|
Das große Reinemachen ist wieder angesagt, und man ist einsamer als sonst im Kalenderjahr. Das liegt daran, dass alle Freunde, Verwandte und Bekannte sich dem Frühjahrsputz widmen – und das mit ganzer Seele. Die Notwendigkeit, den gesamten persönlichen Lebensraum auf den Kopf zu stellen und gründlichst zu reinigen, ist eine Institution, an der niemand zu zweifeln wagt – wer keinen Frühjahrsputz macht, scheint eine Gefahr für alle darzustellen.
Die Verweigerer werden misstrauisch bis mitleidig betrachtet und bekommen in manchen Fällen auch Hilfe angeboten. Vor allem, wenn es sich um Männer handelt, denn denen traut auch heute noch kaum einer so etwas zu. Frauen müssen alleine klarkommen, denn man vermutet eine Art geschlechtsspezifisches Scheuer-Gen bei ihnen – den so genannten Putzfimmel. Sie tragen die Last des keimfreien Frühlings alleine, wenn sie Singles sind, und als Ehefrauen und Mütter erst recht. Auf jeden Fall werden die Reinigungsmittel gesichtet und aufgelistet, und die Waschmaschinen und Trockner fangen an zu zittern – ebenso wie die Kinder und die Haustiere.
Die Reinigungen haben geschäftlich einen erstaunlichen Aufschwung zu verzeichnen, denn auch im Zeitalter der modernen Fasern gibt es noch Stücke, die man nicht waschen kann und die gefälligst sauber im Schrank zu hängen haben, obwohl man sie eigentlich nie trägt und ebenso gut dem Sammelcontainer anvertrauen könnte. Bei aufgerissenen Fenstern und Türen geht jede Gemüt- und Wohnlichkeit verloren, für das vertraute heimische Gefühl ist Auszeit angesagt. Wer auf sich hält und eine gepflegte Wohnsituation schätzt, kommt um das traditionelle Großreinemachen nicht herum – obwohl das logischerweise beinhaltet, dass man im Winter gehaust hat wie eine Schweineherde, wie sonst wäre ein solcher GAU in Sachen chemischer Keule zu erklären.
Die Mittel, die man anwenden kann, sind Legion – es gibt spezielle Reiniger für alle Oberflächen, die man sich vorstellen kann und wahrscheinlich auch für solche, die noch gar nicht erfunden wurden. Streifenfreie Fenster sind ein Versprechen, das oft gemacht, aber nicht ganz so oft gehalten wird – denn in den Werbefilmen sieht das alles völlig anders aus.
Müheloser und streifenfreier Glanz auf allem, das sich mit einem Schwamm oder Tuch bearbeiten lässt ... das ist etwas, das man kaufen kann, aber dann doch nicht so mühelos ist. Denn wer einmal angefangen hat mit diesem Ritual der Reinigung, der kann so schnell nicht wieder aufhören damit. Sobald man zugange ist mit den kleinen Helferlein aus Dosen, Flaschen und Wunderfasern, sieht man mehr, als man vielleicht wollte. Und eh man sich versieht, hat man auch sämtliche Gardinen abgenommen, alle Kacheln abgeschrubbt, die Schrankunterseiten poliert und jedwede Nippesfigur in Seifenwasser sorgfältig gereinigt (nicht ohne die eigene Sammelwut zu verfluchen).
Mit schon sachte verzweifeltem Blick werden dann auch die Gartenmöbel in der Garage erfasst, die Regale auf dem Dachboden, die Wandschränke und die Treppengeländer. Dafür gibt es jeweils spezielle Reiniger, wenn man es nicht vorzieht, gleich auch die Keramikfliesen oder Tapeten überhaupt auszutauschen. Ab einem gewissen Zeitpunkt trübt sich wahrscheinlich die Wahrnehmung, denn es kann vorkommen, dass der Teppichschaum in den Backofen gesprüht wird – und umgekehrt.
Nehmen wir nun einmal an, diese Reinigungsorgie ist nicht wirklich notwendig, was einleuchtend ist, da ja das ganze Jahr über (in der Regel jedenfalls) saubergemacht wird, kann man den Psychologen glauben, dass hier die Reste eines heidnischen Reinigungsrituals wieder aufleben. Den Winter austreiben oder so etwas Ähnliches, denn anders kann man sich nicht erklären, wieso auf einmal der Großteil der Bevölkerung sich wie gedopte Heinzelmännchen verhält.
Zum Schluss hat man, bei aller Sorgfalt, doch etwas vergessen einzukaufen. Nicht das Mittel für Kunststoffoberflächen, nicht den Spezialreiniger für Steinböden oder den Urinsteinentferner ... auch nicht die Versiegelung für den Estrich im Keller oder den Wunderschwamm für alle Keramikfliesen, sondern ein Mittel gegen die teuflischen Rückenschmerzen, die man nach so einem Frühjahrsputz hat.
© "Der Putzfimmel und das große Reinemachen: Der Frühjahrsputz": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2012. Bildnachweis: Hausfrau in der Küche (Illustration), CC0 (Public Domain Lizenz).
Archive:
Jahrgänge:
2022 |
2021 |
2020 |
2019 |
2018 |
2017 |
2016 |
2015 |
2014 |
2013 |
2012 |
2011 |
2010 |
2009
Themen:
Rezensionen |
Krimi Thriller |
Ratgeber |
Sagen Legenden |
Fantasy Mythologie
Noch mehr Bücher lesen (Werbung):
Fantasy & Science Fiction
| Krimis & Thriller
| Ratgeber
| Reise & Abenteuer
Sie schreiben anspruchsvolle Romane und Erzählungen? Wir suchen neue Autorinnen und Autoren. Melden Sie sich!
Wenn Sie die Informationen auf diesen Seiten interessant fanden, freuen wir uns über einen Förderbeitrag. Empfehlen Sie uns auch gerne in Ihren Netzwerken. Herzlichen Dank!
Sitemap Impressum Datenschutz RSS Feed