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2012 gab es noch etwa 13.000 Stück davon in ganz Deutschland – und wahrscheinlich wird dieser Anblick in der nahen Zukunft immer seltener werden. Die Rede ist von den gelben Telefonzellen, die – ohne dass dies jemand groß bemerkt hätte – ein Stück unserer Kultur waren. Diese fest installierten "Ganzkörperhandys" waren früher einmal nicht wegzudenken. Nicht, dass sie nur ihrem Zweck entsprechend genutzt wurden – sie boten bei Regen Unterschlupf, knutschenden Pärchen gaben sie kurzzeitig eine Heimat, und für kichernde Teenager waren sie ein zweites Zuhause. Das war natürlich vor der Generation Handy.
Nervös von einem Fuß auf den anderen tretende Wartende, die hofften, dass der Dauertelefonierer in der gelben Zelle endlich aufhängte, waren nichts Außergewöhnliches, und in Filmen waren sehr viele Rollen mit einer Telefonzelle besetzt. Liebesromanzen kamen kaum aus ohne den gekonnt aufgelegten Hörer, in den ein unglücklich Liebender starrte, und dann die Telefonzelle verließ, um in einen grauen Abend oder Morgen zu treten. Und Gangsterstreifen waren ohne einen beim Telefonieren erschossenen Informanten einfach nicht komplett.
In der Realität sorgten die Verbindungsknotenpunkte in Kastenform für manchen kräftigen Fluch – es galten folgende Faustregeln:
– Die am nächsten liegende Zelle ist stark beschädigt und kann nicht benutzt werden.
– Die danach angesteuerte Gelegenheit ist nicht frei und wahrscheinlich wird sie es in der nächsten halben Stunde nicht sein, da etwa fünf Wartende davor stehen.
– Bei der freien Zelle, die man zwei Kilometer von zu Hause entfernt ausgemacht hat, kullern die Münzen durch den Schacht, ohne dass eine Wirkung erzielt wird. Das Hartgeld ist der Rückgabeklappe zu entnehmen, was zwar gut ist, aber nicht das eigentliche Problem löst.
– Die Zelle um die nächsten drei Ecken ist frei und das Telefon funktioniert auch. Dafür hat irgend so ein Idiot genau diese Seite aus dem Telefonbuch herausgerissen, die man braucht. Da man die Adresse nicht weiß, wird die Auskunft wahrscheinlich nicht bereit sein, zu kooperieren. Ginge sowieso nicht, weil man nur für einen Anruf das Kleingeld dabei hat.
– Man wartet selber geduldig dreißig Minuten, bis das Telefon frei wird – der Hintermann klopft allerdings schon an die Scheibe, während man noch am Wählen ist.
– Der Vorbenutzer hat während seines Gesprächs eine üble Zigarre geraucht und man muss nun da rein, obwohl man sich das Rauchen gerade abgewöhnt hat.
Als die Häuschen an die moderne Zeit angepasst wurden, gab es wichtige Erweiterungen der Regeln:
– Die Zelle ist frei und funktioniert, nimmt aber nur Karten an und keine Münzen. Eine Karte hat man nicht dabei.
– Beim nächsten Mal ist man schlauer und hat die Karte dabei – findet aber nur ein Münztelefon. Wieso sollte man auch Bargeld mitnehmen, wenn man Karten hat?
Tja – und wenn Ihr Auto im Graben gelandet ist oder ein maskierter Finsterling mit Pistole Ihre Brieftasche fordert: Wundern Sie sich nicht, wenn Superman nicht eingreift. Ohne Telefonzelle kann er sich schließlich nicht seinen Anzug vom Leib reißen, um Sie in seiner tollen Kluft zu retten. Wobei sich heute immer noch Menschen fragen, wieso dieser Clark Kent glaubte, dass man ihn in einer Telefonzelle nicht sehen könne.
© "Die gelben Telefonzellen sterben aus": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2012. Illustration: Thomas Alwin Müller, littleART.
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