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Ein warmer Tag in einer Fußgängerzone, wo der übliche Betrieb herrscht. Menschen sind unterwegs, manche eher eilig, und einige lassen sich Zeit und schlendern durch die Einkaufsmeile oder sitzen auf den Bänken neben den bepflanzten Blumenkübeln. Auf einem größeren freien Platz vor einem Brunnen sitzen einige junge Leute, sie tragen bunte Haare und jede Menge Piercings, auf der Schulter eines Jungen sitzt eine Ratte.
Sie sitzen mit untergeschlagenen Beinen auf dem Boden, nicht etwa auf einer der Bänke. Ihre Gruppe bildet einen losen Kreis, sie lachen und reden, eigentlich sind sie eher unauffällig, sieht man von ihren bunten, interessanten Frisuren ab.
Ein Mann bleibt in der Nähe stehen, wenngleich in sicherer Entfernung, sieht missbilligend auf die Gruppe und beschwert sich lautstark. Es gefällt ihm nicht, dass die Punks auf dem Boden sitzen, obwohl sie niemanden behindern. Er schimpft so ziemlich auf alles, vor allem aber auf ihre Faulheit und ihr kriminelles Verhalten. Was er darunter versteht, ist nicht klar. Eine Frau meint: "Lassen Sie doch die jungen Leute, die tun doch nix." Das ist nicht abzuleugnen, aber es ist ja auch nicht das, was die Punks tun, was den Mann scheinbar verärgert – es ist ihre Existenz. Sie sitzen ihm im Weg, tun etwas, das fremdartig auf ihn wirkt. Der Einwurf der Dame geht völlig unter. Die Gruppe der Punks verhält sich weiter ruhig – einer grüßt mit der Bierdose in Richtung des sich ereifernden Herrn und grinst dabei – aggressiv reagieren sie nicht. Wahrscheinlich hat es etwas mit Gewöhnung zu tun.
Die ganze Szene verläuft fast unauffällig, die Vorbeigehenden kümmern sich nicht darum – einige grinsen vor sich hin, manche nicken zu den Ausführungen des wütenden Herrn. Entnervt gibt er auf und geht weiter. Seinen Ärger ist er nicht losgeworden, ebenso wenig wie seine Angst.
Punks gelten als eine Gruppe, die vor allem provozieren will, durch ihre Kleidung und ihre Frisuren. Das verliert an Glaubwürdigkeit, denn heute sieht man viele Menschen mit bunten Haaren oder eigenwilligen Klamotten. In der Anfangszeit der Bewegung war das anders – da reichte der Anblick eines Punks mit flammend orangefarbenem Haarkamm, um eine Reaktion auszulösen. Heute werden sie eher als Exoten angesehen, und meist durchaus toleriert.
Was den Herrn in der unauffälligen Kleidung zu laut geäußertem Protest gebracht hatte, war wohl eher das für ihn herausfordernde Sitzen "mitten im Weg", wie er meinte und darauf schließen lässt, dass ihn einfach die Präsenz störte. Er ging – ob zu Recht oder Unrecht – davon aus, dass es sich um arbeitslose Jugendliche handelte. Und im gleichen Atemzug bescheinigte er ihnen grenzenlose Faulheit, was er wohl kaum der Szenerie entnehmen konnte. Schließlich saßen Menschen jeder Altersklasse ringsum auf den Bänken und dem Brunnenrand und taten nichts. Die Punks saßen aber auf dem Boden, und das tut man scheinbar nicht. Seinen hitzigen Worten konnte auch entnommen werden, dass es sich bei den Punks durchweg um Kriminelle handelte, die man mit der Polizei vom Platz entfernen müsste. Drogen- und Alkoholmissbrauch wurde ebenfalls an den Pranger gestellt – wobei gesagt werden sollte, dass auch andere Leute in der Anlage Bierdosen dabei hatten. Das nahm der Mann allerdings nicht wahr – es ist wohl so, dass er auf gewisse Schlüsselreize reagiert.
Ein Nachbar mit einem Alkoholproblem fällt völlig aus dem Wahrnehmungsraster, selbst wenn die Anzeichen dafür kaum noch zu übersehen sind. Da er nun aber in der gleichen Straße wohnt, ein ähnliches Auto fährt und denselben Verein besucht, KANN er gar kein Trinker sein. Das hieße ja, man selber könnte auch einer sein. Der Nachbar ist, jedenfalls den Äußerlichkeiten nach, einem selber viel zu ähnlich. Die Punks allerdings sind wohltuend weit weg – sie haben nichts gemein mit einem selber und deshalb sieht man alles – auch jede Menge von Dingen, die gar nicht existieren.
Die Steuerhinterziehung und der kleine Dreh mit der Versicherung werden nicht als kriminelle Handlung wahrgenommen – obwohl es nichts anderes ist, als ein im Laden geklautes Six-Pack. Beide Varianten sind Straftaten.
Regeln gibt es tausende – eine davon scheint die zu sein, dass aus dem Rahmen fallende Minderheiten zwar im Großen und Ganzen das Gleiche tun wie die Mehrheit, es aber auf andere Weise tun und deshalb für schuldig befunden werden. Sie selber können keine Regeln aufstellen – wollen sie wohl auch nicht. Aber es wäre schon ein bestechend interessanter Gedanke, dass vielleicht einmal eine Gruppe Punks oder Hip Hopper vor der Gartentüre eben dieses Herrn auftauchen könnte und sich lautstark darüber beschweren würde, dass "ihr die Luft mit eurer Grillkohle hier im ganzen Viertel verpesten müsst". Und dass dabei auf Gartenmöbeln gesessen wird deren Herkunft äußerst verdächtig scheint. Die teuren Stücke stammen doch wohl nicht aus den immer mehr schrumpfenden Regenwäldern???
"Und überhaupt – was habt ihr da für eine Mucke laufen!!!"
© "Punks contra Normalbürger: Wessen Regeln gelten mehr?". Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2012. Illustration: Thomas Alwin Müller, littleART.
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