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Die Gemüter wurden vor einiger Zeit bewegt durch Berichte über eine geplante Sterbehilfe-Klinik in den Niederlanden. Dort sollte, so die Nachrichten, todkranken Menschen nicht nur Sterbebegleitung gewährt, sondern auch Nichtkranken eine indirekte Beratung zum Freitod angeboten werden. Das ging nicht nur den niederländischen Ärzten zu weit.
Der Suizid – oder in Beamtendeutsch: die "Vorsätzliche Selbstbeschädigung" – gilt in vielen Kulturen als verwerflich, weil sie im Prinzip auch als feiger Akt gesehen wird – als eine Art des sich Davonstehlens. Diese Sichtweise ist nicht allen Kulturen und allen Zeiten gemein, sondern wird auch gegenteilig gesehen. Ritualisierter Selbstmord, wie man ihn in Japan kannte, wurde akzeptiert und teils sogar gefordert, um die verlorene Ehre wieder herzustellen. In der Antike war das nicht selten ebenso, wobei die Selbsttötung von Soldaten in auswegloser Lage nicht als Feigheit bewertet wurde.
Die Glaubensdogmen mancher Religionen bewirkten eine Ächtung, denn wenn ein allmächtiger Gott der Ursprung allen Lebens – oder gewissermaßen das Leben selbst – ist, steht niemandem zu, es entgegen des göttlichen Willens eigenmächtig zu beenden. "Gott hat das Leben geschenkt, Gott wird es nehmen."
Die Frage, wieso dann die Medizin alles tut, um Leben zu verlängern und eventuell todbringende Krankheiten zu heilen und diese Sabotage des göttlichen Willens nicht als Sünde gilt, ist wahrscheinlich müßig, obwohl es sicherlich interessant wäre, dies mit hochrangigen Vertretern des Christentums oder des Islams zu diskutieren.
Wie dem auch sei, der Suizid hat zahlreiche Gesichter. Viele der Menschen, die sich selbst getötet haben im Laufe der Geschichte, wurden indirekt oder direkt dazu gezwungen – es handelt sich also nicht um einen tatsächlichen Freitod, sondern um eine verzweifelte Flucht. Die Angst vor den Eltern oder den Mitmenschen, der künstlich hergestellten Schande, trieb so manche verzweifelte Frau in den Tod. Tausende von Mädchen und Frauen brachten sich um, weil die Gesellschaft eine Schwangerschaft außerhalb der Ehe nicht toleriert hatte. Für viele wäre ein außereheliches Kind mit Sicherheit der gesellschaftliche Tod gewesen. Finanzieller Ruin und die damit verbundene Existenzangst ist schon für viele ein Grund gewesen, das Leben nicht mehr weiterzuführen. Diese Menschen wollten nicht wirklich sterben, wohlgemerkt, sie hätten sicherlich das Leben vorgezogen, wenn man es ihnen nicht unmöglich gemacht hätte.
Die Suizide von Jugendlichen haben sich in den letzten Jahrzehnten mehr als verdoppelt. Ursachen sind z. B. Jugendliche mit Alkoholproblemen, Kinder, die von Familienmitgliedern gequält und ständig in Angst gehalten werden, Halbwüchsige, die dem Terror ihrer Mitschüler ausgesetzt sind oder die dem Leistungsdruck der Schule nicht mehr standhalten können. Viele dieser jungen Leute wollten sich weder "ermorden" noch wählten sie den "Freitod" – sie wurden dazu gebracht. Auch wenn der Betreffende seinem Leben faktisch gesehen selber ein Ende setzt – durch eine Tat, die den Tod zur Folge hat – kann man oft nur von Mord sprechen und nichts anderem. Jeder dieser jungen Menschen hätte mit Sicherheit das Leben gerne fortgeführt, nur ohne die Folter, der er ausgesetzt war. Wahrscheinlich hätte es mehr als einen Ausweg gegeben, aber ein Mensch, der unter permanentem Angstdruck steht, wird nicht mehr überlegt reagieren können.
Gibt es nun eigentlich "Freitod" im Sinne des Wortes? Den gibt es wohl tatsächlich. Nämlich immer dann, wenn ein Mensch genau weiß, was er tut. Nehmen wir den Fall eines schwerstkranken und todgeweihten Menschen an, der nichts mehr vom Leben zu erwarten hat als Schmerzen und auf ständige Pflege angewiesen ist. Dieser Mensch nun wird in der Regel nicht mehr jung sein – wenngleich das kein Kriterium für die Bewertung seiner Entscheidung sein darf – und er hat nun die Wahl zwischen fortlaufendem schmerzhaftem Verfall oder dem Tod. Und diese Wahl sollte er haben. Niemand hat ihm das, was ihn zerstört, zugefügt – es ist einfach eine Tatsache, dass er keine Aussicht mehr auf eine ihm lebenswert erscheinende Existenz hat. Niemand hat das Recht, ihn zu Siechtum und Schmerzen zu verurteilen.
Konsequenterweise führt diese Folgerung weiter zu dem Gedanken, dass niemand zum Leben gezwungen werden kann. Sollte jedoch ein geistig stabiler Mensch, der – ohne wie auch immer geartete Beeinflussung Dritter – nach reiflicher Überlegung diese Existenz ablehnt und aus dem Leben scheiden will, dies als sein Recht ansehen? Müssen nicht wir vielmehr sehr viel aufmerksamer unsere Mitmenschen wahrnehmen? Alle diejenigen, die am Leben verzweifeln, senden Notsignale aus, die es zu erkennen gilt. Wir alle wollen leben, aber manche können eben so nicht mehr leben.
Im Falle der geplanten Klinik im Nachbarland sollte gelten, dass man todkranken Menschen einen würdigen Tod gewähren kann, denn dieser sollte ihnen nicht verweigert werden. Sonst gilt: gewährt den Menschen ein würdiges Leben – dann erübrigt sich diese Kontroverse.
© "Sterbehilfe – Recht auf einen würdigen Tod?": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2011. Bildnachweis: Demenzkranker Mensch (Illustration), CC0 (Public Domain Lizenz).
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