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Was soll man davon halten: Da platzt plötzlich ein nervöser, dünner Mann mit einer riesigen Schere in ein Kinderzimmer und schon spritzt das Blut. Ein Horrorfilm in der Manier von "Halloween"? Keineswegs, obwohl ein gewisses Unbehagen schon dabei ist, wenn zum Beispiel ein kleines Mädchen verbrennt oder ein Junge von einem Sturm erfasst wird und auf Nimmerwiedersehen verschwindet. Oder ein Kind, das aussieht wie ein Star der Gothic-Szene, das auf glatt gebügelt wird.
Diese für Kinder mit Sicherheit äußerst interessanten Vorkommnisse finden sich im guten alten "Struwwelpeter", der seit 1845 eine beispiellose Karriere gemacht hat und seitdem immer wieder ein Comeback erlebt.
Der Autor des Dauerbrenners, der Arzt Heinrich Hoffmann, wollte eigentlich nur ein Bilderbuch für seinen kleinen Sohn erstellen, weil ihm das Angebot nicht gefiel. Es war ihm zu trocken und zu oberlehrerhaft und dadurch nicht für kleine Kinder geeignet. Also schuf er die zuweilen etwas heftigen, aber sehr unterhaltsamen Geschichten. Zwar ist der Zeigefinger nicht zu übersehen, aber dafür lieben Kinder das Buch. Schließlich ist die Pauline ja selber schuld, wenn von ihr nur ein Häufchen Asche übrig bleibt, und außerdem liebten alle kleinen und großen Kinder die beiden weinenden Katzen, die um das Mädchen trauern.
Dieser daumenlutschende Knabe ... nun ja, das ist vielleicht eine etwas rigorose Kur, denkt man – vor allem, wenn man weiß, dass Kinder aus reinem Trostbedürfnis ihre Daumen malträtieren. Zur Zeit Hoffmanns sah man in dieser Angewohnheit nichts weiter als eine Unart, und so ist der mit Sicherheit leicht gemütskranke Schneider mit der Riesenschere aus damaliger Sicht nicht so drastisch wie es heute erscheint – obwohl man sich leicht vorstellen kann, dass die Illustration dieser blutigen Geschichte so manches Kind die ganze Nacht unter der Bettdecke gehalten hat.
Dafür ist die Sache mit diesem Wüterich namens Friederich schon fast fortschrittlich zu sehen. Der unartige Heranwachsende quält gerne Tiere und verhaut auch Schwächere, wie zum Beispiel das weinende Gretchen. Dafür bekommt er dann die Rechnung, als er sich mit einem Hund anlegt. Der nämlich schlägt zurück, indem er dem Ekel Friederich so richtig lustvoll tief ins Bein beißt. Das hat der nun davon und muss im Bett liegen, während der Hund am Tisch sitzt und all die guten Sachen frisst, die sich sonst der Junge einverleibt.
Kinder lieben so etwas, und schon gar, wenn es um Tiere geht. Deshalb ist auch die Geschichte vom Jäger, der zum Gejagten wird, so eine Sache. Der Hase dreht den Spieß um und legt mit der Flinte auf den Ballerer an, der entsetzt das Weite sucht. Besser geht es nicht, denn eigentlich mögen Kinder das Erschießen von Hasen nicht sehr, weshalb dieser Teil des Buches ungemein beliebt war. Erstaunlich war auch die Sache mit dem "Mohrenkind", dem drei offensichtlich gelangweilte Jugendliche folgten, um es zu verspotten – hier greift der Autor auf eine Art "Deus ex machina" in Gestalt eines großen Zauberers zurück, der die kleinen Rassisten mit schwarzer Tinte einfärbt. So etwas gefällt auch heute, wenngleich der Zappelphilipp da vielleicht einen Nerv trifft. Der unruhige Knabe kann bei Tisch das Herumrutschen auf dem Stuhl und das Wippen damit nicht lassen, trotz aller Ermahnungen ... und so kommt, was kommen muss: Philipp verliert die Kontrolle und fällt vom Stuhl, indem er das Tischtuch mit sich reißt.
Damals dachte keiner an so etwas wie Hyperaktivität, und eigentlich sollten wir das auch nicht sofort tun, wenn ein Kind zappelig ist. Bewegungsdrang ist etwas, das auch Erwachsene zuweilen überfällt – vor allem dann, wenn es so richtig langweilig ist. Und das Tagträumen ist manchmal sogar Pflicht für alle Altersgruppen, wenn man auch ein wenig auf den Weg achten sollte, damit man am Ende nicht im Wasser landet wie der kleine Hanns Guck-in-die-Luft.
Der Autor vom Struwwelpeter hatte sich Gedanken gemacht, er interessierte sich für seine Kinder und was für sie passend war. Zu der Zeit auch nicht durchweg üblich, gab es doch Meinungen über Erziehung, die uns heute einigermaßen menschenfeindlich vorkommen. Dass er mit Androhungen über abgeschnittene Körperteile etwas danebengriff, kann durchaus verziehen werden, denn dafür gab es die Gerechtigkeit, die auf dem Fuße folgte, was den Wüterich und den Jäger betraf. Und sieht man die Geschichten an, die heute den Kindern nur so um die Ohren fliegen, dann wirkt der Scherenmann eher wie die Vorgruppe und nicht wie das Hauptmonster. Außerdem ... vielleicht sind es sowieso die Erwachsenen, die beim Aussortieren von alten Spielsachen der Kinder oder Enkel fasziniert nach dem Struwwelpeter greifen und eine kleine Zeitreise machen.
© "Der Friederich, der war ein arger Wüterich": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2011. Die Zeichnungen aus dem Struwwelpeter stammen von Heinrich Hoffmann (Quellen: Wikipedia, Bild 1 und Bild 2, Lizenz: gemeinfrei).
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