume hoch und hüpft im Tanzschritt die Front der ersten Reihe entlang. Die Kette steht, alte Damen und Herren, Punker, Mütter mit Kindern, und tatsächlich auch ein Politiker der SPD, dessen Gesicht auf vielen Wahlplakaten prangt. Schön, dass er da ist, obwohl viele argwöhnen, dass ihm der Anlass egal ist und er sich nur präsent zeigen möchte.
Den größten Teil der Rede des Dicken versteht man nicht – erstens, weil sein Mikrophon etwas dumpf klingt, und zweitens, weil die Sprechchöre nicht abreißen. Aber das wenige, das man aufnehmen kann, reicht auch schon aus. Sonderbarerweise zeigt sich kaum jemand am Fenster – es ist, als ignorierten die Anwohner das Spektakel. Die größere Gruppe stellen die Demonstranten, etwa achtzig Leute. Die Rechten kommen auf etwa vierzig Mann. Am zahlreichsten vertreten sind allerdings die Polizisten.
Plötzlich verteilt eine grauhaarige Frau aus einer riesigen Dose Hustenbonbons, die der benachbarte Apotheker gespendet hat. Der Mann ist für seine humorige Freundlichkeit bekannt im Viertel und es freut, dass er mit seiner Spende Flagge zeigt. Nachdem ein zweiter Mann das Mikrophon übernommen hat und einige Worte spricht, die allerdings auch niemand versteht, wird Musik eingespielt. Es handelt sich um Songs eines rechten Liedermachers, deren Texte in stupider Weise das "Mein Deutschland"-Motto in jeder erdenklichen Weise abspulen. Viele der Demonstranten meinen, dass damit der Tatbestand der Körperverletzung gegeben ist. Nach der musikalischen Einlage packen die Rechten dann zusammen und ziehen sich zurück. Damit ist die Aktion vorbei und die Menge fängt an, sich zu zerstreuen.
Kurz darauf ist alles wieder, wie es war. Autos fahren und Leute hasten in die Discount-Läden, die sich in der Nähe befinden. Wie ein Spuk ist sie vorbei, die nette kleine Demonstration vor der Begegnungsstätte für Deutsche und ausländische Mitbürger. Es hat keine Eskalationen gegeben, die Atmosphäre kann als entspannt bezeichnet werden. Auf Seiten der Demonstranten gegen Rechts war die Grundhaltung eher ruhig und sogar humorvoll – kein verbissener Hass. Man muss allerdings sagen, dass die Gegenseite den Eindruck machte, dass sie ihr Programm eher gequält abspulte und nicht wirklich bei der Sache war. Kann sein, dass die gut gelaunten Menschen mit ihrer Bereitschaft zum herzlichen Lachen die Konzentration etwas gestört haben.
In vorderster Front auf der Seite der Rechten hatte eine blond gebleichte, etwas untersetzte Dame Eifer gezeigt. Es handelte sich, so erfährt man, um die Betreiberin des kleinen Bordells in einer nahen Straße, deren Etablissement den neuen Bestimmungen entsprechend geschlossen wurde und welche sie dann der NPD zur Verfügung gestellt hat. Diese den Tatsachen entsprechende Information führt dazu, dass kaum einer, der am Vereinslokal der Rechten vorbeikommt, sich ein Grinsen verkneifen kann. Die Popularität der Partei leidet in nicht unbeträchtlicher Weise darunter.
© "Provinzbilder: Aufmarsch und Abgang": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2011. Bildnachweis: Kein Raum für rechte Hetze, CC0 (Public Domain Lizenz).
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